Flüchtlingspolitik Der australische Weg

Canberra · Australien als Vorbild? Ginge es nach dem österreichischen Außenminister Sebastian Kurz, dann sollte auch Europa Flüchtlinge auf einsame Inseln abschieben. Doch Australien muss einen hohen Preis für seine Lager zahlen.

 "Ihr werdet in Australien keine Heimat finden": Mit diesem Plakat versucht die Regierung, Flüchtlinge vor der Überfahrt auf dem Pazifik abzuschrecken.

"Ihr werdet in Australien keine Heimat finden": Mit diesem Plakat versucht die Regierung, Flüchtlinge vor der Überfahrt auf dem Pazifik abzuschrecken.

Foto: Australische Regierung

Der deutsche Blick auf die Flüchtlingszahlen ist derzeit ein etwas erholter Blick. Wenn man das Rekordjahr 2015 ins Verhältnis zu den heutigen Tagen setzt, dann erscheint Europa auf dem Wege der Besserung. Der Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex aber bremst die Hoffnung. Er warnte in dieser Woche davor, dass deutlich mehr Flüchtlinge nach Europa kommen werden als zuletzt. "In Syrien herrscht weiter Krieg, die Terrormiliz Islamischer Staat setzt sich nun auch in Nordafrika fest und noch immer hat die Armut weite Teile der Welt im Griff", sagte Fabrice Leggeri der "Welt".

 Die kleine Insel Nauru, auf die Flüchtlinge abgeschoben werden.

Die kleine Insel Nauru, auf die Flüchtlinge abgeschoben werden.

Foto: ARM/Public Domain

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz propagiert aus diesem Grund eine simple Lösung. Flüchtlinge will er direkt bei der Überfahrt nach Europa abfangen und auf Inseln internieren. Der konservative Politiker verweist dabei auf ein weit entferntes Vorbild: der weit entfernte Staat Australien.

Flüchtlingsstrom weitgehend gestoppt

Seit 15 Jahren schiebt Australien (mit einer kurzen Unterbrechung) Bootsflüchtlinge auf zwei Inseln im Pazifik ab. Dort hausen sie in eingezäunten, gefängnisähnlichen Lagern auf Nauru, einem winzigen Inselstaat, und der zu Papua-Neuguinea gehörenden Insel Manus. Für die Aufnahme in die Lager zahlt Australien den beiden Staaten eine Art Entschädigung.

Trotz der abschreckenden Maßnahmen wagten jedoch weiterhin tausende Menschen die gefährliche Überfahrt von Indonesien nach Australien. Hunderte starben dabei in den teils seeuntüchtigen Booten der Schmuggler. Bis Australiens früherer Regierungschef Kevin Rudd 2013 die Bedingungen noch einmal verschärfte. Er erklärte, dass Australien Flüchtlinge, die per Boot kommen, überhaupt nicht mehr anerkennen werde. "Unser Land hat genug von den Menschenschmugglern, die Asylsuchende ausbeuten, und genug davon, Menschen auf hoher See ertrinken zu sehen", erläuterte Rudd damals seine Entscheidung.

Tatsächlich ist der Flüchtlingsstrom, der seinen Ursprung vor allem in Afghanistan, dem Iran, dem Irak sowie Sri Lanka hat, damit weitestgehend gestoppt worden. Auch weil die See zwischen Indonesien und Australien inzwischen streng überwacht wird und Boote von der Marine sofort zurück nach Indonesien geschickt werden.

Asylsuchende unfreiwillig zwischen den Fronten

Das bedeutet indes nicht, dass Australien gar niemanden mehr ins Land ließe: Neben rund 170.000 qualifizierten Einwanderern pro Jahr werden in diesem Jahr auch 13.750 Plätze für Asylsuchende zur Verfügung gestellt und einmalig 12.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Flüchtlinge müssen wie Einwanderer medizinische Untersuchungen und Sicherheits- und Charaktertests ablegen.

Eine Gruppe Menschen bezahlt jedoch einen hohen Preis für die restriktive Asylpolitik — und das sind die Asylsuchenden, die sich seit der Verkündung Rudds nun unfreiwillig zwischen den Fronten befinden. Nach Australien dürfen sie nicht mehr, zurück nach Hause können die meisten aber auch nicht. Die Mehrzahl von ihnen (98 Prozent auf Manus Island) sind als Flüchtlinge anerkannt.

Ihre Optionen sind, auf Nauru oder in Papua-Neuguinea zu bleiben, wo die Einheimischen ihnen nicht wirklich wohlgesonnen sind, oder nach Kambodscha zu gehen, mit dem Australien ein Abkommen abgeschlossen hat. Vier Flüchtlinge hatten dies ursprünglich angenommen — 55 Millionen australische Dollar (37 Mio Euro) kostete Australien das. Und auch die Pazifik-Lager haben ihren Preis: 1,3 Millionen Dollar pro Tag (880.000 Euro).

Verharren in tristen Lagern

Die meisten der traumatisierten Flüchtlinge verharren in den tristen Lagern, die von den Vereinten Nationen in früheren Berichten als "mit Ratten verseucht, beengt und sehr heiß" beschrieben wurden. 442 Menschen, darunter 49 Kinder, sind auf Nauru, 854 Männer auf Manus. Letzteres soll auf Druck der Regierung in Papua-Neuguina nun geschlossen werden, der höchste Gerichtshof des Landes hat es für illegal erklärt. Eventuell kommen nun auch diese Menschen nach Nauru.

Doch genau dieses Lager ist in den vergangenen Wochen in die weltweiten Schlagzeilen geraten, nachdem die britische Tageszeitung "Guardian" 2000 Geheimdokumente veröffentlichte, die den systematischen Missbrauch der Menschen dort aufzeigen. Vor allem Kinder sind demnach die Leidtragenden. Mehr als die Hälfte der insgesamt 2116 Berichte, die den Zeitraum von Mai 2013 bis Oktober 2015 abdecken, dokumentierten Vorfälle mit Kindern.

Darunter waren sieben Fälle sexuellen Missbrauchs, 59 Übergriffe auf Kinder und 30 Vorfälle, wo sich Kinder selbst verletzt haben. Einer der Berichte dokumentierte, wie ein Wärter einen Jungen packte und ihm drohte, ihn zu töten, sobald er außerhalb des Lagers leben werde. Andere sprachen davon, dass die Kinder von den Wärtern geschlagen würden. Im September 2014 soll ein Mädchen aus Verzweiflung ihre Lippen zugenäht haben. Und ein Wärter soll dabei über sie gelacht haben. Ein anderer Aufseher hat angeblich nur längere Duschzeiten erlaubt, wenn er den Kindern dabei zusehen durfte.

Neuseeland hat angeboten, Flüchtlinge aufzunehmen

Nach den Veröffentlichungen Anfang August sprachen auch etliche aktuelle und frühere Mitarbeiter über den Missbrauch in den Lagern und riskierten damit nach australischem Recht eine strafrechtliche Verfolgung. Tausende Menschen demonstrierten in Australien, aber auch in London und Tokio gegen die Lager.

Trotz dieser Proteste und schlechter Umfragewerte in der Bevölkerung will die australische Regierung nach wie vor nicht von ihrer Position abweichen. Immigrationsminister Peter Dutton ging sogar so weit, die Berichte als "unwahr" zu bezeichnen. Er verwies darauf, dass Flüchtlinge sich ja sogar selbst anzünden würden, um nach Australien zu kommen. Im Mai hatten sich zwei Asylsuchende in Nauru aus Protest und Verzweiflung selbst entflammt — einer der Flüchtlinge starb, eine Frau wird noch immer im Krankenhaus behandelt.

Dabei würde eine humanere Lösung viel näher liegen, ohne dass Australien seine Politik verändern müsste. Denn Australiens Nachbar Neuseeland hat wiederholt angeboten, die Flüchtlinge aus den Pazifik-Lagern bei sich im Land aufzunehmen und das Dilemma auf diese Weise zu lösen. Doch auch das lehnt Australien vehement ab. Die Schmuggler könnten dies als neues Marketing nutzen, heißt es.

(RP)
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