März 2017 Die Niederlande stehen vor einer Schicksalswahl

Amsterdam · Im März wählt unser Nachbarland ein neues Parlament. Die Wirtschaft wächst zwar, aber unter der Oberfläche brodeln Probleme. Die Einwanderung hat die Wähler zudem misstrauisch und die Rechtspopulisten siegessicher gemacht.

 Geert Wilders ist Chef "Freiheitspartei" (PVV). (Archiv)

Geert Wilders ist Chef "Freiheitspartei" (PVV). (Archiv)

Foto: afp, RP

Einige Niederländer werden ihren Ministerpräsidenten Mitte Januar einfach überblättert haben. Im Gewand einer ganzseitigen Anzeige in einigen bedeutenden Zeitungen war ein halber Mark Rutte zu sehen, dessen Kopf sich an einen Brief anschmiegte, den der Premier "An alle Niederländer" adressiert hatte. Kernbotschaft des Schreibens: Seid normal oder geht.

Rutte rechnete mit denjenigen ab, die sich nicht anpassen wollen, die - wie er schreibt - andere misshandeln, auf der Straße randalieren und die glauben, stets Vorrang zu haben. Ruttes Worte waren wenig konkret, aber drastisch. Eigentlich überhaupt nicht Rutte-haft. Es klang mehr nach Geert Wilders. Der Chef der rechtspopulistischen "Freiheitspartei" (PVV) dominiert in den Niederlanden derzeit die gesamte politische Debatte mit seinen Hetztiraden gegen Ausländer und Andersdenkende. Ob Rutte gemerkt hat, dass Wilders mit seinem Getöse Wähler generiert und deshalb Trittbrett fahren möchte? Möglich. Doch es könnte zu spät sein.

Rutte feierte kleine Erfolge

In seiner zurückliegenden Amtszeit widmete sich Mark Rutte nahezu ausschließlich der niederländischen Wirtschaft - mit gewissem Erfolg. Die Staatsverschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) drückte Rutte bis Ende 2016 auf knapp 62 Prozent, nach einem Hoch von 68 Prozent im Jahr 2014. In diesem Jahr soll die 60-Prozent-Marke erreicht werden. Mit ihrem Wirtschaftswachstum gehören die Niederlande derzeit zur Spitze in Europa. Verglichen zum Vorjahreszeitraum betrug das Wachstum im vergangenen Dezember 2,4 Prozent. In anderen europäischen Ländern ist das Wachstum für denselben Zeitraum deutlich niedriger.

Auch dem Arbeitsmarkt geht es auf den ersten Blick bestens. Die Arbeitslosenquote lag Ende 2016 saisonbereinigt bei 5,4 Prozent. Die Freude über eine Arbeitsstelle spiegelt sich in der Kauflaune wider: Im Januar lag der Wert des Konsumklima-Indexes bei 13 Punkten - Höchststand, meldete jüngst die Statistikbehörde CBS.

Die Niederlande als starker Wirtschaftsmotor? Leider nur oberflächlich. Der Spargedanke von Premier Rutte lässt zwar den Staat mittlerweile wieder wirtschaftlich gut dastehen, doch insbesondere die privaten Haushalte haben Schulden in Höhe von rund 230 Prozent der Wirtschaftsleistung angehäuft. Es ist mit die höchste Quote in Europa und doppelt so hoch wie in Deutschland. Die Hypotheken der Niederländer übersteigen 100 Prozent des BIP. Dazu klettern die Immobilienpreise scheinbar unaufhaltsam in die Höhe. In der Hauptstadt Amsterdam steigen sie im Jahr durchschnittlich um 14,4 Prozent. Der Trend gilt vor allem für die beliebte Provinz Nordholland.

Viele Niederländer arbeiten als Ich-AG

Und ein genauerer Blick in den Arbeitsmarkt relativiert die dortige euphorische Stimmung. Denn eine Million Niederländer sind mittlerweile als Solo-Selbstständige unterwegs. Die Ich-AG verhilft den Beteiligten dabei nur in sehr seltenen Fällen zu einem Einkommen oberhalb des Niedriglohnsektors. Die Zahl der Beschäftigten mit Zeitverträgen ist ebenfalls enorm gestiegen. Gerade die Jugend kann nur selten auf eine Festanstellung hoffen.

Als Mann des Volkes hatte sich Rutte zu Beginn seiner Amtszeit inszeniert - wie wohl jeder Ministerpräsident vor ihm. Doch Ruttes Sparwut vernebelte seinen klaren Blick auf die tatsächlichen Sorgen und Wünsche seiner Landsleute. 2015 hatte Rutte eigentlich versprochen, den kriselnden Griechen keinen Cent mehr zu geben. Er brach sein Versprechen. Als eine Mehrheit der Niederländer im Frühjahr 2016 dem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine in einer Volksabstimmung eine Absage erteilte, beteuerte Rutte, Volkes Willen umzusetzen. Doch kurz danach ruderte er zurück. "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir einen großen Fehler begehen, wenn wir den Prozess der Ratifizierung zum Entgleisen bringen", schrieb er Ende Oktober in einem Appell an die Öffentlichkeit. Seitdem ist wenig passiert. Selbst die Spaltung der Gesellschaft durch die Flüchtlingskrise und die daraus resultierende Sicherheitsdebatte verkannte Rutte - im Gegensatz zu seinem ärgsten Widersacher Geert Wilders, dessen PVV die Umfragen anführt und Ruttes VVD damit abgestraft hat.

Wilders setzt auf ein extremes Wahlprogramm: alle Moscheen schließen, den Koran verbieten, Grenzen dicht, keine Muslime mehr ins Land und Austritt aus der EU. Dass er damit jedwede Koalitionspartner verschreckt, weiß Wilders. Aber er weiß auch, dass letzten Endes eine Regierung stehen muss. Daher drohte er bereits mit einem "Aufstand des Volkes", wenn er als stärkste Kraft isoliert würde.

Was erreicht die Migrantenpartei Denk?

Mit der Regierungsbildung dürfte es in diesem Jahr aber besonders schwer werden, denn die Parteienlandschaft war noch nie so zersplittert, der Ton unter den Politikern noch nie so rau. 81 Parteien meldeten sich für die Parlamentswahl. 31 reichten eine Kandidatenliste ein. Aber schon jetzt sind im Parlament 17 Fraktionen vertreten. Allein aus der Protestbewegung um das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine gingen zuletzt drei neue EU-kritische Parteien hervor. Als Antagonist zu Wilders entstand im Frühjahr vergangenen Jahres die Migrantenpartei Denk.

Auch innerhalb der politischen Lager ist vieles im Umbruch: 104 Kandidaten für die Parlamentswahl waren zuletzt noch bei einer anderen Partei. So mancher wechselte gar zum einstigen Erzfeind und brach mit seinen Parteikollegen. Rassismus-Vorwürfe sind alltäglich, die Polarisierung geht längst nicht mehr nur von Geert Wilders aus, wenngleich er in diesem Metier noch die unangefochtene Nummer eins ist.

Für die Niederlande wird der 15. März nun also zum Schicksalstag. Auch die Europäische Union blickt angespannt auf die Wahl - sie ist die erste von drei richtungweisenden für das Staatenbündnis in diesem Jahr.

(jaco)
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