Treffen der EU-Außenminister Gabriel schlägt Visumfreiheit für Erdogan-Kritiker vor

Valletta/Istanbul · Trotz der Kritik an Präsident Erdogan zeichnet sich keine Mehrheit für ein Ende der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ab. Bundesaußenminister Gabriel schlägt stattdessen etwas anderes vor – und provoziert damit neuen Ärger mit Erdogan.

 Bundesaußenminister Gabriel (SPD) in Valletta (Malta).

Bundesaußenminister Gabriel (SPD) in Valletta (Malta).

Foto: dpa, kno

Trotz der Kritik an Präsident Erdogan zeichnet sich keine Mehrheit für ein Ende der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ab. Bundesaußenminister Gabriel schlägt stattdessen etwas anderes vor — und provoziert damit neuen Ärger mit Erdogan.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel will türkischen Kritikern von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Einreise nach Deutschland erleichtern. "Warum machen wir nicht Visafreiheit für Intellektuelle, für Künstler, für Leute, die im Journalismus arbeiten", sagte der SPD-Politiker am Freitag am Rande von Beratungen der EU-Außenminister auf Malta. Solche Reiseerleichterungen würden für jenen Teil der Türkei gelten, "der gegen das Referendum gestimmt hat, der sich demokratisch entwickeln will". Es gehe jetzt darum, die demokratische Türkei zu stärken.

Für Erdogan dürften Visaerleichterungen für ausgewählte Bevölkerungsgruppen eine Provokation darstellen. Er kritisiert seit Monaten, die EU setze die der Türkei im Rahmen des Flüchtlingspaktes in Aussicht gestellte Visumfreiheit nicht um. Diese soll eigentlich für alle Türken gelten. Wie Reiseerleichterungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen konkret umgesetzt werden könnten, war zunächst nicht klar. Aus Diplomatenkreisen hieß es, es könnten zum Beispiel mehr Langzeit-Visa ausgestellt werden.

Erdogan beschuldigte die EU am Freitag erneut, beim umstrittenen Verfassungsreferendum das Lager seiner Gegner unterstützt zu haben. Er schlug bei einer Ansprache in Istanbul aber versöhnlichere Töne als sonst an. "Ihr habt die "Nein"-Kampagne unterstützt und verloren. Schließt dieses Thema jetzt ab." Erdogan rief Europa dazu auf, sich von jetzt an um bessere Beziehungen zur Türkei zu bemühen. "Wir öffnen unsere Tür, obwohl ihr diese Kampagne geführt habt."

Am Donnerstagabend hatte Erdogan die EU davor gewarnt, seinen Sieg bei dem Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems anzuzweifeln. "Wir können nicht einigen Institutionen und Staaten, darunter besonders der Europäischen Union, erlauben, über die Ergebnisse der Volksabstimmung vom 16. April die Demokratie unseres Landes infrage zu stellen", sagte er. Die türkische Nation habe ihren Willen zum Ausdruck gebracht, den jeder respektieren müsse.

Laut dem amtlichen Endergebnis gewann das Erdogan-Lager das Referendum knapp mit 51,4 Prozent. Damit kann nun die Umsetzung der Verfassungsreformen beginnen, die dem Präsidenten mehr Macht verleihen und 2019 abgeschlossen werden sollen. Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates hatten Unregelmäßigkeiten und eine Benachteiligung der Opposition beim Referendum bemängelt. Die Opposition hatte erfolglos die Annullierung des Referendums verlangt.

Trotz wachsender Kritik an Erdogan zeichnet sich in der EU weiter keine Mehrheit für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ab. Bei dem Treffen der EU-Außenminister auf Malta sprach sich am Freitag lediglich der Österreicher Sebastian Kurz klar für ein sofortiges Ende der 2005 begonnenen Gespräche aus. Gabriel und Vertreter anderer Staaten argumentierten dagegen, dass ein solcher Schritt mehr schaden als nützen würde.

Gabriel sagte: "Die deutsche Bundesregierung ist strikt dagegen, dass wir die Gespräche abbrechen." Man habe kein Interesse daran, dass die Türkei "in Richtung Russland geschoben wird". Ignorieren könne man die Entwicklungen in der Türkei aber auch nicht. "Kein Mensch glaubt, dass man einfach so weiter machen kann angesichts des Referendums, der Massenverhaftungen, der Verhaftung von Journalisten, nicht nur des deutschen Journalisten, angesichts der Ankündigung, die Todesstrafe wieder einzuführen."

Gabriel sagte, es liege an der Türkei, wie sich die Beziehungen zur EU weiter gestalten. "Wir wollen nicht die Tür zuschlagen, aber ob die Türkei durch die Tür gehen will, das muss die Türkei entscheiden.
Was wir auch nicht wollen, ist, das Spiel der türkischen Politik mitspielen, dass sozusagen wir die Türkei brüskieren und dann dort wiederum gesagt wird: guckt mal, die Europäer wenden sich von uns ab und wir wieder Spielball des Wahlkampfes werden."

Aus einigen EU-Staaten waren zuletzt verstärkt Forderungen nach einem einseitigen Abbruch oder Aussetzen der EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Land gekommen. Im ZDF-Politbarometer sprach sich eine klare Mehrheit der Deutschen (58 Prozent) wegen der innenpolitischen Lage in der Türkei für einen Abbruch der Verhandlungen über einen EU-Beitritt aus. Gabriel sagte, sowohl die Türkei als auch die EU wisse, dass ein Beitritt derzeit "nicht auf der Tagesordnung steht".

(wer/dpa)
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