Helmut Michelis in Ruanda (4) Gorillas und Sonnenenergie

Kigali · 20 Jahre nach dem Völkermord in Ostafrika hat unser Autor Helmut Michelis Ruanda bereist. Er traf mutige Menschen und sah Zeugnisse schrecklicher Verbrechen. In SOS-Kinderdörfern sah er Ruandas Hoffnung auf eine bessere Zukunft: Kinder, die in Frieden lesen und schreiben lernen. In vier Teilen berichtet der Autor von seinen Erlebnissen.

Helmut Michelis in Ruanda: Zu Besuch bei den Gorillas
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Helmut Michelis in Ruanda: Zu Besuch bei den Gorillas

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Ruandas Hauptstadt Kigali entspricht so gar nicht dem Klischee eines hoffnungslosen schwarzen Kontinents mit Kriegen, Hungernöten und Korruption. In der Stadt wird viel gebaut, die Straßen sind breit und auffällig sauber, gerade ist wieder ein Kehrtrupp unterwegs. Ob man nachts ungefährdet noch ein wenig bummeln könne, frage ich die ruandischen Gastgeber und ernte ein lautes Lachen: "Natürlich. Kigali ist die sicherste Stadt Afrikas."

Das Land etwa so groß wie Belgien hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Jedes Jahr will die Regierung von Präsident Paul Kagame 200.000 neue Arbeitsplätze schaffen; für die arme Landbevölkerung ist ein Programm aufgelegt, das jeder Familie mindestens eine Kuh als Besitz sichern soll. Ruanda plant, jährlich zweistellige Wirtschaftswachstumsraten zu erzielen, und setzt auf Investitionen in Wasserkraft, Erdwärme, Methangas aus dem Kiwu-See und Solarenergie. Das alles mag eine Spur zu ehrgeizig sein. Aber es ist ein Ziel, auf das die Bevölkerung erfolgreich eingeschworen ist. Und jeder Schritt dorthin ist ein Erfolg. Auch ein anspruchsvoller Tourismus soll in der ehemaligen deutschen Kolonie entstehen. So werden in Ruhengeri an der Grenze zu Uganda und dem Kongo Touren zu den Gorillas im Regenwald angeboten. Jede Affengruppe hat einen eigenen Namen. Eine Stunde mitten im wilden Rudel der Agashya-Gruppe — für mich ein unvergessliches Erlebnis.

Dank Kagames Nulltoleranz-Strategie beim Kampf gegen die Korruption steht Ruanda laut "Transparency International" inzwischen an viertbester Stelle in Afrika und, gemeinsam mit Lettland, auf Platz 49 in der Welt (Deutschland: Platz zwölf). Dem überall spürbaren Optimismus der Ruander zum Trotz sind aber die allgemeinen Rahmenbedingungen schwierig: Das Binnenland hat keinen Hafen und noch keine Eisenbahnanbindung; die hohen Transportkosten (Benzin kostet fast so viel wie in Deutschland) verteuern den Export stark. Bodenschätze gibt es kaum.

 Helmut Michelis in Ruanda.

Helmut Michelis in Ruanda.

Foto: Louay Yassin

So konzentriert sich Ruanda auf sich selbst, das fruchtbare grüne Bergland hilft bei der Nahrungsmittelproduktion. "Der Anteil der Bevölkerung, die unterhalb der Armutsgrenze lebt, konnte in fünf Jahren um zwölf Prozentpunkte auf 45 Prozent gesenkt werden", heißt es in einem Bericht der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die im staatlichen Auftrag Entwicklungshilfe leistet. Es gibt eine Krankenversicherung für alle, der Zugang zu sauberem Trinkwasser wurde verbessert, die Kinder- und die Müttersterblichkeit deutlich gesenkt. "Allerdings wird eines der zentralen Millenniumsziele, die Halbierung der extremen Armut, bis 2015 trotz der beachtlichen Erfolge schwer zu erreichen sein", schränkt die GIZ ein.

Noch lebt mehr als jeder zweite Ruander von weniger als 80 Cent am Tag, die Lebenserwartung beträgt nur 51 Jahre. Und mit 2,7 Prozent jährlich ist die Bevölkerungswachstumsrate weiterhin hoch, Flüchtlinge aus den Nachbarländern kommen hinzu.

Auf meinem Besuchsprogramm steht auch das SOS-Kinderdorf in Byumba, in 2400 Meter Höhe im Norden des Landes gelegen. Es wurde 1995 im Rahmen eines Notprogramms wegen des Genozids gegründet, um schnell einem Teil der Waisenkinder in der Region helfen zu können. 15 "Mütter" und neun "Tanten" kümmern sich hier um 134 Kinder. "Ich stehe um fünf Uhr morgens auf, mache das Frühstück und sorge dafür, dass die Kinder pünktlich zur Schule kommen. Dann wasche und putze ich, bewirtschafte unseren kleinen Garten und helfe den Kindern anschließend nachmittags bei den Hausaufgaben", schildert SOS-Mutter Charlotte, eine frühere Grundschullehrerin, ihren Tagesablauf. "Die Kleinen müssen nach Abendessen und Gebet pünktlich um acht Uhr ins Bett, die großen um zehn." Einen Tag in der Woche habe sie frei, die "Tante" übernehme dann ihre Aufgaben. Es sei ihr Traumberuf: "Ich liebe Kinder."

Einer ihrer Schützlinge ist die 13-jährige Immaculee — auch ihre leibliche Mutter ist psychisch krank und musste sie ins Kinderdorf geben. Das ernsthafte Mädchen weiß genau, was es werden will: "Gesundheits- oder Sozialministerin. Denn ich will schwachen Mitmenschen helfen, ein besseres Leben führen zu können."

Dem Dorf angeschlossen ist ein Kindergarten mit 85 Plätzen. Schon hier wird Englisch gelehrt, denn Bildung ist für die Ruander der erklärte Schlüssel zum Erfolg. Löst ein an die Tafel gerufenes Kind die Aufgabe richtig, danken ihm die anderen mit einem fröhlichen Liedchen und klatschen begeistert. Für den Besucher wirkt das hochsymbolisch: Ruanda applaudiert sich und macht sich Mut.

(mic)
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