Zensur "Es fühlt sich an, als betröge ich den Journalismus"

Istanbul · Zensur ist in der türkischen Medienlandschaft seit Jahren Alltag. Ein Journalist aus Istanbul berichtet von seiner schwierigen Arbeit: "Wenn ich meinen Lebensunterhalt mit etwas anderem verdienen könnte, ich würde es tun."

 Demonstranten bahnen sich im Juni 2013 einen Weg über den mit Tränengas beschossenen Taksim-Platz in Istanbul. Als die Lage vollständig eskaliert, zeigt das türkische Fernsehen Berichte über Pinguine.

Demonstranten bahnen sich im Juni 2013 einen Weg über den mit Tränengas beschossenen Taksim-Platz in Istanbul. Als die Lage vollständig eskaliert, zeigt das türkische Fernsehen Berichte über Pinguine.

Foto: afp, BULENT KILIC

Als Anfang Juni 2013 Polizisten Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park nahe des Taksim-Platzes niederknüppeln und mit Tränengas beschießen, zeigen türkische Fernsehsender Quizshows und Berichte über Pinguine. Der Nachrichtensender NTV strahlt sogar eine Dokumentation über Adolf Hitler aus. Es sind mit die größten Ausschreitungen gegen die Regierung, die das Land je erlebt hat, und die in der Türkei stark konsumierten TV-Sender zensieren sich selbst - aus Angst vor staatlichen Repressalien.

Zensur ist in der türkischen Medienlandschaft seit Jahren Alltag, doch es war jener Sommer 2013, der den Menschen die Machtlosigkeit vieler Journalisten schmerzlich vor Augen führte. "Für viele war es wie eine Erleuchtung", sagt Tarek Gökdal. Der 33-Jährige arbeitet seit zehn Jahren als Journalist für einen großen Nachrichtensender in der Türkei. Seinen echten Namen und den Namen seines Senders will er nicht öffentlich lesen. Auch er hat Angst vor staatlicher Gängelung, doch er möchte, dass die Welt weiß, wie es in der Türkei zugeht.

700 Presseausweise annulliert

"Allein während der Gezi-Proteste wurden mindestens fünf meiner Kollegen entlassen, weil sie kritisch über die Härte der Polizei berichtet hatten", sagt Gökdal. Es sollten noch viele weitere folgen. Seit dem gescheiterten Putschversuch 2016 seien einige seiner Kollegen noch immer im Gefängnis. Der Druck der Regierung auf viele Medienanstalten hält an, er hat sich zuletzt sogar verstärkt. Seit dem Putschversuch wurden weit über 100 Journalisten verhaftet, 40 von ihnen sitzen noch immer im Gefängnis. Rund 150 Medien wurden geschlossen und mehr als 700 Presseausweise annulliert. Laut der Vereinigung Reporter ohne Grenzen belegt die Türkei auf der Rangliste der Pressefreiheit Platz 155 von 180.

"Es gibt verschiedene Level staatlicher Kontrolle", erzählt Gökdal. Regierungsnahe Medien seien in einem Pool zusammengeschlossen. Dazu gehörten beispielsweise die Zeitungen "Sabah" oder "Yeni Safak" sowie die TV-Sender "ATV" oder "TGRT Haber". Viele Medienunternehmen sind in Besitz von Industrieholdings. Die dortigen Wirtschaftsbosse führen meist auch die angebundenen Medienhäuser. Sie pflegen enge Verbindungen zur Regierungspartei AKP, auf deren Wohlwollen sie angewiesen sind, um Staatsaufträge zu bekommen. "Sie sind Geschäftsmänner, die nur auf ihren eigenen Profit aus sind und sich deshalb mit ihren Medien Erdogan unterordnen, der einen neuen großen Flughafen verspricht oder neue U-Bahn-Linien", sagt Gökdal. Im Gegenzug erhielten jene Medien auch Zugang zu ausgewählten Regierungsinformationen. Die angestellten Journalisten würden zudem nicht politisch verfolgt. Schließlich seien sie quasi Teil der Regierung. Sie würden auch besser bezahlt. Kritiker des Präsidenten müssten dagegen täglich damit rechnen, entlassen oder eingesperrt zu werden.

Auch in seinem TV-Sender herrsche Zensur, sagt Gökdal. "Meine Kollegen und ich sind gegen Erdogan, doch das können wir nicht frei kundtun. Das müssen wir akzeptieren. Wenn ich meinen Lebensunterhalt mit etwas anderem verdienen könnte, ich würde es tun." Doch die türkische Wirtschaft sei seit zehn Jahren gebeutelt. Er habe keine Alternative, als den Beruf auszuüben, den er gelernt habe, sagt Gökdal, auch wenn er ihn nicht so kritisch ausüben könne, wie es eigentlich sein sollte. "Ich fühle mich selbst unwohl damit. Es fühlt sich so an, als betröge ich den Journalismus. Es bricht mir das Herz. Ich glaube an Demokratie und schätze Menschen- sowie Tierrechte."

"Das Land gehört uns, den Menschen, die es lieben."

Obwohl es ihn in Gefahr bringen könnte, schweigt Gökdal nicht. Seine wahren Gefühle verbreitet er über die sozialen Netzwerke. Er nutzt dafür ein Pseudonym. "Andernfalls würde ich von der Regierung rasch als 'Terrorist' gebrandmarkt." Die sozialen Netzwerke seien die wichtigste Quelle für jeden Journalisten, sagt Gökdal: "Es ist die größte Ressource, die wir gegen die Regierung haben."

Die nächsten zwei Jahre sind für die Türkei richtungsweisend. 2019 findet im März die Kommunal- und im November die Präsidentschaftswahl statt. Erdogan hatte schon im Sommer 2017 seine Parteimitglieder dazu aufgefordert, mit dem Wahlkampf zu beginnen - wohl wissend, dass es dieses Mal eng werden könnte. Der Rückhalt für ihn und seine AKP schwindet. "Die Regierung wird sich verändern", sagt Gökdal: "Ihr gehört das Land nicht, es gehört uns, den Menschen, die es lieben. Und wir werden nicht aufhören, die Wahrheit zu schreiben - notfalls auf Wände und Mauern."

(jaco)
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