Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck in Athen Griechen wollen 100 Milliarden Euro von Berlin für NS-Terror

Athen · Zum Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck ist eine Diskussion um Entschädigungen für die deutsche Besatzung ausgebrochen.

Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck in Athen: Griechen wollen 100 Milliarden Euro von Berlin für NS-Terror
Foto: afp, MM

Heute wird Bundespräsident Joachim Gauck seine große europapolitische Rede im Akropolis-Museum von Athen halten. Er wird den Griechen Mut zusprechen, den Weg der Reformen weiterzugehen.

Er wird die Unterstützung des reicheren Nordens der Europäischen Union anmahnen und die Deutschen vor Überheblichkeit angesichts der Krise in Griechenland warnen.

Eines wird er mit Sicherheit nicht ansprechen — mögliche Reparationen Deutschlands für die Gräuel, die deutsche Soldaten und Einheiten der SS während der Besatzung im Zweiten Weltkrieg verübten.

Doch genau darum dreht sich derzeit eine breite Diskussion in der griechischen Öffentlichkeit. Maßgebliche Rechtsexperten, darunter sogar ein deutscher Professor, halten die Reparationsforderungen für juristisch durchaus angebracht.

Unterstützt werden sie von Abgeordneten des griechischen Parlaments, sogar von solchen der konservativen Nea Demokratia des derzeitigen Premierministers Antonis Samaras. Vor allem der griechische Professor für internationales Recht, Stelios Perrakis, setzt sich seit Jahrzehnten für Reparationszahlungen Deutschlands ein.

Griechen fühlen sich moralisch im Recht

Er räumt zwar ein, dass der Abschluss der Londoner Schuldenkonferenz von 1953 die Frage aller Entschädigungszahlungen auf die Zeit nach einem Friedensvertrag vertagt habe. Aber mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 sei dieser Zustand nun längst eingetreten.

Und moralisch fühlt sich Griechenland völlig im Recht. Bundespräsident Gauck trägt diesem Gefühl durchaus Rechnung. Gemeinsam mit seinem griechischen Amtskollegen Karolos Papoulias besucht er dessen Heimatstadt Ioannina.

Dort wird er der Ermordung griechischer Juden gedenken und in dem Dorf Lingiades an ein Massaker der deutschen Wehrmacht erinnern, bei dem am 3. Oktober 1943 über 80 Menschen ermordet wurden. Gaucks Worte werden sicher Balsam für die griechische Seele sein. Und zu ihrer Verantwortung für die von den Nazis begangenen Gräuel hat sich die Bundesrepublik stets bekannt.

Doch darüber hinaus wird keine Regierung in Deutschland bereit sein, Reparationsforderungen anzuerkennen. Das würde, so fürchten alle offiziellen Stellen, sofort eine Lawine weiterer Ansprüche auslösen, die Deutschland nicht abweisen könnte. Der deutsche Historiker Hagen Fleischer, der griechische Reparationsforderungen im Prinzip für richtig hält, sieht das ganz ähnlich. Er empfiehlt den Griechen daher, sich auf konkrete Forderungen zu stützen, die seiner Meinung nach noch nicht verjährt sind.

Umgerechnet 100 Milliarden Euro

Es geht dabei um einen Raubzug der Nazis bei der griechischen Notenbank im Jahr 1942. Damals entwendeten die Deutschen den Griechen alle Devisenreserven. Formell geschah das mittels eines Zwangskredits bei der griechischen Zentralbank.

Nach dem Krieg bezifferten die Deutschen selbst den Wert dieses Kredits auf 476 Millionen Reichsmark. Wird dieser Betrag in Euro umgerechnet und mit einem durchschnittlichen Satz verzinst, kommen Experten auf einen Wert von rund 100 Milliarden Euro. Dem stehen die 240 Milliarden Euro gegenüber, die das Land den anderen EU-Staaten schuldet.

Die Deutschen haben sich bislang geweigert, über diese Altschuld auch nur zu verhandeln — mit Verweis auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953. Und sosehr vor allem Oppositionspolitiker drängen, die Reparationsfrage auf den Tisch zu bringen, so verhindert die Regierung Samaras alles, was damit zusammenhängt.

Der Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten ist bei aller Kritik daran gelegen, das Verhältnis zu Deutschland nicht zu belasten. Samaras maßregelt deshalb Volksvertreter aus den eigenen Reihen, wenn sie allzu forsch nach Reparationen verlangen.

Für eine populistische Diskussion eignet sich das Thema allemal. Denn nur noch 33 Prozent der Griechen haben nach den harten Anpassungsprogrammen im Gefolge der Schuldenkrise eine gute Meinung von Deutschland — gegenüber 82 Prozent im Jahr 2005. Nur die Türkei ist noch unbeliebter bei den Griechen. Doch gleichzeitig sind die Südeuropäer auch Realisten. Wenn Deutschland den Griechen hilft, wieder auf die Beine zu kommen, dürften die Reparationsforderungen bei den meisten wieder schnell vergessen sein.

(RP)
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