Dschihadisten rufen alte Herrschaftsform aus Was das Kalifat der Isis bedeutet

Bagdad · Mit der Ausrufung des Kalifats durch die Isis hat der Konflikt im Irak seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden. Doch die Dschihadisten stoßen damit nicht nur im Westen auf Ablehnung, sondern auch bei anderen islamistischen Rebellengruppen. Aber was ist eigentlich ein Kalifat und was bedeutet es für die Menschen, die im Irak und Syrien leben?

Chronologie des Aufstiegs des IS im Irak
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Foto: afp, FC

In einer gemeinsamen Mitteilung haben die wichtigsten islamistischen Rebellnegruppen in Syrien die Ausrufung des Kalifats im Irak und Syrien durch die sunnitischen Extremisten zurückgewiesen. Die Erklärung sei "null und nichtig", heißt es darin. Und das kommt nicht von ungefähr, denn die Unterzeichner befinden sich seit Januar im Krieg mit den Dschihadisten der Isis, entsprechend können und wollen sie ein Kalifat unter Vorherrschaft der Terrororganisation nicht dulden.

Als einen weiteren propagandistischen Erfolg wertet der Nahost-Experte Günter Meyer von der Universität Mainz die Ausrufung des Kalifats. "Durch die jetzige Deklaration des Kalifatsstaats wird der terrotoriale Anspruch der Isis gefestigt und alle eroberten Gebiete werden unter einem Namen zusammengefasst. Aber eine weitere strategische Bedeutung ist dem nicht beizu messen", sagte Meyer im Interview mit der Deutschen Welle.

Der Politikwissenschaftler Stephan Rosiny vom Giga-Institut in Hamburg sagte dem Sender: "Es dürfte Isis kaum gelingen, ihr Kalifat über größere Territorien zu etablieren oder zu halten, da sich ihre Vorstellungen vom Islam sehr von denen anderer Sunniten in den nun eroberten Gebieten unterscheiden." Es stelle sich die Frage, wie ein solches Kalifat überhaupt bestehen könne. Denn weder seine Regierung noch die einseitig aufgehobenen Grenzen sind legitimiert. Zudem wäre es, da international isoliert, vollkommen auf sich angewiesen.

Herrschaftsform wurde 1924 abgeschafft

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Ihr Kalifat auszuweiten, das dürfte allerdings das Ziel der Isis sein — und die damit einhergehende Umsetzung eines "Gottesstaates". Die Umsetzung des muslimischen Gesetzes und die Ausbreitung des Islams war auch die Aufgabe des Kalifen in der ursprünglichen Herrschaftsform, die nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 eingerichtet worden war.

Die erste Nachfolge übernahm der Mohammed-Vertraute Abu Bakr bis zum Jahr 634. Mit drei Nachfolgern gehört er zur Gruppe der vier "rechtgeleiteten" Kalifen. Danach gab es einige mächtige Dynastien. Durch eine Verfassung aber wurde das Gebiet, in dem der Islam herrschte, nie begrenzt. Abgeschafft wurde die Herrschaftsform offiziell aber erst 1924 durch den Gründungsvater der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk.

Anfangs galt der Kalif nur als Nachfolger des Proheten, die Familie der Umajjaden aber setzte später die Doktrin durch, wonach er auch Stellvertreter Gottes auf Erden sei. Die Umajjaden errichteten ab 660 in Damaskus die erste Kalifen-Dynastie. Der Kalif war außerdem Gesetzgeber, setzte Normen für das religöse Leben und schaffte Verwaltungsstrukturen. Die Expansion zur Ausbreitung der Religion gehörte ebenfalls stets zur Rolle des Herrschers. In Bezug auf die Nachfolge eines Kalifen bestand das Prinzip der Erbfolge.

Die wichtigsten politischen Akteure im Irak
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Kein Alkohol, keine Musik

Auch heute noch besitzt das Kalifat für viele Muslime einen Reiz. Der Gründer der Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna etwa betrachtet dies als Symbol für die Einheit des Islam. Auch Experte Stephan Rosiny spricht von einer starken Anziehungskraft, die das Kalifat auf viele Muslime ausübe. "Auf einen Nenner gebracht, heißt das Versprechen der radikalen Islamisten ja, der Islam sei die Lösung für alles", sagte er der deutschen Welle.

Wie ein Kalifat unter der Isis aussehen soll, das haben die Dschihadisten in den von ihnen eroberten Gebieten schon längst in die Praxis umgesetzt. So wie in der Stadt Rakka in Nordsyrien, wo die Isis ihre "Staatengründung" feierte. Musik ist verboten, Christen müssen eine Schutzsteuer zahlen, und auf dem Hauptplatz werden Menschen exekutiert. Frauen müssen sich komplett verschleiern, Alkohol und Zigaretten in Bars sind nicht erlaubt.

Entsprechend blickt auch die westliche Welt mit Sorge auf die Entwicklungen im Irak und Nordsyrien, wo die Isis mit der Ausrufung des Kalifats quasi die Landesgrenze abgeschafft hat. "Alle müssen ein Interesse daran haben, dass sich Isis nicht festsetzt und in dem ausgerufenen sogenannten Kalifat eine Brutstätte für Terror und Gewalt entstehen lässt", sagte etwa Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

mit Agenturmaterial

(das)
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