Flüchtlingslager in Frankreich 2000 Menschen haben "Dschungel von Calais" bereits verlassen

Calais · Mit einem Kraftakt will Frankreich das große Flüchtlingslager in Calais räumen. Vom sogenannten Dschungel werden seit Montag Flüchtlinge zu Aufnahmezentren in ganz Frankreich gebracht. Tausende drängen sich vor der Registrierungsstation. Es gibt immer wieder kleine Rangeleien, wenige Hütten wurden angezündet.

Die Räumung des "Dschungels von Calais" schreitet voran
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Die Räumung des "Dschungels von Calais" schreitet voran

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In wenigen Tagen soll der "Dschungel von Calais" Vergangenheit sein und die Flüchtlinge aus dem Elendslager gebracht worden sein. Die Bewohner des sogenannten Dschungels, die überwiegend aus Afghanistan, dem Sudan und Eritrea stammen, sollen mit Bussen in 450 andere Aufnahmezentren in ganz Frankreich gebracht werden. Anschließend sollen die Behausungen abgerissen werden. Lediglich die Wohncontainer, die der Staat errichten ließ, sollen stehen bleiben. Dort können 1500 Flüchtlinge geordnet untergebracht werden.

Am ersten Tag der Räumung des illegalen Flüchtlingscamps im nordfranzösischen Calais haben über 2000 Migranten das Lager verlassen. "1918 Erwachsene haben Calais in 45 Bussen verlassen, um in 80 Erstaufnahmezentren zu gelangen", sagte Innenminister Bernard Cazeneuve am Montagabend in Paris. Hinzu kämen 400 unbegleitete Minderjährige, die in ein provisorisches Aufnahmezentrum gebracht worden seien. Für sie gelten spezielle Asylregeln. Frankreich dringt auf Familienzusammenführung für Kinder und Jugendliche, die Angehörige in Großbritannien haben.

Hilfsorganisationen hatten versucht, die Räumung mit juristischen Mitteln zu verhindern, doch ein Verwaltungsgericht gab am vergangenen Dienstag grünes Licht. Wie geplant öffneten um acht Uhr am Montagmorgen die Tore eines nahe des Lagers eingerichteten Versammlungspunktes für die Flüchtlinge. Sie sollen dort befragt werden, bevor sie auf ganz Frankreich verteilt werden. Ein Asylverfahren findet dort noch nicht statt. Den Menschen sollen zwei Regionen vorgegeben werden, zwischen denen sie wählen können. Ausgenommen sind der Großraum Paris und Korsika.

Bereits am frühen Montagmorgen hatten sich an dem Versammlungspunkt erste Flüchtlinge zur Abreise eingefunden. Viele trugen Koffer und Kleiderbündel bei sich. Von dem Versammlungspunkt aus sollen die Flüchtlinge in die Aufnahmezentren gebracht werden.

Der Dschungel von Calais wird geräumt
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Der "Dschungel von Calais" wird geräumt

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Am Mittag warteten Tausende vor der Halle, berichtete RP-Fotograf Christoph Reichwein aus Calais. Viele Menschen würden freiwillig zur Registrierung kommen. Das Gedränge vor dem Versammlungspunkt sei groß, immer wieder würden Menschen ihr Gepäck über den Zaun werfen, um vorwärts zu kommen. Das führe zu Ärger mit den Ordnungskräften. Die Situation sei angespannt, zwischenzeitlich kam es zu Rangeleien, auch wurden einige Hütten angezündet.

Weil der Druck auf die vorderen Zäune zu groß geworden sei, ließ die Polizei die Flüchtlinge nur noch blockweise vor, berichtete unser Reporter. Vereinzelt warfen Flüchtlinge Steine in Richtung der Polizei, die antwortete laut unserem Reporter vor Ort mit Tränengas. Größere Ausschreitungen blieben bis zum Abend aus.

Die französische Regierung hat sich dennoch zufrieden über den Beginn der Räumung des Flüchtlingslagers im nordfranzösischen Calais gezeigt. Innenminister Bernard Cazeneuve sprach am Montag in Paris von einer "ruhigen und geordneten Operation". Er hoffe, dass so die gesamte Räumung des sogenannten Dschungels verlaufen werde.

Hilfsorganisationen warnten aber, die Lage könne sich bald ändern: Rund 2000 Flüchtlinge wollten die Region nicht verlassen, weil sie heimlich nach Großbritannien gelangen wollten, sagte der Leiter der Organisation L'Auberge des Migrants (Herberge der Flüchtlinge), Christian Salomé.

Derzeit laufe alles gut, weil jene Flüchtlinge zu den Bussen kämen, die "ungeduldig darauf gewartet haben, wegzugehen". Er mache sich aber Sorgen über die folgenden Tage. "Dann sind nur noch die Leute hier, die nicht weg und weiterhin nach Großbritannien gelangen wollen."

Viele der offiziell 6500 Bewohner der Zelt- und Hüttenstadt sind auf dem Weg nach Großbritannien in der nordfranzösischen Hafenstadt am Ärmelkanal gestrandet. Nach Dover sind es nur rund 40 Kilometer. Calais hat einen großen Fährhafen, der Kanaltunnel nach Großbritannien ist nahe. Mehrere Migranten kamen auf dem Weg auf die Insel bereits ums Leben. Großbritannien hat die Grenze inzwischen dicht gemacht. Der "Dschungel von Calais" ist durch hohe Grenzzäune und Stacheldraht quasi abgeriegelt.

Dennoch wollen viele Flüchtlinge weiterhin nach Großbritannien. Auch weil es dort für sie sprachlich einfacher ist. In der Nacht zum Montag kam es daher erneut zu Zusammenstößen zwischen Migranten und Sicherheitskräften. Bereits in der Nacht zuvor hatte es Ausschreitungen gegeben. Wie auch am Montagnachmittag hatten Flüchtlinge aus einer kleinen Gruppe Steine in Richtung Polizei geworfen, die wiederum mit Tränengas antwortete.

Das Lager an der Ärmelkanalküste war vor 18 Monaten entstanden. Die Zahl der Migranten wuchs rasch. Es entstanden zahlreiche Behelfsbauten und Geschäfte. Wegen des Durcheinanders von Zelten, Baracken und kleinen Ständen erhielt das Camp den Spitznamen Dschungel. Als Zentrum gilt eine von äthiopischen Christen errichtete Kirche, wo am Sonntag ein vierstündiger Gottesdienst abgehalten wurde. "Es ist ein besonderer Gottesdienst. Die Leute haben wirklich Angst", sagte Organisator Salamin, der wie viele Einwohner nur seinen Vornamen nennen wollte.

Mehrere Migranten kamen auf dem Weg auf die Insel bereits ums Leben.
Großbritannien ist nicht weit, nach Dover sind es nur rund 40 Kilometer. Calais hat einen großen Fährhafen, der Kanaltunnel ist nahe.

Selbst von Behördenseite wird eingeräumt, dass die Auflösung der Hütten- und Zeltstadt vor den Toren von Calais risikoreich ist. "Es wird am Montag sehr viele Menschen geben. Die Flüchtlinge denken, dass es nicht genug Platz gibt", sagte die Präfektin des Départements Pas-de-Calais, Fabienne Buccio. Sie war am Sonntag in der Flüchtlingscamp gekommen und hatte mit einigen Flüchtlingen gesprochen.

Der Eindruck, es gäbe nicht genug Plätze, sei jedoch nicht richtig, denn 7500 Aufnahmeplätze stünden zur Verfügung. Allerdings schätzen Hilfsorganisationen die Zahl der Bewohner des "Dschungels von Calais" auf mehr als 8000. Viele von ihnen sind noch minderjährig. Großbritannien nahm diese Woche fast 200 dieser minderjährigen Flüchtlinge auf, die Verwandte im Land haben oder als besonders verletzlich gelten.

Buccio sagte, die Flüchtlinge seien rechtzeitig informiert worden.
Sie setzt darauf, dass sich die Menschen freiwillig in einer neu eingerichteten Halle bei der Einwanderungsbehörde melden. Sie könnten dann zwischen zwei Regionen in Frankreich wählen. "Wir werden diese Menschen aufnehmen", sagte sie.

Keiner werde gezwungen, in einen Bus zusteigen. Der Staat hatte aber bereits mehrfach deutlich gemacht, dass für eine menschenwürdige Unterbringung ein Asylantrag gestellt werden muss. Wer kein Recht auf Asyl hat, soll ausgewiesen werden.

Unter den Flüchtlingen gibt es laut Buccio einen Bewusstseinswandel, denn die Lage am Ärmelkanal habe sich in den vergangenen Jahren grundsätzlich geändert. "Die Grenze zu Großbritannien ist dicht. Es ist sehr gefährlich, Kurs auf das Vereinigte Königreich zu nehmen, einige Migranten haben ihr Leben dabei verloren."

Die Behörden stellen sich darauf ein, bereits am ersten Tag bis zu 3000 Menschen in Bussen von Calais aus in andere Orte zu bringen. 60 Busse seien im Einsatz, sagte Serge Szarzyncki, Leiter des Sozialdienstes vom Département. Auch an den folgenden Tagen seien Dutzende Busse im Einsatz.

(rent/dpa/AFP/ap/reu)
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