Pressestimmen "Das Kalkül des Front National ist rundum aufgegangen"
Der Triumph der rechtsextremen Front National bei der ersten Runde der Regionalwahlen in Frankreich am 6. Dezember 2015 beschäftigt auch die Kommentatoren im In- und Ausland. Ein Blick in die Zeitungen und Online-Portale.
Le Figaro (Frankreich): "Der Zorn der Bürger über die Machtlosigkeit und die Niederlagen der Regierungen der letzten Jahrzehnte hat sich langsam entwickelt, doch Präsident François Hollande hat das traurige Privileg, diesen Zorn zum Ausbruch gebracht zu haben. Die Front National ist jetzt zweifellos erste Partei Frankreich. Ihr Erfolg ist von einer Regionalwahl zur nächsten sprunghaft angestiegen. Für die Linke wie für die Konservativen ist dies eine Niederlage. Für Frankreich ist es ein Sprung ins Unbekannte. Die politischen Folgen werden weit über die Ergebnisse der zweiten Wahlgangs hinaus ihre Spuren hinterlassen. Das politische Frankreich besteht jetzt aus drei Teilen. Das wird auf Dauer die traditionellen Parteien schwächen, die jetzt schon völlig ratlos erscheinen."
sueddeutsche.de: "Die spinnen, die Franzosen? Vorsicht, das Ergebnis vom Sonntag ist kein Irrläufer. Die Stimmen für Le Pen sind nicht etwa einem jähen Wutausbruch auf die politischen Eliten geschuldet. Oder nur Folge einer Welle von Angst und Terrorschrecken nach den Attentaten des 13. Novembers. Nein, die FN-Werte steigen seit Jahren: stetig, kräftig, scheinbar unaufhaltsam. Die Gründe finden sich nicht beim FN selbst. Suchen muss man die Ursachen der Malaise bei jenen, die seit Jahrzehnten die Macht in der V. Republik unter sich aufteilen: bei Sozialisten und Republikanern, bei ihren aktuellen, gleichwohl längst verbrauchten Helden Francois Hollande und Nicolas Sarkozy."
Rheinische Post: "Der dünne Damm, der Rechtsbürgerliche noch davon abhielt, für die radikal europa- und einwanderungsfeindliche Partei zu stimmen, ist gebrochen. Seit den Anschlägen des 13. November sehen noch mehr Wähler in Marine Le Pen mit ihren dumpfen, islamfeindlichen Parolen die Lösung für die bedrohte Sicherheit des Landes. Der FN hat sich als stärkste Kraft Frankreichs etabliert."
Guardian (Großbritannien): "Unter der Führung von Marine Le Pen hat die Front National langsam an Stärke gewonnen. Mit diesem Erfolg bei den Regionalwahlen hat sie nun die Möglichkeit, an die Macht zu kommen. Wenn sie eine oder mehrere Regionalregierungen kontrolliert, kann sie sich zu einer potenziellen Regierungspartei entwickeln, und Le Pen hat ihren Blick eindeutig auf die Präsidentenwahl 2017 gerichtet. Präsident François Hollande hat nach den Anschlägen vom 13. November in Paris möglicherweise neue Unterstützung gewonnen, doch seine sozialistische Regierung hat in wirtschaftlicher Hinsicht kläglich versagt. Die Politik ist so gegensätzlich geworden, dass eine Allianz zwischen den Sozialisten und den Republikanern von (Ex-Präsident) Nicolas Sarkozy bei der zweiten Runde höchst unsicher erscheint."
Libération (Frankreich): "Die Rechtsextremen können in der zweiten Runde in mehreren Regionen die Wahl gewinnen und so den Wähler daran gewöhnen, dass die Front National (FN) die Geschäfte führt. Ein Drittel der Franzosen hat die Front National gewählt, aber zwei Drittel lehnen ihre Politik ab. Unter diesen Voraussetzungen muss sich die klassische Logik des wichtigsten Feindes durchsetzen. Jeder wirkliche Republikaner muss einsehen, dass ihm das Schlimmste noch bevorsteht. Deshalb muss er alles tun, um das zu verhindern."
tagesschau.de: "So oder so wird der Paukenschlag von gestern aber nicht so einfach verhallen. Die Regionalwahlen gelten als Stimmungstest für die Präsidentschaftswahlen 2017. Das Ergebnis des ersten Wahlgangs sollte bis dahin Warnung und Handlungsauftrag zugleich sein. Verbohrte Ausländerfeinde und Europa-Gegner kann man zwar nicht umstimmen. Menschen, die aus Protest, Enttäuschung oder Verzweiflung den Front National wählen aber schon. Präsident Hollande und seine Regierung müssen es schaffen, den Franzosen das Gefühl zu geben, dass sie und ihr Land eine Zukunft haben. Das wird nicht einfach, aber es muss machbar sein. Sonst wird Frankreichs Zukunft nicht blau, weiß und rot sein, sondern schwarz."
Saarbrücker Zeitung: "Schon am Abend des 13. November war klar, dass in Frankreich nichts mehr so sein würde wie vorher. Dass sich nicht nur das Leben der Franzosen ändern würde, sondern auch das Gesicht des Landes. Wie dieses neue Frankreich aussehen wird, zeigt sich mit den gestrigen Regionalwahlen: Es ist ein Land, das zutiefst verunsichert ist, das Angst hat. Und in dieser Angst wendet sich knapp ein Drittel der Wähler einer Partei zu, die auf Nationalismus und Sicherheit setzt. Der rechtspopulistische Front National (FN) wurde gestern landesweit stärkste Kraft – wie schon bei den Europawahlen im vorigen Jahr. (.) Die Tochter von Parteigründer Jean-Marie Le Pen hat die Themen gesetzt in diesem Wahlkampf, auch für die kommenden Jahre."
zeit.de: "Das Wahlergebnis hat alle Chancen, in die Geschichte einzugehen als letzter und erneut missverstandener Warnschuss der französischen Wähler vor der eigentlichen, sich seit Jahren immer stärker abzeichnenden Katastrophe. Nämlich einem Wahlsieg Marine Le Pens bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017. Selbst ein sehr gutes Abschneiden der FN-Chefin ohne Sieg würde die französische Politik ganz neuen Zwängen unterwerfen. Diese Katastrophe ist heute wahrscheinlicher als je zuvor."
Rheinpfalz (Ludwigshafen): "Das Kalkül des Front National (FN) ist rundum aufgegangen. Ängste schüren und den Verängstigten Schutz durch Abschottung vom Rest der Welt versprechen, nach dieser Devise pflegen die Rechtspopulisten zu verfahren. Das Familienunternehmen Le Pen mit Parteichefin Marine und der aufstrebenden Nichte Marion Maréchal als Leitfiguren konnte es für die Regionalwahlen dabei belassen, die üblichen Beruhigungsmittel zu reichen - Feindbilder, bei deren Anblick Angst in Zorn umschlägt. Auch sie sind hinlänglich bekannt: Einwanderer, Muslime, Europa. Mehr hat es nicht gebraucht – und mehr hat der Front National ja auch nicht zu bieten. Das Programm der Rechtspopulisten ist nicht dazu angetan, angstbesetzte Probleme zu entschärfen, etwa dem Terror Einhalt zu gebieten oder einen Wirtschaftsaufschwung herbeizuführen."
Stuttgarter Zeitung: "Das Familienunternehmen Le Pen mit Parteichefin Marine und der aufstrebenden Nichte Marion Maréchal Le Pen als Leitfiguren, konnte es dabei belassen, die üblichen Beruhigungsmittel zu reichen, sprich: Feindbilder, bei deren Anblick Angst in Zorn umschlägt. Auch sie sind hinlänglich bekannt: Einwanderer, Muslime, Europa. Mehr hat es nicht gebraucht – und mehr hat der Front National ja auch nicht zu bieten. Das Programm der Rechtspopulisten ist nicht dazu angetan, Probleme zu entschärfen, etwa dem Terror Einhalt zu gebieten oder die Wirtschaft voranzubringen. Terroristen werden sich von Schlagbäumen nicht aufhalten lassen. Wenn die propagierte Abschottung etwas bewirkt, dann den Ruin der zu 50 Prozent international verflochtenen französischen Wirtschaft."
Aachener Nachrichten: "Alle Befürchtungen haben sich bewahrheitet: Frankreich rückt nach dieser Regionalwahl eindeutig nach rechts. Marine Le Pen beweist mit dem Ergebnis, dass sie es im Gegensatz zu ihrem Vater geschafft hat, den Front National für viele Menschen wählbar zu machen. Die rechte Partei profitiert dabei sicher von der aktuellen Terrorangst der Franzosen. Regionale Themen haben diese Wahl kaum bestimmt. Wie sollten sie es auch? Liegen doch die fürchterlichen Attentate von Paris nicht einmal einen Monat zurück. Seit dem 13. November hat sich in Frankreich vieles verändert. Die Franzosen stehen unter Schock. Sie haben Angst vor dem islamistischen Terror. Vor diesem Hintergrund fruchten Le Pens Parolen gegen eine Islamisierung, für einen Aufnahmestopp von Flüchtlingen und außerdem für eine Abschaffung des Schengenraums. In Zeiten der Angst funktionieren diese simplen Parolen noch besser als ohnehin schon."
Mannheimer Morgen: "Nach der zweiten Runde am nächsten Sonntag könnte die Le-Pen-Partei mehrere Regionen in Frankreich regieren. Aus der Protest- und Randströmung, gegründet vom bekennenden Antisemiten Jean-Marie Le Pen, ist unter seiner Tochter eine Partei der Mitte geworden. Das bedeutet eine neue Etappe für Marine Le Pen, die langfristig anvisiert, Präsidentin Frankreichs zu werden. Ist das wirklich noch undenkbar, wie früher bei ihrem Vater? Die Erklärungen für diese Entwicklung sind vielfältig. Sie reichen von einer durchaus verbreiteten Ablehnung von Ausländern und Muslimen bis hin zur totalen Enttäuschung der Wähler von den traditionellen Parteien. Welchen Anteil darüber hinaus die Schockwirkung der Terroranschläge von Paris hatte, darüber lässt sich nur spekulieren."
Badische Zeitung: "Frankreichs Rechtspopulisten kassieren den Lohn der Angst. Er ist noch üppiger ausgefallen, als die Meinungsforscher in ihren düstersten Prognosen prophezeit hatten. Das Kalkül des FN ist rundum aufgegangen. Ängste schüren und den Verängstigten Schutz durch Abschottung vom Rest der Welt versprechen, nach dieser Devise pflegen die Rechtspopulisten zu verfahren."
Westfalenpost: "In Zeiten des Umbruchs haben es Schwarz-Weiß-Maler und Propagandisten einfacher Lösungen leichter. Was dagegen hilft: Schwierigkeiten nicht verschweigen, sondern bekämpfen. Frankreich hat seine sozialen und ökonomischen Probleme jahrzehntelang verdrängt. Und hierzulande muss dringend das Vertrauen zurückkehren, dass die Behörden die Flüchtlingskrise im Griff haben. Dann hören die europäischen Nachbarn auch wieder besser zu."
Landeszeitung (Lüneburg): "Der klare Sieg der rechtsextremen Front National bei der ersten Runde der französischen Regionalwahlen ist alles, nur keine Überraschung. Schon seit Jahren wächst der rechte Rand in die Mitte der Gesellschaft. Und spätestens seit den Terroranschlägen von Paris war klar, dass diese Tendenz nicht gestoppt wird. Marine Le Pen trieb ein perfides Spiel mit den Ängsten der Bürger. Und reiht sich damit ein in die Liste der Populisten,der Rechstextremen, der Demagogen in Europa, deren Erfolge allesamt auf der Angst vor Überfremdung der eigenen Nation und dem islamistischen Terror basieren. Diese gleichermaßen bedenkliche wie erschreckende Entwicklung scheint eine noch größere Herausforderung als die Flüchtlingskrise zu werden."
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