IS-Kämpfe in Syrien 130.000 Flüchtlinge - Ankara schließt angeblich Grenzübergänge

Ankara · Hunderttausende Menschen fliehen aus Syrien vor den IS-Milizen in die Türkei. 130.000 haben nach offiziellen Zahlen bereits die Grenze passiert. Es droht ein Genozid. Die PKK ruft türkische Kurden zum Widerstand gegen den IS auf. Nach Angaben der BBC hat Ankara begonnen, die Grenze wieder schließen zu lassen. Die Türkei gerät in den Sog des Krieges.

Flüchtlinge hoffen auf Hilfe an der türkisch-syrischen Grenze
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Dramatische Lage an der syrisch-türkischen Grenze: Hunderttausende Kurden sind auf der Flucht. Nur 15 Kilometer von türkischem Gebiet entfernt, toben die Kämpfe. Die syrisch-kurdischen Kämpfer sind allem Anschein nach hoffnungslos unterlegen. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte eroberten IS-Kämpfer seit Donnerstag etwa 60 Dörfer in den Kurdengebieten im Norden Syriens und drängten kurdische Kämpfer zurück. Ziel der IS-Offensive ist die kurdische Stadt Ain al-Arab nahe der Grenze zum Nachbarland.

Nach Einschätzung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sind Hunderttausende auf der Flucht. Nach Angaben aus Ankara haben in den vergangenen Stunden 130.000 Menschen aus Syrien Zuflucht in der Türkei gesucht.

So entstand der Name der Terrormiliz Islamischer Staat (IS)
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Foto: ap

Die Behörden forderten Bewohner auf, den erschöpften Menschen zu helfen. Es braucht vor allem Wasser. Für die Gebiete im Osten der Türkei ist die Belastung extrem. Im Verlauf des Bürgerkriegs in Syrien sind bereits 1,5 Millionen Menschen über die Grenze gekommen.

Wegen der dramatischen Lage hatte die türkische Regierung am Wochenende die Grenze für Flüchtlinge geöffnet, aber konsequent von einer "Ausnahme" gesprochen. Wie BBC unter Berufung auf das UNHCR am Montag berichtet, sind sieben von neun Zugängen inzwischen wieder dicht.

Ob Flüchtlinge damit automatisch abgewiesen werden, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht auszumachen. Doch war genau das die Praxis der türkischen Behörden, bevor am Freitag die Grenze geöffnet wurde. Die Türkei hatte tagelang Schutzsuchende zurückgeschickt.

Die Waffen für die Peschmerga sind gepackt
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Die PKK ruft zum Widerstand auf

Ausschlaggebend für die Entscheidung sind offensichtlich zwei Gründe: Zum einen sieht sich die Türkei bereits jetzt in ihren Kapazitäten überlastet. Allerdings teilte die Regierung am Montag mit, das Land sei darauf vorbereitet, Hunderttausende weitere Flüchtlinge aufzunehmen.

Noch mehr Probleme bereitet der türkischen Regierung die PKK: Die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans ruft die Kurden in der Türkei zum Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) auf. Bereits am Sonntag kam es nahe der Grenze zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, vermutlich weil kurdische Kämpfer in Richtung Syrien die Grenze überqueren wollten.

"Es gibt im Widerstand keine Grenze mehr", weshalb eine "Mobilisierung" nötig sei, heißt es jetzt in einer PKK-Mitteilung, aus der die prokurdische Nachrichtenagentur Firat am Montag zitierte. Schon am Sonntag hieß es, mehrere hundert Kämpfer hätten sich bei Kobane versammelt, einer Stadt unmittelbar an der Grenze.

Grenzen drohen sich auzulösen

Die PKK erklärt die Grenzen für aufgelöst - das würde für die Türkei bedeuten, dass auch sie mehr und mehr in die Kämpfe hineingezogen wird. Schon der IS hatte in seinem Vorgehen keinerlei Rücksicht auf Grenzen genommen.

Die PKK kämpft bereits im Norden des Iraks auf Seiten der kurdischen Peschmerga gegen die Dschihadisten, nachdem Anfang August die Kurden aus dem Irak, der Türkei und Syrien gegen die Extremisten eine gemeinsame Offensive starteten.

In den syrischen Kurdengebieten führt die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) den Kampf gegen die IS-Milizen an. Sie ist die syrische Schwesterpartei der PKK.

Kurden werfen Ankara vor, mit dem IS zu paktieren

Der PKK-Vertreter Dursun Kalkan rief laut Firat in einem belgischen Fernsehsender alle Kurden auf, sich zusammenzuschließen. "Die kurdische Jugend vor allem, die Frauen, müssen diesen Angriffen entgegentreten", sagte Kalkan.

Er warf der Türkei "Kollaboration" mit der IS-Miliz vor, weil Ankara territoriale Ambitionen im Irak und in Syrien habe. Die Türkei hatte sich bisher im Kampf gegen die Dschihadisten zurückgehalten, die seit Juni im irakischen Mossul 46 türkische Diplomaten und Angehörige als Geiseln hielten, bevor sie diese am Samstag freiließen.

Die Türkei muss sich entscheiden, welche Rolle sie spielt

Wird nun die Türkei Kriegspartei? Bisher hat sie sich aus Rücksichtnahme auf die Geiseln in dem Konflikt betont zurückgehalten. US-Außenminister John Kerry erhielt auf der Suche nach militärischen Partnern im Bündnis gegen den IS bisher immer nur ausweichende Antworten. Nun aber sind die Geiseln frei und Ankara könnte sich deutlicher positionieren.

Präsident Erdogan selbst schloss zuletzt eine aktivere Beteiligung seines Landes nicht mehr ausdrücklich aus. Bei einem Treffen mit den freigelassenen Geiseln sagte er am Sonntag, die Türkei habe entsprechende Anfragen der Verbündeten aus Rücksicht auf das Leben der Gefangenen bisher "nicht sofort" mit Ja beantworten wollen. Ob sich das jetzt ändern wird, sagte er nicht.

In der Türkei kursieren jedoch Spekulationen, die türkische Regierung könnte die Geiseln durch Zugeständnisse an den IS freigekauft haben. Die Regierung hält sich bedeckt. "Es gibt Dinge, über die wir nicht reden können", sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Sonntag. "Wir müssen sensible Angelegenheiten schützen. Wenn man das nicht macht, muss man einen Preis bezahlen."

(AFP dpa REU RP)
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