Jürgen Todenhöfer sprach mit IS-Kämpfern "Eines Tages erobern wir Europa"

Düsseldorf · Entgegen aller Warnungen hat der deutsche Publizist Jürgen Todenhöfer das Herrschaftsgebiet des Islamischen Staates bereist. Seine Reise liefert einzigartige Einblicke in das Innere des Kalifats. Jetzt spricht er von der größten Bedrohung des Weltfriedens seit dem Kalten Krieg.

 Jürgen Todenhöfer im Gespräch mit IS-Kämpfern.

Jürgen Todenhöfer im Gespräch mit IS-Kämpfern.

Foto: Todenhoefer IS CNN Screenshot

Zehn Tage lang will Todenhöfer das umkämpfte Gebiet des IS bereist haben, nach eigenen Angaben als "erster westlicher Publizist der Welt". Seine Familie habe über Monate versucht, ihn von seinen Plänen abzubringen, berichtet er auf seinem Blog. Doch die Aussicht auf authentisches Material ließ ihn das Risiko ihn Kauf nehmen. Sei Sohn Frederic begleitete ihn als Kameramann.

"Außerdem hatte ich ja diese Sicherheitsgarantie des 'Kalifats'", schreibt er. "Nur leider keine Garantie, dass sie echt war." In einem ausführlichen Beitrag auf seinem Blog zieht er eine düstere Bilanz seiner Reise. Denn auch er erlebte den IS als ein Regime des Schreckens, das zu allem entschlossen ist.

"Religiöse Reinigung"

Dabei darf man bei Todenhöfer annehmen, dass er weitgehend unvoreingenommen seine Reise antrat. Schon mehrfach hat er Krisengebiete besucht, immer im Namen der Völkerverständigung und der Aufklärung. Dazu sprach Todenhöfer bisweilen auch mit Diktatoren wie Baschar al-Assad. In Deutschland ist er wegen seines rigorosen Moralismus umstritten. Im Sommer etwa sorgte er für Wirbel, weil er Bundespräsident Joachim Gauck als Terroristen verunglimpfte, weil der Militäreinsätze zur Wahrung der Menschenrechte als letztes Mittel gebilligt hatte.

Nach seinem Trip in die Krisenregion in Syrien und im Irak kommt jedoch auch Todenhöfer zu dem Schluss, dass der IS eine Bedrohung ist. Das erklärte Ziel der Dschihadisten sei es, die Welt von "Ungläubigen" zu reinigen. Ausnahme: die Angehörigen der sogenannten Buchreligionen — also des "IS-Islams”, des Judentums und des Christentums. Nichtgläubige und Abtrünnige wolle er töten, Frauen und Kinder versklaven. "Hunderte von Millionen Menschen sollen im Zuge dieser religiösen ‘Reinigung' eliminiert werden", schreibt Todenhöfer. Dazu zählten ausdrücklich auch gemäßigt-liberale Muslime, weil sie staatliche Gesetze über die Gesetze Gottes stellen.

"Kraft eines nuklearen Tsunami"

Jetzt strahlt CNN erstmals Bilder von Todenhöfers Erlebnissen auf. Ein Trailer ist im eingefügten Video zu sehen. Die Aufnahmen stammen aus Gebieten, die sonst nur aus der Ferne in den Nachrichten zu sehen sind, weil sie vom IS kontrolliert werden. Mossul, Raqqa oder Dei-al-Zor. Dort spricht er mit Kämpfern des IS, einer kurdischen Geisel und Kindersoldaten.

Seine Schilderungen lassen erahnen, welch fanatisches Feuer die Dschihadisten antreibt. Nur ein Prozent der Muslime hat sich nach Todenhöfers Eindrücken dem IS angeschlossen. Dieses aber habe die "Kraft eines nuklearen Tsunami", so Todenhöfer gegenüber CNN.

Unter anderem unterhielt er sich mit einem deutschsprachigen Kämpfer, der vorgab, im Namen des Islamischen Staates zu sprechen. "Eines Tages werden wir Europa erobern", sagt er. Es sei nicht die Frage ob, sondern nur wann das passieren werde. Das aber sei sicher. "Für uns gibt es keine Grenzen, nur Fronten", hört man ihn sagen.

Ihr Siegeszug werde andauern. "Die Europäer dürfen ruhig wissen, dass wir nicht nett sein werden, wenn wir kommen, sondern mit Waffen. Diejenige, die nicht zum Islam konvertieren oder eine Islamsteuer entrichten, werden sterben." Gefangene zu versklaven oder zu enthaupten sei Teil ihrer Religion.

Warnung an den Westen

Als Schreckensregime gelinge es dem IS dabei durchaus, so etwas wie staatliche Normalität herzustellen. In Mossul herrsche ein grausiger Anschein von Normalität, erzählte er CNN. Obwohl Hunderttausende geflohen und viele ermordet worden seien, funktioniere die Stadt. "Die Menschen mögen tatsächlich die Stabilität, welche ihnen der Islamische Staat gebracht hat." Die Regentschaft der Dschihadisten beruhe jedoch auf einer Atmosphäre der Angst.

IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi - der unsichtbare Scheich
10 Bilder

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Den Westen warnt der Publizist eindringlich: Bei den Dschihadisten handele es sich um alles andere als dumme Leute. Einer der Männer, die er kennengelernt habe, habe gerade ein Examen in Jura abgelegt und sei als Anwalt vor Gericht zugelassen worden. Trotz bester Jobangebote sei er in den Dschihad gezogen. Unter den Kämpfern seien auch "viele erfolgreiche, euphorisch gestimmte junge Leute aus den USA, England, Schweden, Russland, Frankreich oder Deutschland."

Mit Selbstmordattentätern an die Front

Ihre Erfolge erklärten die Kämpfer durch ihre bedingungslose Entschlossenheit. Einige seien nicht nur bereit zu sterben, sondern suchten geradezu den Tod. Die Führung des IS habe ihm berichtet, wie sie mit 300 Kämpfern mehr als 20.000 irakische Soldaten bei der Einnahme von Mossul in die Flucht schlugen.

"Wir attackierten sie hart an der Frontlinie, auch mit Selbstmordattentaten. Daraufhin ergriffen die anderen sehr schnell die Flucht", sagte ihm ein IS-Kämpfer. "Wir kämpfen für Allah, die anderen für Geld und andere Dinge, an die sie nicht wirklich glauben."

Beim Besuch eines Rekrutierungszentrums habe er täglich 50 neue Kämpfer einrücken sehen, berichtet Todenhöfer. "Ich konnte es kaum glauben, als ich das Glühen in ihren Augen sah. Sie fühlten sich so, als ob sie ins gelobte Land einzögen, im Kampf für eine gerechte Sache.

Der Westen im Dilemma

Die Schlussfolgerungen des Publizisten sind eine Warnung an die Regierungen des Westens: Der IS ist in seinen Augen noch gefährlicher als gedacht. "Das Problem IS ist militärisch von außen nicht zu lösen", sagte der ehemalige CDU-Politiker der "tz". "Wollte der Westen die 5000 IS-Leute ausschalten, müsste man ganz Mossul in Schutt und Asche legen", so Todenhöfer. Das aber provoziere neuen Terror. "Mit jeder Bombe, die jetzt abgeworfen wird und die einen Zivilisten trifft, wird die Zahl der Terroristen erhöht." Nur die gemäßigten Sunniten sind nach Todenhöfers Auffassung in der Lage, den IS zu stoppen.

Wichtig ist Todenhöfer aber auch, die Rolle des IS als religiöse Gruppe innerhalb der Muslime einzuordnen. "Der IS predigt einen Islam, den 99 Prozent der 1,6 Milliarden Muslime unserer Welt ablehnen", schreibt er. Für ihn als Christen, der den Koran mehrfach gelesen habe, sei nicht nachvollziehbar, was die Lehren des IS mit dem Islam zu tun haben sollen.

(pst)
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