Rebellen stehen im Zentrum von Tripolis Gaddafis Regime steht am Abgrund

Tripolis (RPO). Die 42-jährige Herrschaft von Libyens Machthaber Gaddafi steht offenbar kurz vor dem Zusammenbruch: Nach einer Offensive auf Tripolis kontrollierten die Rebellen am Morgen weite Teile der Hauptstadt, darunter den zentralen Grünen Platz. Wo sich Gaddafi aufhält, ist unklar. US-Präsident Obama forderte den Diktator auf, sein Amt sofort niederzulegen.

40 Jahre Gaddafi - eine Chronik des Schreckens
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Ein Korrespondent der AFP berichtete am Montagmorgen allerdings noch von heftigen Gefechten in der Nähe der Residenz von Machthaber Muammar el Gaddafi. Auch im Süden der Hauptstadt wurde nach wenigen Stunden Waffenruhe wieder gekämpft. Seit 6 Uhr waren Explosionen und das Feuer schwerer Waffen zu hören. Auch in der Nähe des Hotels, in dem die meisten ausländischen Journalisten untergebracht sind, gab es Gefechte.

Rebellensprecher Mohammed Abdel Rahman erklärte, Panzer seien am Montagmorgen von dem Gelände der Residenz Gaddafis gefahren und hätten geschossen. Rahman sagte, Gaddafis Soldaten stellten weiterhin eine Bedrohung für den Vormarsch der Rebellen dar.

Die libysche Revolutionsgarden, Gaddafis Leibgarde, habe ihre Waffen niedergelegt, sagte der Informationsminister der Rebellen, Mahmud Schammam. Der Anführer der für den Schutz Gaddafis und der Hauptstadt zuständigen Einheit der Streitkräfte "hat sich der Revolution angeschlossen und seine Soldaten angewiesen, ihre Waffen niederzulegen", sagte Schammam der AP. Einer der Rebellen, Mohammed al Sawi, sagte, die Aufständischen könnten noch in der Nacht den Grünen Platz in Tripolis erreichen.

Bilder des britischen Fernsehsenders Sky News zeigten bereits feiernde Gaddafi-Gegner auf dem Grünen Platz, auf dem sich in den Monaten zuvor immer die Anhänger des Machthabers versammelt hatten.

Die Rebellen kontrollierten offenbar auch den Sitz der staatlichen Telefongesellschaft im östlichen Vorort Tadschura. Handybesitzer erhielten eine SMS, mit der der Nationale Übergangsrat dem libyschen Volk "zum Fall von Muammar Gaddafi" gratuliert. Au

Während ihres Vormarschs lieferten sich die Rebellen schwere Kämpfe mit Gaddafi-Anhängern. Nach Angaben von Gaddafis Sprecher Mussa Ibrahim kamen 1300 Menschen in Tripolis ums Leben, eine unabhängige Bestätigung dafür gab es nicht. Einer der führenden Vertreter des Nationalen Übergangsrats, Mahmud Dschibril, warnte vor verfrühter Siegesfreude. In Tripolis und Umgebung leisteten Gruppen von Gaddafi-Getreuen nach wie vor Widerstand. Zugleich verlangte Dschibril "Verantwortungsbewusstsein" im Umgang mit dem gegnerischen Lager.

USA und Nato haben zum Erfolg beigetragen

Die USA haben einem Zeitungsbericht zufolge durch verstärkte Luftunterstützung offenbar einen erheblichen Teil zum Erfolg der libyschen Rebellenoffensive in Tripolis beigetragen. In den vergangenen Tagen hätten die USA rund um die Uhr aus der Luft die Gebiete überwacht, die noch unter Kontrolle der Streitkräfte von Machthaber Muammar el Gaddafi gestanden hätten, berichtete die "New York Times" am Sonntagabend auf ihrer Internetseite unter Berufung auf namentlich nicht genannte Regierungsvertreter.

Bewaffnete Predator-Drohnen hätten Einheiten Gaddafis aufgespürt, verfolgt und gelegentlich auf sie gefeuert. Zur gleichen Zeit hätten Spezialkräfte aus Großbritannien, Frankreich und anderen Ländern geholfen, die Kämpfer der Rebellen auszubilden und zu bewaffnen. Ein westlicher Diplomat sagte der "New York Times", allen sei bewusst gewesen, dass das Gaddafi-Regime an einen Punkt gelangen werde, an dem es seine Streitkräfte nicht mehr befehligen und kontrollieren könne.

Obama: Gaddafi muss Ende seiner Herrschaft anerkennen

US-Präsident Barack Obama hat Gaddafi und sein Regime aufgefordert, das Ende ihrer Herrschaft zu akzeptieren. Die Kämpfe zwischen den Rebellen und den Regierungstruppen hätten einen Wendepunkt erreicht und Libyen "entgleitet der Umklammerung eines Tyrannen", erklärte Obama am Sonntag. Der sicherste Weg, das Blutvergießen zu beenden, sei die Machtübergabe Gaddafis. Die Zukunft des Landes liege nun in der Hand des libyschen Volkes. Die USA würden in enger Abstimmung mit den Rebellen zusammenarbeiten und weiterhin darauf dringen, "dass die grundlegenden Rechte des libyschen Volkes respektiert werden".

IStGH-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo sagte der AP, Gaddafis Sohn Seif al Islam Gaddafi sei von "Spezialkräften" der Aufständischen festgenommen worden. Am Morgen werde mit den Rebellen gesprochen, sagte er. Seif al Islam Gaddafi wird von dem Gericht in Den Haag wie sein Vater und der libysche Geheimdienstchef der Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt. Die Rebellen berichten, dass sie zwei weitere Gaddafi-Söhne gefangen hätten.

Der TV-Sender El Dschasira strahlte am Montagmorgen ein kurzes Telefoninterview mit dem Gaddafi-Sohn Mohamed aus. Darin sagte dieser, er habe sich in sein Haus zurückgezogen. Während des Gesprächs war heftiger Gefechtslärm im Hintergrund zu hören. El Dschasira machte keinen Angaben dazu, wo sich das Haus des Gaddafi-Sohns befindet.

Über den Aufenthalt von Gaddafi selbst wisse er nichts, sagte Moreno-Ocampo. Der IStGH hatte im Juni einen Haftbefehl für Gaddafi ausgestellt. Der Machthaber wird den Richtern zufolge beschuldigt, zu Beginn des Aufstands die Gefangennahme sowie gewaltsame Übergriffe bis zur Tötung von Hunderten Zivilpersonen betrieben zu haben. Er soll versucht haben, die mutmaßlichen Verbrechen zu vertuschen.

De Maizière würde Bundeswehreinsatz in Libyen prüfen

Die Nato erklärte, Gaddafis Regime sei offensichtlich am Bröckeln. Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte am frühen Montagmorgen in Brüssel, die Zeit sei gekommen, ein neues, demokratisches Libyen zu schaffen. Die Nato werde die Truppen Gaddafis beobachten und bombardieren, falls die Zivilbevölkerung durch sie bedroht sei.

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hält einen Bundeswehreinsatz zur Stabilisierung Libyens für möglich. Auf die Frage, ob sich Deutschland nach einem Sieg der Rebellen an einer militärischen Stabilisierung Libyens beteiligen würde, sagte de Maizière unserer Redaktion: "Wenn es Anfragen an die Bundeswehr gibt, werden wir das konstruktiv prüfen, wie wir das immer tun."

Die deutsche Spezialeinheit GSG-9 ist nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" derzeit in Libyen im Einsatz. Die Elitepolizisten der Bundespolizei seien zum Schutz deutscher Diplomaten entsandt worden, berichtete das Magazin. Die Beamten hätten die Sicherheitsberatung des deutschen Verbindungsbüros in der Rebellenhochburg Bengasi übernommen, das Außenminister Guido Westerwelle (FDP) im Mai habe einrichten lassen.

Tripolis wird eingekesselt

Die Rebellen hatten am Samstagabend die "Operation Meerjungfrau" gestartet, mit der Machthaber Muammar el Gaddafi nach Angaben des Übergangsrates der Rebellen eingekreist werden sollte.

Im Osten Am Sonntagabend hatten die Rebellen den östlichen Vorort Tadschura unter ihrer Kontrolle, wie ein Augenzeuge sagte. Zwar werde das Viertel pausenlos von Gaddafis Truppen bombardiert, aber die Rebellen hätten weiterhin die Kontrolle.

Im Süden Zeitgleich sollen Einheiten aus dem Süden Tripolis näherrücken. Am späten Nachmittag war von einer Entfernung von 25 Kilometern die Rede.

Im Westen Einem Bericht der Nachrichtenagentur AP zufolge trafen Kampfeinheiten der Rebellen am Abend ohne auf Widerstand zu stoßen in westlichen Randbezirken der Hauptstadt ein. Im Vorort Dschansur seien sie von jubelnden Menschen begrüßt worden.

Wie verhält sich die Nato?

Ein Rebellensprecher forderte die Nato am Sonntag auf, in Tripolis Kampfhubschrauber gegen die Gaddafi-treuen Truppen einzusetzen. "Wir fordern mehr Apache-Aktionen", sagte der Botschafter der libyschen Aufständischen in den Vereinten Arabischen Emiraten, Aref Ali Najed. Bei Apaches handelt es sich um Kampfhubschrauber des US-Heeres.

Die grundsätzliche Strategie sei in den vergangenen Tagen nicht verändert worden, teilte die Nato mit. "Die anhaltende und gemeinsame Aktion der Nato zeigt eine offensichtliche Wirkung", sagte Nato-Sprecher Oberst Roland Lavoie am Sonntag. "Die Gaddafi-treuen Truppen verlieren Stück für Stück ihre Fähigkeit zu befehlen, zu kämpfen und durchzuhalten."

Die Nato erklärte am Sonntagabend, die Gaddafi-Regierung falle in sich zusammen. "Was wir heute abend sehen, ist das Zerbröckeln des Regimes", sagte Nato-Sprecherin Oana Lungescu in Brüssel. "Je früher Gaddafi einsieht, dass er nicht gewinnen kann, desto besser ist das für alle", fügte sie hinzu.

Wo Gaddafi sich aufhält, ist unklar

Am Nachmittag kursierten Gerüchte, der Machthaber sei aus Tripolis geflohen und habe sich nach Algerien abgesetzt. Erhärten ließen sich die Gerichte nach. Wo sich der libysche Machthaber derzeit aufhält, ist unklar.

Das libysche Fernsehen strahlte am Sonntagabend eine Tonbotschaft Gaddafis aus, in der er damit drohte, die Hauptstadt anzuzünden. Ungeachtet des Vormarschs der Rebellen sagte Gaddafi, er werde "siegreich" aus dem Kampf um Tripolis hervorgehen. "Wir werden nicht aufgeben. Wir werden Tripolis nicht den Besatzern und ihren Agenten überlassen. Ich bin mit euch in dieser Schlacht."

Gaddafi kündigte an, "bis zum Ende" in der Hauptstadt Tripolis bleiben zu wollen. Er rief seine Anhänger auf, die Hauptstadt zu befreien. Der seit 41 Jahren herrschende Machthaber kündigte an, dazustoßende Unterstützer mit Waffen zu versorgen. Er habe Sorge, "dass Tripolis brennen wird", sagte Gaddafi. Es war bereits die zweite Audiobotschaft in weniger als 24 Stunden.

Gaddafi-Vertraute fliehen

Der libysche Ministerpräsident Al Baghdadi Al Mahmudi hat sich nach Angaben der Aufständischen möglicherweise ebenfalls von Machthaber Muammar al Gaddafi losgesagt. Der Regierungschef halte sich in einem Hotel in Tunesien auf, sagte ein Rebellensprecher in London. Am Sonntag hatte Italien das Eintreffen des früheren Gaddafi-Vertrauten und ehemaligen Regierungschefs Abdel Salam Dschallud bestätigt. Die frühere Nummer zwei des Machthabers hat sich den Aufständischen zufolge von Gaddafi losgesagt.

Pläne für die Zeit danach

Angesichts ihrer Erfolgsmeldungen von der Front nahmen Vertreter der Rebellen in Dubai Planungen für die Zeit nach Gaddafi auf. Ziel sei es, die Lage in dem nordafrikanischen Land nach einer Vertreibung von Gaddafi zu stabilisieren, hieß es. Der Vorsitzende eines sogenannten Stabilisierungsteams in Dubai, Ahmed Dschehani, sagte am Sonntag, eine Übergangsphase sei bereits eingeleitet.

(apd/AFP/RTR/pst)
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