Sozialisten befürchten fehlende Mehrheit Französische Regierung will bei Reformen Parlament umgehen

Paris · Wegen einer unsicheren Mehrheit will die sozialistische Regierung in Paris ihre Wirtschaftsreform per Dekret erlassen, vorausgesetzt es gibt kein Misstrauensvotum. Jetzt ist die Opposition am Zug.

Das ist Frankreichs neuer Premier Manuel Valls
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Foto: afp, AJ/PSM

Die französische Regierung will grundlegende Wirtschaftsreformen per Dekret erlassen und damit eine Parlamentsabstimmung vermeiden. Ministerpräsident Manuel Valls kündigte den Erlass am Dienstag in Paris an.

Frankreichs sozialistische Regierung riskiert eine Misstrauensabstimmung, um ein umstrittenes Reformgesetz auch gegen massiven Widerstand aus den eigenen Reihen durchzubringen. Weil eine parlamentarische Mehrheit für das Gesetz unter anderem zur Ausweitung der Sonntagsöffnungszeiten unsicher erschien, entschloss sich Premier Manuel Valls am Dienstag überraschend für dieses höchst seltene politische Manöver. Die Opposition sprach von einem Offenbarungseid der Regierung.

Konkret bediente sich Valls des Artikels 49-3 der französischen Verfassung. Dieser sieht die Annahme eines Gesetzes ohne Abstimmung in der Nationalversammlung vor, wenn nicht binnen 24 Stunden ein Misstrauensantrag gegen die Regierung eingebracht wird und anschließend eine Mehrheit findet. Der Artikel darf bei Haushaltsgesetzen genutzt werden, bei anderen Gesetzen höchstens ein Mal im Jahr. Zuletzt hatte eine französische Regierung 2006 von Artikel 49-3 Gebrauch gemacht.

Im Streit um das Reformgesetz von Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, das auch eine Liberalisierung des Busfernverkehrs vorsieht, sah die sozialistische Regierung aber keinen anderen Ausweg. "Es gibt wahrscheinlich eine Mehrheit für diesen Text, aber sie ist unsicher", sagte Valls in der Nationalversammlung. "Ich werde kein Risiko eingehen."

Die konservative Oppositionspartei UMP von Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy brachte postwendend noch am Dienstagabend einen Misstrauensantrag ein. Über den Antrag soll am Donnerstagabend in der Nationalversammlung abgestimmt werden. Sollte er erfolgreich sein, müsste die Regierung zurücktreten.

Dass es tatsächlich so weit kommen wird, gilt aber als ausgeschlossen. Sowohl die linken Abweichler aus den Reihen der Sozialisten, die nicht für das Macron-Gesetz stimmen wollen, wie auch die Grünen wollen keinen Sturz der Regierung und werden daher voraussichtlich nicht gegen das Kabinett stimmen.

Anders sah dies bei Macrons Reformgesetz aus. Die meisten der etwa 30 bis 40 sozialistischen Abweichler, die meisten Grünen, fast alle Konservativen, eine Reihe von Zentrumsvertretern sowie Linkspartei und Kommunisten hatten angekündigt, gegen das umstrittene Reformgesetz stimmen zu wollen.

Während vielen im linken Lager die Pläne zur Ausweitung der Sonntagsöffnungszeiten zu weit gehen, wenden sich die Konservativen insbesondere gegen Pläne einer Liberalisierung bei geschützten Rechtsberufen wie den Notaren. Den ganzen Dienstag über zählte die Regierung fieberhaft, ob sie mit einer Mehrheit für das Reformgesetz rechnen kann.

Die Entscheidung, auf Artikel 49-3 zurückzugreifen, erfolgte nur kurz vor der für den späten Nachmittag geplanten Abstimmung. Zunächst berief Staatschef François Hollande eilig eine Sondersitzung des Kabinetts ein, um grünes Licht für diesen Weg zu geben. Die Entscheidung, den Artikel tatsächlich zu nutzen, fiel dann in einem Telefonat zwischen Valls und Hollande, wie es aus dem Elysée-Palast hieß.

Oppositionschef Sarkozy erklärte anschließend, der Tag habe gezeigt, dass es "weder eine (Regierungs-)Mehrheit noch eine Regierung" mehr gebe. Die Chefin der rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen, verlangte einen Rücktritt der Regierung Valls.

Das Macron-Gesetz gilt als Symbol für die Reformbereitschaft der sozialistischen Regierung. Zudem ist der Text als erstes großes Gesetzesvorhaben von Macron auch für den als eher wirtschaftsliberal geltenden Wirtschaftsminister persönlich ein wichtiges Projekt.

(AFP)
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