Analyse In der Krise erfindet sich China neu

Düsseldorf · Ist der Crash an Chinas Börsen nur die Korrektur einer Spekulationsblase oder Anzeichen einer Systemkrise? Sicher ist: Das Riesenreich steht vor ganz neuen Herausforderungen. Deutschland kann dabei helfen, sie zu meistern.

 Ein besorgter Händler an der Börse.

Ein besorgter Händler an der Börse.

Foto: afp, WH/FL

Hunderte Millionen Euro hatte die Regierung in Peking zur Stützung der Kurse in die Märkte gepumpt, und trotzdem rauschen die wichtigsten Indizes der chinesischen Börse seit zwei Tagen in den Keller. Selbst die staubtrockene amtliche Nachrichtenagentur Xinhua sprach im Zusammenhang mit dem Crash von einer "Katastrophe". Wobei die dramatischen Kursverluste wohl noch nicht einmal das Entscheidende sind. Schwerer wiegt der Vertrauensverlust. Schließlich war der Börsenboom staatlich befeuert worden, in der Hoffnung darauf, dass steigende Aktienkurse China helfen würden, das schwächelnde Wachstum wieder anzukurbeln und die Wirtschaft weiter zu öffnen. Das Platzen der Spekulationsblase hat nicht nur unzählige Kleinanleger ruiniert, sondern auch Zweifel an den Marktreformen der Regierung geschürt.

Damit wird der Crash zum Symptom für die ungeklärte Frage nach dem künftigen Kurs des Riesenreichs: Geht die Entwicklung wie bisher weiter in Richtung Marktwirtschaft oder kommen planwirtschaftliche Elemente zurück? "Die Situation ist wirklich schizophren", sagt China-Kenner Markus Taube, Professor an der Universität Duisburg-Essen. "Auf der einen Seite soll die chinesische Wirtschaft innovativer und internationaler werden. Auf der anderen Seite verstärkt die Partei unter Präsident Xi Jinping aber wieder ihre Kontrolle. Das passt einfach nicht zusammen."

Wie so vieles in China: Nach 30 Jahren atemberaubender ökonomischer Aufholjagd steht das Land an seiner nächsten großen Entwicklungsschwelle. China muss sich neu erfinden - mal wieder. Aber dieses Mal sind die Herausforderungen noch erheblich komplexer. So beeindruckend Chinas Entwicklung war, sie hat auch beeindruckende Probleme geschaffen, die jetzt gemanagt werden müssen. Die erschreckende Umweltverschmutzung gehört ebenso dazu wie die private und öffentliche Verschuldung sowie die rasante Vergreisung der Gesellschaft. Vor 35 Jahren hatte China die Ein-Kind-Politik eingeführt und mit harten Sanktionen durchgesetzt, um das damals explodierende Bevölkerungswachstum zu bremsen. Schon 2013 wurde das Verbot teilweise gelockert, jetzt könnte die Partei schon bald ganz offiziell die Zwei-Kind-Politik ausrufen. Das 1,4-Milliarden-Land braucht dringend Nachwuchs, um für die vielen Alten ein soziales Sicherungssystem zu finanzieren, das es bisher erst in Ansätzen gibt. Die gewaltigen sozialen Herausforderungen lassen sich jedoch nur meistern, wenn Chinas Wirtschaft weiter brummt. Dazu soll sie umgebaut werden, von einer staatlich gelenkten Exportmaschine, die sich auf billige Arbeitskräfte stützt, hin zu einer effizienteren und moderneren Volkswirtschaft, die künftig auch von der eigenen Innovationskraft getrieben und stärker von der Binnennachfrage stimuliert wird.

Um dieses Ziel zu erreichen, wurden die extrem strikten Regeln für Auslandsinvestitionen in den vergangenen Jahren gelockert, damit chinesische Firmen ihr internationales Geschäft ausbauen können. Folge war ein regelrechter Investitionsboom. Zwischen 2000 und 2014 kam es nach einer jüngst veröffentlichten Studie des Merics-Instituts in der EU zu mehr als 1000 chinesischen Neugründungen, Fusionen und Übernahmen im Wert von mehr als 46 Milliarden Euro. Anfangs zielten die Investitionen vor allem auf Rohstoffe, doch längst sind auch Technologie, Marken und Konsumgüter gefragt. Energie, der Automobilsektor, Lebensmittel und Immobilien gelten aus chinesischer Sicht als attraktivste Investments in Europa.

Allein in Deutschland haben chinesische Unternehmen seit 2000 rund 6,9 Milliarden Euro investiert. In den vergangenen drei Jahren lagen die jährlichen Investitionen bei ein bis zwei Milliarden Euro im Jahr. Durchschnittlich 24 Neugründungen und elf Übernahmen pro Jahr gehen seitdem in Deutschland auf das Konto chinesischer Investoren. Dabei konnten die Chinesen auch Vorurteile entkräften: Den meisten Firmen geht es nicht allein um den Abzug von deutschem Know-how. Sie sind durchaus bereit, in Infrastruktur, aber auch in Forschung und Entwicklung zu investieren und dabei Jobs zu schaffen. Besonders beliebt ist dabei Nordrhein-Westfalen: Hier investierten chinesische Unternehmen bislang rund 1,8 Milliarden Euro.

Das alles sind die äußeren Anzeichen einer ökonomischen Umstrukturierung, die auch angesichts der steigenden chinesischen Löhne nötig wird. Längst haben sich viele Unternehmen wie der IT-Konzern Huawei vom Billiganbieter zur Hightech-Schmiede gewandelt. Allein Huawei will bis 2018 in seine deutschen Forschungsabteilungen 400 Millionen Euro investieren. Der Kapitalmarkt-Analyst Philipp Vorndran (Flossbach von Storch) sieht China daher insgesamt "auf dem Weg hin zu einem gesünderen Wachstum". Die Treiber der Konjunktur in den vergangenen Jahren wie Infrastruktur und Immobilien würden ihre Bedeutung zunehmend verlieren. Dafür würden Dienstleistungen, Technologie und Umweltschutz an Bedeutung gewinnen.

Damit bieten gerade die großen Probleme Chinas zugleich neue Chancen für deutsche Unternehmen, darunter selbst kleinere Mittelständler - solange sie Produkte oder Dienstleistungen anbieten, die die Chinesen dringend benötigen. Längst stark gefragt ist grüne Technologie made in Germany, mit deren Hilfe die Umweltverschmutzung bekämpft werden kann. Aber auch die demografische Entwicklung Chinas bietet neue Märkte und Chancen auf gewinnbringende Kooperationen mit chinesischen Partnern etwa im Bereich der Medizintechnik oder Pflege. Auch im Bereich der Digitalwirtschaft setzt China stark auf die Zusammenarbeit mit deutschen Firmen.

(RP)
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