Sigmar Gabriel in Israel Verwerfung statt Vermittlung

Jerusalem · Außenminister Sigmar Gabriel wollte in Israel für eine Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses werben. Stattdessen kommt es zum Eklat. Israels Ministerpräsident Netanjahu hat das Treffen mit Gabriel abgesagt.

Sigmar Gabriel zu Besuch in Israel
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Foto: dpa, bvj jai

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lässt seinen Gast aus Deutschland lange warten, bis er für Klarheit sorgt. Erst gut zwei Stunden vor dem geplanten Treffen teilt er Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) über die deutsche Botschaft mit, dass er ihn nicht empfangen möchte. Gabriel wusste zwar schon vorher von der Absage — aber nur aus den israelischen Medien, wie er beteuert.

Der Grund für die in der internationalen Politik absolut außergewöhnlichen Brüskierung: Gabriel hat am Dienstagnachmittag noch eine andere Verabredung, die ihm auch sehr wichtig ist. Er trifft eine Handvoll Friedensaktivisten, die sich kritisch mit der hoch umstrittenen Siedlungspolitik Israels in den palästinensischen Gebieten auseinandersetzen.

Breaking the Silence (Die Stille brechen) etwa befragt Militärangehörige zu ihren Erlebnissen im Westjordanland und dem Gazastreifen und veröffentlicht die Aussagen anonym. Betselem dokumentiert unter anderem Gewalt von Siedlern gegen Palästinenser und die Zerstörung von Häusern von Palästinensern.

Dass Treffen deutscher Minister mit Regierungskritikern in China, Russland oder der Türkei bei den Gastgebern für Unmut sorgen, kennt man. Aber Israel? Die scharfe Reaktion Netanjahus ist erst einmal irritierend. Ganz überraschend trifft sie Gabriel aber nicht. Es gab Warnsignale.

Der belgische Ministerpräsident Michel hatte Breaking the Silence und Betselem im Februar ebenfalls getroffen — und bekam den ganzen Zorn Netanjahus zu spüren. Der Ministerpräsident ließ den belgischen Botschafter ins Außenministerium einbestellen und erklärte selbst, die belgische Regierung müsse entscheiden, "ob sie ihre anti-israelische Linie" fortsetzen wolle.

Gabriel hält die jetzige Absage in erster Linie für ein innerisraelisches Problem. "Ich denke, dass wir jetzt hier nicht zum Spielball der Innenpolitik Israels werden dürfen", sagt er in einem ersten Kommentar zu der Abfuhr Netanjahus. Die Absage sei aber "keine Katastrophe", betonte der Außenminister. "Mein Verhältnis zu Israel und das Verhältnis Deutschlands zu Israel wird sich jetzt in keiner Weise dadurch ändern."

Der israelische Regierungschef verteidigte seine Absage mit scharfen Worten. "Die Politik von Ministerpräsident Netanjahu ist, sich nicht mit ausländischen Besuchern zu treffen, die auf diplomatischen Trips in Israel wiederum Gruppen treffen, die israelische Soldaten als Kriegsverbrecher verleumden", teilte sein Büro mit.

Rückendeckung erhielt Netanjahu von Staatspräsident Reuven Rivlin, mit dem sich Gabriel traf. Rivlin warb um Verständnis für die Absage.
Israel als demokratischer Staat sei es gewöhnt, kritisiert zu werden, sagte er. Aber diese Kritik müsse auf dem Boden der Realität stattfinden. "Unsere Armee ist die moralischste Armee der Welt."

Das Treffen Gabriels mit den Menschenrechtsorganisationen fand am Abend wie geplant statt. Das Arbeitsklima für regierungskritische Organisationen hat sich nach deren eigener Aussage in den vergangenen eineinhalb Jahren in Israel deutlich verschärft. Sie werden immer wieder als Nestbeschmutzer und Verräter gebrandmarkt. Bereits Ende 2015 verbaten der israelische Erziehungs- und der Verteidigungsminister Breaking the Silence die Zusammenarbeit mit Schulen und dem Militär.

Im Sommer 2016 verabschiedete das israelische Parlament das umstrittene "Transparenz"-Gesetz. Danach müssen alle Organisationen in Israel, die mehr als die Hälfte ihres Geldes von ausländischen Regierungen erhalten, dies in allen ihren Veröffentlichungen ausweisen. Kritiker sagen, das Gesetz richtet sich vor allem gegen linke regierungskritische Organisationen.

Rechte Gruppen werden vielfach von Privatspendern unterstützt und müssen diese Zuwendungen nicht offenlegen. Die rechtsorientierte Justizministerin Ajelet Schaked (Siedlerpartei) erklärte damals, das Gesetz solle die Einmischung ausländischer Staaten in Israels Angelegenheiten unterbinden.

Das eigentliche Ziel der Gabriel-Reise, bei seinem Antrittsbesuch für eine Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses zu werben, ist mit dem Eklat gescheitert. Der Außenminister ist ein Freund Israels, mit einer jahrzehntelangen sehr persönlichen und sehr freundschaftlichen Beziehung zu dem Land. Er ist aber auch der Meinung, dass man sich unter Freunden auch mal kritisch die Meinung sagen muss.

Am Montagmorgen steht der Minister auf dem Skopus-Berg, gleich neben dem biblischen Ölberg, und schaut auf Ost-Jerusalem. Der Flickenteppich aus palästinensischen und jüdischen Siedlungsgebieten ist von hier aus gut zu besichtigen. Eine hohe Mauer zieht sich durch die blassgrünen Hügel. "Es ist eine sehr schwierige Situation, die jede wirkliche Zwei-Staaten-Lösung zerstören kann", sagt Gabriel zu seiner Führerin von der Organisation Ir Amin, die sich für ein friedliches Zusammenleben in Jerusalem einsetzt.

Israel eroberte im Sechs-Tage-Krieg 1967 unter anderem das Westjordanland und den Ostteil von Jerusalem. Ost-Jerusalem annektierte es später, das Westjordanland kontrolliert es zu weiten Teilen. Mittlerweile leben in dem Gebiet rund 600.000 israelische Siedler. Die Vereinten Nationen forderten im Dezember mit einer Resolution einen vollständigen Siedlungsstopp von Israel.

Die Bundesregierung hat die Siedlungspolitik zuletzt außergewöhnlich scharf kritisiert und die für Mai geplanten Regierungskonsultationen abgesagt. In israelischen Medien wurde das auf die Verärgerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Siedlungspolitik zurückgeführt. Gabriel glaubt nicht, dass es sich bei der jetzigen Absage um eine Retourkutsche handelt. Und er hofft, dass die deutsch-israelischen Beziehungen nicht nachhaltig geschädigt werden. "Das ist ja nicht der Abbruch der diplomatischen Beziehungen", sagt er.

Der nächste hochrangige Besuch aus Deutschland in Israel ist bereits geplant. Gabriels Vorgänger, der jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, kommt Anfang Mai nach Jerusalem. Ob er Menschenrechtsorganisationen treffen will, ist noch nicht bekannt. Es dürfte ihm aber nun schwer fallen, darauf zu verzichten, weil es als Rückzieher gewertet würde.

(rent/dpa)
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