Viersterne-General Egon Ramms im Interview "100.000 Soldaten gegen den IS"

Düsseldorf · Der Islamische Staat sei militärisch zu besiegen, sagt der frühere deutsche Viersterne-General Egon Ramms im Interview mit unserer Redaktion. Dafür seien aber Luftangriffe nicht ausreichend. Und ohne Russland gebe es keine Lösung für Syrien.

So entstand der Name der Terrormiliz Islamischer Staat (IS)
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Foto: ap

Egon Ramms war der ranghöchste deutsche Nato-General. Der Abschuss eines russischen Jets an der syrisch-türkischen Grenze überrascht ihn nicht. Im Kampf gegen den IS fordert Ramms einen massiven Bodentruppen-Einsatz.

 Egon Ramms bei seiner Verabschiedung im Jahr 2010.

Egon Ramms bei seiner Verabschiedung im Jahr 2010.

Foto: Michelis, Helmut

Wie bewerten Sie den Abschuss des russischen Jets?

Ramms Man muss mit einem solchen Zwischenfall in solchen Lagen immer rechnen. Ähnliche Aufeinandertreffen von Nato-Piloten mit russischen Flugzeugen erleben wir beim "Air Policing" in den baltischen Staaten. Offenbar reagieren die polnischen, deutschen oder niederländischen Piloten aber besonnener als die türkischen.

War der Abschuss also unnötig?

Ramms Was wir wissen, ist, dass es eigentlich viele Sicherheitsmechanismen gibt, bevor es zu einem solchen Abschuss kommt. Normalerweise fliegt man mit der eigenen Maschine auf etwa 200 Meter, wir nennen das Augenidentifizierung, an das betroffene Flugzeug heran und wackelt mit den Flügeln. Das bedeutet "Du bist hier falsch" und ist international ein bekanntes Signal. Als nächste Stufe folgt als Warnung eine ungezielte Schussfolge mit der Bordmaschinenkanone. Erst wenn der Jet dann nicht abdreht, ist die Rakete die letzte Wahl. In diesem konkreten Fall gibt es einige Ungereimtheiten. Als die beiden russischen Jets an die Grenze des südlichen Zipfels der Türkei gelangten, ist einer der beiden Piloten nach Süden ausgewichen, auf syrisches Gebiet, der andere aber ist geradeaus weitergeflogen in den türkischen Luftraum. Warum? Wenn das eine Spielerei war, war es ein tödliches Spiel. Das Radarbild lässt keine exakte Einschätzung zu, wie lange der Jet im türkischen Luftraum war. Aber es kann sich nur um wenige Minuten oder weniger gehandelt haben. Trotzdem: Nato-Staaten können bei solchen Grenzverletzungen nicht immer nur drohen.

Es gab eine Nato-Sitzung nach dem Vorfall. Was bedeutet das für die Mitgliedstaaten?

Ramms Zunächst einmal nichts. Selbst wenn die Türkei sich auf Artikel 4 des Nato-Vertrags beruft und um eine Konsultation bittet, wäre dies nur eine Beratung mit einer abschließenden Erklärung. Ein Signal der Geschlossenheit, mehr nicht.

Ist die Nato gegen die asymmetrische Bedrohung zeitgemäß organisiert?

Ramms Die Nato ist seit Jahren unterfinanziert. 70 Prozent der Lasten werden von den USA getragen - ein krasses Missverhältnis. Wir hatten mal 64 Hauptquartiere, jetzt sind es noch neun. Das kann sich rächen. Solche außergewöhnlichen Ereignisse wie der Libyen-Krieg damals erwischen die Nato dann kalt. Die Strategie von 2010 bleibt aber richtig. Die drei Säulen Bündnisverteidigung, Krisenreaktionsfähigkeiten und kooperative Sicherheit, übrigens auch mit Russland, sind weiterhin zeitgemäß.

Brauchen wir einen neuen Nato-Russland-Rat?

Ramms Er ist seit der Annexion der Krim ausgesetzt und muss dringend wiederbelebt werden, ja. Wenn Sie politische Entscheidungen in Europa treffen wollen, dann gehört Russland dazu. Das russische Auge richtet sich mehr auf Europa als auf Asien - auch wenn Wladimir Putin dies nicht immer zugibt.

Welche Interessen verfolgt Russland in Syrien?

Ramms Zum einen ist Russland schon seit vielen Jahrzehnten strategischer Partner der Syrer. Zum anderen braucht Russland einen strategischen Stützpunkt im Mittelmeerraum. Die Marine- und Luftwaffenbasis in Syrien sichert Russlands strategische Rolle im Mittelmeer. Drittens ist Russland mit der aktiven Beteiligung am Syrien-Konflikt auf die politische Weltbühne zurückgekehrt. Man muss mit Russland reden. Ohne Russland keine Lösung des Problems Syrien.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Ramms Das ist keine Frage für die Nato, sondern für den UN-Sicherheitsrat. Dort brauchen wir einen geschlossenen Auftrag ohne ein Veto durch eines der ständigen Mitglieder. Dieser wiederum könnte dann an die Nato und Russland gehen wie damals bei den Resolutionen für alle nicht-militärischen Aufgaben in Afghanistan. Das geht aber alles nur mit Wladimir Putin.

Lässt sich der IS militärisch besiegen?

Ramms Ja.

Wie?

Ramms Die Luftangriffe müssen mit Landstreitkräften ergänzt werden, um den IS von West nach Ost zu bekämpfen. Danach müssen der Wiederaufbau, das Funktionieren der Zivilgesellschaft sichergestellt und Lebenschancen für die Menschen geschaffen werden. Nur für den ersten Teil und maximal für eine Übergangsphase braucht man mehr als 100.000 Soldaten. Ich sehe allerdings keine Bereitschaft, diesen Weg zu gehen. Ob mit oder ohne Assad, ist dabei möglicherweise nachrangig.

Michael Bröcker führte das Gespräch

(RP)
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