Terrorgruppe IS lässt Kinder für sich kochen, putzen und töten

Militärisch gerät die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien immer weiter unter Druck. Doch die Gruppe hat immer noch großen Zulauf. Auch weil die Islamisten Augenzeugenberichten zufolge gezielt Jagd auf Kinder machen. Zehn- bis zwölfjährige Jungen werden in Ausbildungslagern gesammelt und für den sogenannten Heiligen Krieg trainiert.

 Eine Gruppe Kinder posiert in einem Trainingslager vor der schwarzen Flagge der Islamisten.

Eine Gruppe Kinder posiert in einem Trainingslager vor der schwarzen Flagge der Islamisten.

Foto: ap

Sie stehen schwer bewaffnet an Kontrollpunkten der Städte Mossul im Irak oder Raqqa in Syrien. Die Kämpfer eint zum einen das Logo auf ihren schwarzen Uniformen, das sie als Einheiten der sogenannten Islamischen Polizei kennzeichnet - und die Tatsache, dass sie minderjährig sind.

Teenager und gar Kinder spielen im Kampf der Terrormiliz Islamischer Staat eine große Rolle. Jungen im Schulalter werden in Trainingscamps und Religionskursen vorbereitet, ehe sie in den Kampf geschickt werden. Andere dienen als Köche, Wachen vor den Hauptquartieren der Miliz oder als Spione, die Informationen über die Anwohner in bestimmten Nachbarschaftsvierteln einholen.

Einwohner, Aktivisten, unabhängige Experten und Menschenrechtsgruppen haben Beweise gesammelt, dass der IS in von ihm kontrollierten Gebieten im Irak und in Syrien systematisch nach Minderjährigen Ausschau hält. In Kobane etwa, einer der umkämpftesten Städte im Norden Syriens nahe der Grenze zur Türkei, beobachteten mehrere Aktivisten Kinder, die an der Seite der IS-Milizen kämpften. Einer der Aktivisten, Mustafa Bali, sagte, er habe die Leichen von vier getöteten Jungen entdeckt - zwei davon seien wohl jünger als 14 gewesen. Ein 18-Jähriger verübte in Kobane einen Selbstmordanschlag.

Wie weit die Rekrutierung und der Einsatz von Heranwachsenden ist, lässt sich in der verschlossenen Welt des IS nicht mit Gewissheit sagen. Verlässliche Zahlen dazu gibt es bislang nicht. Ein Gremium der Vereinten Nation, das zu Kriegsverbrechen im Syrischen Bürgerkrieg ermittelt, kam jedoch bereits zu dem Schluss, dass Kinder aktiv in den Kampf des IS eingreifen.

Unter anderem deshalb wird den Terroristen vergeworfen, massive Menschenrechtsverstöße und Kriegsverbrechen "in einer systematischen und organisierten Art und Weise" zu verüben. Die Kinder sähen "Gewalt als eine Art zu leben" an, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten UN-Bericht. Die Institution stützt den Bericht auf mehr als 300 Interviews mit Menschen, die aus den Terror-Gebieten geflohen sind, sowie auf Video- und Foto-Aufnahmen.

 Ein kleiner Junge spielt. Seine Kameraden trainieren im Hintergrund.

Ein kleiner Junge spielt. Seine Kameraden trainieren im Hintergrund.

Foto: ap

Der Missbrauch von Kindern als Kämpfer durch terroristische Gruppierungen ist nicht neu. Auch die Freie Syrische Armee oder die Nusra-Front bildeten im Syrischen Bürgerkrieg Kinder für den Kampf aus, wie die Spezialvertreterin des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte, Leila Zerrougui, berichtet.

Der Unterschied ist das organisierte und systematische Vorgehen, mit dem sich der IS die Kriegskinder zu nutzen macht. Den Minderjährigen wird dabei die radikale und gewalttätige Interpretation des Scharia-Gesetzes eingeimpft.

"Das ist keine Randerscheinung. Das ist etwas, das beobachtet wurde und ein Teil der Strategie der Gruppe zu sein scheint", sagt Zerrougui in einem Telefoninterview. "Sie entführen Kinder und zwingen sie, sich ihnen anzuschließen. Sie führen Gehirnwäschen durch." Einige seien gerade einmal neun oder zehn Jahre alt.

"Kinder im Alter von zehn, zwölf Jahren"

Ein großes Geheimnis mache der IS aus der Rekrutierung der Minderjährigen nicht, sagt Laurent Chapuis, der regionale Kinderschutzbeauftragte im Nahen Osten und in Nordafrika des Kinderhilfswerks Unicef. "Kinder im Alter von zehn, zwölf Jahren werden in verschiedenen Funktionen benutzt, als Kämpfer, als Kuriere, Spione, Wachen, zum Bewachen von Kontrollpunkten, aber auch für häusliche Zwecke wie Kochen, Putzen oder zur medizinischen Versorgung von Verwundeten."

Die sunnitischen Extremisten haben nach UN-Angaben syrische und irakische Schulen geschlossen, in anderen wurde der Lehrplan um die IS-Ideologie ergänzt. Schulbildung, heißt es vonseiten der UN, werde als Mittel der Beeinflussung für eine neue Generation von Unterstützern genutzt.

Ein kürzlich von einem IS-Medium veröffentlichtes Video zeigt etwa eine Abschlussfeier für Jungen im Teenageralter. In Militäruniformen gekleidet posieren sie mit AK47-Sturmgewehren, ihre Gesichter verstecken sie hinter schwarzen Masken, wie sie auch die IS-Mörder in den immer wieder auftauchenden Enthauptungsvideos tragen. Das Video bewirbt die Kinder als eine "Generation von Löwen, Schützern von Religion, Würde und Land."

In der irakischen Stadt Falludscha beschreibt ein Anwohner eine bizarre Szene mit seinem sechsjährigen Sohn. Der spielte vor dem Haus der Familie mit einer Wasserpistole und rief: "Ich bin ein Kämpfer des Islamischen Staats." Dafür habe es für den Sohn jede Menge Schimpfe gegeben, er habe die Spielzeugwaffe in zwei Teile gebrochen, erzählt der Anwohner.

Damit nicht genug. Als die Familie kürzlich an einem IS-Checkpoint angehalten wurde, rief der Sechsjährige einem Kämpfer "Wir lieben den Staat!" zu, um auf die Frage nach welchem Staat genau zu antworten: "Den Islamischen Staat!" Der IS-Kämpfer sagte nur: "Guter Junge" - und ließ die Familie weiterfahren.

Nach diesen Vorfällen floh der Vater mit seinen Angehörigen in die kurdisch dominierte Stadt Kirkuk. "Die Jungs studieren - nicht um zu lernen, sondern um Gotteskrieger zu werden."

"Viele wollen direkt an die Front"

Anwohner von irakischen Städten wie Mossul und Falludscha berichten, dass sie immer wieder waffenschwingende Jungen sehen, die stolz an der Seite ihrer Väter stehen. Manche Familien, berichtet Abu Abdullah al-Falludschi, ein Bewohner von Falludscha, werden unter Druck gesetzt oder bekommen Geld für den Einsatz ihrer Jungen. "Ihre Fähigkeiten werden dann getestet, bevor sie entscheiden, wohin sie die Kinder schicken. Viele wollen direkt an die Front."

Auch ausländische Kinder sind unter den Kämpfern. Ein im November aufgetauchtes Video zeigt zwei Jungen in Raqqa, die perfektes Französisch sprechen. Sie sehen deutlich jünger als zehn aus und berichten, sie kämen aus Straßburg und Toulouse.

"Dort drüben", sagt einer der Jungen und meint offenbar Frankreich, "bist du in einem Land der Ungläubigen. Hier sind wir Mudschaheddin. Wir sind in Syrien, in Rakka. Es ist Krieg hier."

(ap)
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