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Transitland Libyen Ein Paradies für Schlepperbanden

Düsseldorf · Der Flüchtlingsstrom hat eine Quelle: Libyen. Dort wartet etwa eine Million Menschen darauf, nach Europa übersetzen zu können, heißt es. Das riesige Land ist zerfallen in Chaos und Anarchie. Schlepperbanden finden hier ideale Bedingungen vor. Italien wirbt für eine Intervention an der Küste.

Flüchtlinge: Libyen ist nach Gaddafi ein Paradies für Schlepperbanden
Foto: ap, FP

Die italienische Staatsanwaltschaft gibt sich überzeugt: Bis zu einer Million Flüchtlinge warten in Libyen auf die Überfahrt nach Europa. Auch der sonst nicht zu Übertreibungen neigende deutsche Innenminister Thomas de Maizière nennt diese Zahl.

Flüchtlinge: Libyen ist nach Gaddafi ein Paradies für Schlepperbanden
Foto: Bild

Die Migranten kommen vor allem aus Syrien und den Ländern südlich der Sahara. Eritrea, wo eine der brutalsten Militärdiktaturen der Welt die Männer aus dem Land treibt. Somalia, zerrissen von Krieg und Hunger. Mali, wo sich Tuareg, Islamisten und Regierungstruppen bekämpfen. Oder auch aus dem Senegal und Gambia an der Westküste, wo Tausende junge Menschen nicht wissen, wovon sie morgen leben sollen.

"Anhaltendes Politikversagen"

Die Flüchtlingstragödie mit laut UN 800 Toten vom Sonntag hat Europa wachgerüttelt. Doch wie die EU ihre Not mit den Flüchtlingsströmen auf lange Sicht lindern und an ihrer Wurzel packen will, weiß sie selbst nicht so genau. Bisher heißt es nur: Humanität beweisen. Für Ideale einstehen. Menschenleben retten. Doch darüber hinaus geht der im Schnellverfahren zu Papier gebrachte Zehn-Punkte-Plan nicht wirklich.

Europa steht nun vor den Scherben seiner über Jahrzehnte betriebenen Migrationspolitik. Schon ein Innenminister namens Otto Schily forderte vor zehn Jahren, Auffanglager im Norden Afrikas zu errichten und wurde dafür bundesweit gescholten. Jetzt, mehr als zehn Jahre und Zehntausende Tote später, spricht auch Thomas de Maizière davon. Am Montag sprach der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein, beim Rückblick auf die verlorenen Jahre der Europäer von anhaltendem Politikversagen.

Gaddfis Drohung wird lebendig

Im Jahr 2015 ist es noch schwieriger geworden, an den Ursachen der Flucht anzusetzen und schon in Afrika Bedingungen so zu verändern, dass Menschen dort wieder Lebensperspektiven haben. Am eindrücklichsten zeigt sich das in Libyen. Nach dem Sturz Gaddafis im Jahr 2011 herrscht im Land das nackte Chaos. Staatliche Strukturen sind zerfallen, anstatt einer öffentlichen Ordnung überziehen Warlords, Banden und Stämme das Gebiet mit Rechtlosigkeit und Gewalt.

Mancher EU-Politiker dürfte sich insgeheim zurücksehnen nach den Zeiten unter dem brutalen, aber halbwegs verlässlichen Regiment Gaddafis. Im Februar 2011 drohte der einmal den Europäern damit, die Schleusen für Flüchtlinge aufzumachen. Nach seinem Ableben ist genau das passiert. Die Route über Libyen ist die mit Abstand wichtigste und am meisten frequentierte. Im Jahr 2014 registrierte die Europäische Union mehr als 170.000 illegale Grenzübertritte. Zum Vergleich: Zwischen dem stabil regierten Algerien und Spanien sind es keine 8000.

Auf Gaddafi folgte ein Vakuum

In Libyen herrscht hingegen ein ideales Umfeld für Schlepperbanden. Man sagt, dass die Menschenhändler bereits in großem Stil organisiert sind und Flüchtlingen für große Summen bereits Rundum-Pakete offerieren: Flucht aus der Heimat, Transit quer durch Afrika, Bootstour bis in den Zielhafen. Dass die Banden dabei skrupellos vorgehen und nur auf den eigenen Gewinn aus sind, wissen in der Regel auch die Flüchtlinge. In ihrer Ausweglosigkeit lassen sie sich trotzdem darauf ein. Die Gewinnmargen sind gewaltig. Zwischen 1000 und 2000 Euro kostet für einen Erwachsenen allein die Höllentour mit dem Seelenfänger nach Europa. Kinder kosten die Hälfte. Auch libysche Milizen sollen in dem Geschäft mitmischen. So finanzieren sie ihren Bürgerkrieg.

Gerade weil das Geschäft mit Menschenleben so lukrativ ist, stößt die EU in Nordafrika auf Widerstände. Mit dem Sturz Gaddafis endete die von Hilfsorganisationen als zynisch gegeißelte Praxis, das libysche Diktatorenregime Flüchtlinge aus Afrika einfangen zu lassen. In einem Vertrag mit der EU hatte sich Gaddafi verpflichtet, die Migranten nicht in Boote zu lassen und sie stattdessen in ihre Heimatländer zurückzuschicken.

"Gaddafi war kein Freund von Menschenrechten", sagt nun etwa EU-Kommissar Günther Oettinger. "Er hat aber in unserem Sinne dort gewisse Regeln organisiert und hat Verfahren dort abgewickelt. Jetzt haben wir ein Chaos mit Milizen." Auch Außenamtssprecher Martin Schäfer sagt: "Das, was wir jetzt erleben, ist die Folge eines Militäreinsatzes, der das Regime Gaddafi hinweggefegt hat, aber nichts an seine Stelle gesetzt hat."

"Attacken gegen die Banden des Todes"

Die aktuellen Schlussfolgerungen sind nun gleichzeitig Eingeständnis des eigenen Versagens: Die G7-Außenminister sind sich einig, dass die Flüchtlingsproblematik nur in den Griff zu bekommen ist, wenn man Libyen wieder stabilisiert. Wie das aber passieren soll, weiß niemand. Auch die Idee, europäische Auffanglager an der Nordküste Afrikas zu errichten und schon dort Asylverfahren abzuwickeln, hat ohne stabile Strukturen keine Grundlage.

Italien drängt daher schon auf ganz andere Schritte und will direkt an der libyschen Küste gegen die Schlepperbanden vorgehen. "Attacken gegen die Banden des Todes, Attacken gegen Menschenschmuggler gehören zu den Überlegungen", sagte Ministerpräsident Matteo Renzi am Montag in Rom. Dabei gehe es nicht um einen breiten "Militäreinsatz", sondern um eine "gezielte Intervention". Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums seien mit einbezogen, um die Möglichkeit zu prüfen.

Renzi geht es insbesondere darum, schon das Ablegen weiterer Flüchtlingsboote zu verhindern und wirbt in Europas Hauptstädten mit Nachdruck für solche gezielten Schläge gegen Schlepperbanden. Dabei sollen offenbar auch Boote bereits an ihren Anlegestellen zerstört werden. In welchem völkerrechtlichen Rahmen ein solches Projekt eingebettet werden soll, ist allerdings bisher unklar.

Mit Material von Reuters, AP und AFP

(pst)
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