"Tanz mir den Tsipras" Griechenland-Krise schlägt sich auf Athens Nachtleben nieder

Athen · Eigentlich ist heute Helens Glückstag. Sie sitzt mit ihren Freunden im "Piroliki", einem Hofrestaurant im Athener Stadtteil Metaxourgio. In einer Ecke spielen fünf Musiker Rembetikon, den griechischen Blues. Um Mitternacht hat die Kellnerin einen Kuchen mit 23 Kerzen zwischen die Raki-Gläser gestellt. Das ganze Lokal hat der jungen Frau ein Geburtstagsständchen gesungen. Aber es hat nicht geholfen.

 Schicksalstag: Am Sonntag entscheiden die Griechen, ob sie für oder gegen die Reformforderungen der Gläubiger sind.

Schicksalstag: Am Sonntag entscheiden die Griechen, ob sie für oder gegen die Reformforderungen der Gläubiger sind.

Foto: dpa, yb jak

"Ich bin niedergeschlagen", sagt sie. "Es ist kein Lichtblick zu sehen." Helen fürchtet sich vor dem, was nach dem Referendum über das Angebot der Gläubiger an Griechenland passieren wird. Muss Griechenland aus der EU ausscheiden? "Vielleicht könnte es Krieg geben", sagt sie leise. Ihr Freund Chris tröstet sie. Ganz so schlimm werde es nicht kommen. Es gehe doch nur um ein Ja oder Nein zu den Forderungen der Gläubiger. Doch Helen lässt sich nicht aufheitern.

Alexander ist einer der Bouzouki-Spieler in dem Hofrestaurant. Er hat sich sein Lauteninstrument auf den Schoß gelegt, um eine Zigarette zu rauchen und einen Raki zu trinken. Das Geschäft läuft nicht gut, sagt er. Mehrere Tavernen, in denen er sonst auftritt, hätten für den Sommer geschlossen. Sein Publikum sei inzwischen völlig verängstigt, lasse sich von den Medien in Panik versetzten. Als Alexander wieder anfängt zu singen, wiegen sich immerhin einige Gäste zu seiner Musik.

Athen hat ein heißes Nachtleben, das erst nach Mitternacht richtig in Gang kommt. Neben den traditionellen Bouzouki-Restaurants, in denen oft ausgelassen getanzt wird, gibt es teure Strandclubs für die High Society. Dimitris ist DJ für elektronische Musik und hat schon in Sydney und London aufgelegt. "In Athen ist mehr Leidenschaft, hier sind die Vibrations besser", sagt er.

Dimitris hätte in dieser Nacht aufgelegt, wenn Regierungschef Alexis Tsipras nicht vor einer Woche das Referendum angekündigt hätte. Vier für Juli geplante Auftritte sind nun abgeblasen, und so steht Dimitris nicht am Mischpult, sondern sitzt an einer Bar und trinkt Eiscappuccino. Die Sponsoren sind abgesprungen, und er will den jungen Leuten auch nicht ihre letzten Euro für Eintrittskarten aus der Tasche ziehen.

Vor fünf Jahren ist Dimitris mit seiner Firma gestartet, heute ist er 27 Jahre alt. Die Atmosphäre sei in den letzten Jahren "neutral" gewesen, sagt er. "Jetzt hat es Rumms gemacht." Sollte auf das Referendum der Crash folgen, will Dimitris seine Ausrüstung packen und nach London ziehen. Schon jetzt bleiben ihm nicht mehr als 400 Euro pro Monat. "Wenn die Drachme zurückkommt, werden internationale Gigs viermal so teuer für uns", sagt er. "Dann sind wir raus."

Inzwischen ist es halb drei Uhr nachts, und aus einem Club schallt Musik in die Gasse. Am Rand der Tanzfläche steht Lefteris mit seinen Freunden, einen Gin Tonic in der Hand, und schaut den Tanzenden zu. "Die Krise und Frauen", sagt er, und lacht schallend. Dann stürzt er sich auf die Tanzfläche. "Tanz mir den Tsipras", ruft er, und lacht noch lauter.

So geht es nach dem Referendum weiter
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Ein paar Minuten später ist der junge Anwalt etwas ruhiger. "Tsipras ist bestimmt kein böser Mensch", sagt Lefteris. Aber dessen Volksabstimmung sei "das irrsinnigste Referendum, dass es jemals auf der Welt gab." Niemand habe auch nur den geringsten Schimmer von dem Programm, über das die Menschen da abstimmen sollen. Er selbst natürlich auch nicht.

Als Lefteris um halb fünf heimgeht, wird im Club zur Reggae-Disco-Nummer "No No No" getanzt. Am Sonntag wird Lefteris mit dem Auto 300 Kilometer weit nach Vargianna fahren, um in seinem Heimatdorf mit Ja abzustimmen.

(AFP)
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