Ägypten Geistlicher verhängt Schleierverbot im Klassenzimmer

Kairo (RPO). Das ist ein kleiner Schritt in Richtung Revolution. Schülerinnen und Lehrerinnen an religiösen Schulen in Ägypten sollen sich nicht mehr hinter dem Schleier verbergen - zumindest nicht, wenn sie unter sich sind.

 Solch eine "Nikab" habe mit dem Islam nichts zu tun, erklärt der Geistliche.

Solch eine "Nikab" habe mit dem Islam nichts zu tun, erklärt der Geistliche.

Foto: AP, AP

Der höchste muslimische Geistliche Mohammed Sajjed Tantaui hat das Tragen des Nikab genannten Gesichtsschleiers in Teilbereichen der Al-Aschar-Lehranstalten verboten, der führenden sunnitischen Bildungseinrichtung. Der Nikab habe mit dem Islam nichts zu tun, findet Tantaui.

"Das Gesicht einer Frau ist keine Schande", hatte der Scheich der Al-Aschar schon vor Tagen erklärt. Das Vollschleierverbot ist Teil der Bemühungen der ägyptischen Regierung, die Ausbreitung radikalislamistischer Tendenzen einzudämmen. Tantauis Ankündigung hatte einen Aufschrei der Empörung unter Erzkonservativen ausgelöst, die sie als Angriff auf ihren Glauben betrachteten. Auch manche Bürgerrechtler befürchteten einen Verstoß gegen die Freiheitsrechte.

Das am Donnerstag verhängte Verbot des Schleiers, der nur einen Sehschlitz über den Augen offen lässt, fiel dann doch nicht so umfassend aus wie von manchen erwartet. Es gilt für die Klassenzimmer und Wohnheime der Al-Aschar-Bildungsinstitute - an denen ohnehin Geschlechtertrennung herrscht. Auf den Schulhöfen, versicherte Tantaui, bleibe der Gesichtsschleier erlaubt.

"Richtiges Glaubensverständnis"

Al-Aschar unterstehen parallel zum öffentlichen Bildungssystem mehr als 8.000 vorwiegend religiös orientierte Schulen mit über einer Million Schülern und Schülerinnen. Absolventen können später die renommierte Al-Aschar-Universität besuchen.

Tantaui begründete seine Entscheidung für ein Teilverbot mit einem Verfassungsurteil von 1996, wonach Vertreter des Bildungswesens über die muslimische Kleiderordnung an Schulen bestimmen dürfen. Ziel sei, damit "Vertrauen und Harmonie" zu verbreiten, "und das richtige Glaubensverständnis bei den Mädchen".

Die heikle Frage, wie weit sich Frauen in der Öffentlichkeit zu verhüllen haben, ist unter Islam-Gelehrten sehr umstritten. Nach Ansicht der meisten ist der Gesichtsschleier nicht vorgeschrieben, sondern lediglich eine Sitte, die auf Stammesbräuche vorislamischer Zeit zurückgeht. Die große Mehrheit der Ägypterinnen trägt zwar Kopftuch. Nur wenige aber legen den Nikab an, der beispielsweise in Saudi-Arabien mit seiner strengen wahhabitischen Glaubensrichtung üblich ist.

Verbot weniger umfassend als erwartet

Allerdings geht auch in Ägypten der Trend zum Nikab, so dass die Regierung versucht, öffentliche Einrichtungen davon frei zu halten. Ein vollständiges Verschleierungsverbot wurde vom Obersten Gericht für verfassungswidrig erklärt: Es gab einer Wissenschaftlerin recht, die wegen des Nikabs nicht die Bibliothek der Amerikanischen Universität benutzen durfte und 2001 Klage erhob.

Für Hossam Bahgat, Leiter einer Bürgerrechtsinitiative, verstößt Tantauis Entscheidung nicht gegen Freiheitsrechte, weil der Nikab nicht gänzlich verboten sei und nur an Orten abgelegt werden müsse, wo ohnehin keine Männer seien. "Das ist viel begrenzter, als es sich zunächst angehört hat", befand er.

Auch kanadische Muslime wollen Schleier lüften

Während Tantaui in Kairo den Schleier zu lüften begann, forderten Muslime auch in Kanada ein Verbot. Die Komplettverhüllung mit dem Nikab oder der Burka, bei der der Sehschlitz auch noch vergittert ist, sei mittelalterlich und frauenfeindlich, kritisierte der Kongress kanadischer Muslime. Fortschrittliche Muslime müssten sich für Gleichberechtigung einsetzen, erklärte der Gründer der Gruppe, Tarek Fatah.

(AP/jt)
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