Interview mit Politforscher Volker Perthes "Es wird keinen Bürgerkrieg in Ägypten geben"

Berlin · Prof. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik spricht mit unserer Redaktion über die Lage in Ägypten, über die Gefahr eines drohenden Bürgerkriegs und über die Möglichkeiten des Eingreifens des Westens.

 Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Foto: dpa

Droht in Ägypten jetzt ein Bürgerkrieg?

Perthes Nein, die Muslimbrüder sind in der Bevölkerung verwurzelt und gleichzeitig die Streitkräfte mit der Bevölkerung eng verwoben. Es gibt kaum eine Familie, die nicht mindestens einen Sohn oder mehrere Verwandte in den Streitkräften hätte. Bei allen, auch gewalttätigen Auseinandersetzungen in Ägypten in der Vergangenheit gibt es keinerlei Tradition eines Bürgerkriegs. Das passt nicht zur politischen Kultur dieses Landes.

Hat sich damit das Experiment des gemäßigten Islamismus für alle Länder des arabischen Frühlings erledigt?

Perthes Nein, aber es ist ein Rückschlag für den gemäßigten Islamismus. Und das gefährliche daran ist, dass ein Teil des politischen Islam das als Signal verstehen könnte, dass Demokratie für ihn nicht gilt, dass politische Prozesse nur dann gelten, wenn "die Anderen" gewinnen. Die zweite Gefahr besteht darin, dass nach Neuwahlen das Militär durchaus eine Schwächung der Muslimbrüder erreicht, dass dann aber der stärkste Block im nächsten ägyptischen Parlament von einer ideologisch radikaleren islamischen Partei gestellt wird, nämlich von den Salafisten.

Was kann der Westen, was kann Deutschland tun, um die Lage zu stabilisieren?

Perthes Zunächst sollten wir deutlich machen, dass der Putsch ein Putsch ist und nicht irgendeine Form von demokratischer Korrekturbewegung. Immerhin ist die Verfassung mit dem Grundrechtekatalog außer Kraft gesetzt worden. Es war vielleicht nicht die beste Verfassung, aber sie war besser als keine Verfassung — gerade wegen des Grundrechtekatalogs. Es ist daher richtig, wenn Deutschland und die Europäer von den neuen Machthabern verlangen, zumindest die Grundrechte wieder in Kraft zu setzen und dann sehr schnell Neuwahlen auf den Weg zu bringen. Man muss den Putsch nicht anerkennen, aber man kann ihn auch nicht ignorieren. Er ist Realität. Ägypten ist zu wichtig, als dass wir es uns leisten könnten, mit diesem Staat nicht umzugehen. Wir sollten aber die Tiefe unserer Kooperation davon abhängig machen, ob dieses Land sehr schnell wieder Wahlen durchführt, und zwar faire Wahlen, an denen sich alle politischen Kräfte beteiligen können.

Gregor Mayntz führte das Gespräch

(may-)
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