Türkische Ministerpräsident sperrt Online-Dienst Erdogan macht Twitter so populär wie nie zuvor

Istanbul · Soziale Netzwerke sieht Recep Tayyip Erdogan als Bedrohung an. Am Freitag ließ der türkische Ministerpräsident den Zugang zu Twitter sperren. Das Ausmaß der Kritik an diesem Schritt dürfte er unter-, die Auswirkungen des Verbots falsch eingeschätzt haben. Selten war der Kurznachrichtendienst in der Türkei so beliebt wie am Tag seines Verbotes.

2014: So reagieren Twitter-User auf Erdogans Sperre
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Foto: afp, sd

"Schicke einen Tweet für die Freiheit", rief Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu am Freitag die Türken auf. Natürlich sendete Kilicdaroglu seinen Appell per Twitter. Der Oppositionschef kümmerte sich ebenso wenig wie Staatspräsident Abdullah Gül und tausende Normalbürger um den Bann, den die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in der Nacht zuvor erlassen hatte.

Weltweit hagelte es Kritik an Erdogans Regierung, die am Freitag eilig der Justiz den Schwarzen Peter zuschob und erklärte, es handele sich um eine Gerichtsentscheidung, nicht um einen politischen Beschluss. Doch damit war der immense politische Flurschaden nicht mehr aus der Welt zu schaffen.

Zumal auch Zweifel an der Richtigkeit dieses Hinweises bestanden. Erdogan selbst hatte das Verbot am Donnerstag angekündigt und ausdrücklich hinzugefügt: "Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft interessiert mich nicht."

Die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, das Verbot beruhe unter anderem auf einem Gerichtsurteil aus dem nordtürkischen Samsun, wo sich eine Frau gegen ein gefälschtes, in ihrem Namen eröffnetes Twitter-Konto zur Wehr gesetzt habe. Auf diesem Konto seien pornografische Bilder erschienen. Der Anwalt der Frau erklärte laut Anadolu, er habe die Beseitigung des gefälschten Kontos verlangt, aber keineswegs die Sperrung von Twitter insgesamt.

Möglicherweise hatte sich die Erdogan-Regierung nicht vorstellen können, welche Lawine sie mit einem Verbot lostreten würde. Die Umgehung des Banns wurde innerhalb von Stunden zum Volkssport, und sogar internationale Prominente wie Virgin-Chef Richard Branson nahmen sich des Twitter-Verbotes an. In einem Tweet beglückwunschte Branson jeden in der Türkei, der sich trotz des Verbotes zu dem Online-Kurznachrichtendienst durchschlagen konnte.

Im Laufe des Tages bröckelte das Verbot immer mehr. Zunächst meldete sich Staatspräsident Gül zu Wort, ein wichtiger politischer Partner Erdogans. Gül verdammte das Verbot als inakzeptabel und mahnte eine rasche Aufhebung an. Wenige Stunden später wurde auch die normalerweise der Regierung treu ergebene Nachrichtenagentur Anadolu wieder auf Twitter aktiv. "Im 21. Jahrhundert lassen sich Stabilität und Wohlstand nicht mit autoritären Maßnahmen sichern", kritisierte der Ex-Botschafter Özdem Sanberk.

Die Regierung Erdogan schien das zumindest in der Nacht zum Freitag anders zu sehen. Bei Twitter werden seit Wochen immer neue Korruptionsvorwürfe gegen Erdogan und dessen Regierung veröffentlicht. Die Botschaften sind mit Links zu Aufnahmen mitgeschnittener Telefonaufnahmen versehen, auf denen Erdogan und andere Regierungsmitglieder zu hören sind. Dabei geht es unter anderem um Schmiergeldzahlungen sowie den Eingriff in laufende Gerichtsprozesse.

Vor den wichtigen Kommunalwahlen am 30. März wollte Erdogan mit dem Twitter-Verbot offenbar die Notbremse ziehen. Er sieht die Korruptionsvorwürfe als Komplott von Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen, was Gülen zurückweist.

Laut der Zeitung "Hürriyet" gelang es tausenden Twitter-Nutzern am Freitag ähnlich wie Gül, das Verbot zu umgehen. In den ersten zehn Stunden des Verbots wurden demnach rund 500.000 Twitter-Botschaften gezählt, die innerhalb der Türkei abgeschickt wurden. Twitter selbst verbreitete auf dem Account "@policy" Tipps, wie türkische Nutzer trotz des Verbots per SMS an dem Kurznachrichtendienst teilhaben könnten.

Während das Twitter-Vebot immer weitere Löcher bekam, suchte die Regierung verzweifelt nach einem Ausweg. Kommunikationsminister Fikri Isik sagte, es liefen Gespräche Ankaras mit Twitter. Zudem verwies er auf die Sperrung der Videoplattform YouTube in der Türkei im Jahr 2008. Damals hatte die Türkei einen Clip beanstandet, in dem angeblich Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk beleidigt wurde. Damals habe man einen Ausweg gefunden, sagte Isik, und auch diesmal werde es eine Lösung geben. Nur: Das YouTube-Verbot dauerte zwei Jahre.

(AFP)
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