Chaos im Nahen Osten Israels Alptraum nimmt Gestalt an

Tel · Der Luftangriff Israels auf syrische verschärft die Krise im Nahen Osten. Sollten aber die US-Informationen zutreffen, wonach ein Waffenkonvoi bombardiert wurde, hatte die Regierung in Tel Aviv kaum eine andere Wahl.

Chronologie der Spannungen zwischen Syrien und der Türkei
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Foto: afp, BULENT KILIC

Die Sorge vor einer Eskalation im Nahen Osten wächst. Die USA verschärfen den Ton gegenüber Iran, der droht Israel zusammen mit dem Regime Assads mit Vergeltung. US-Außenministerin Hillary Clinton wirft Teheran und Russland vor, Assads Truppen mit Geld und Waffen zu unterstützen. Informationen des amerikanischen Geheimdienstes deuteten darauf hin, dass die iranischen Revolutionsgarden die syrische Armee mit immer mehr eigenen Soldaten und Militärberatern unterstütze.

Eine ganze Region auf dem Weg ins Chaos, befürchten nun manche - und werfen Israel vor, Öl ins Feuer geschüttet zu haben. Doch sprechen mehrere Anzeichen dafür, dass die Führung in Tel Aviv bei allem Risiko kühl und rational gehandelt hat.

Es galt zwei Dinge abzuwägen

Sollten die Informationen der Amerikaner zutreffen, dass Israels Luftangriff einem Waffenkonvoi auf dem Weg in den Libanon gegolten hat, so war eine rote Linie überschritten. Denn in diesem Fall waren die Waffensysteme für die radikalislamische Hisbollah-Miliz bestimmt.

Somit galt es zwei Dinge abzuwägen: Auf der einen Seite die Gefährdung der eigenen Sicherheit durch möglicherweise extrem gefährliche Vernichtungswaffen in der Hand eines radikalen Erzfeindes, auf der anderen Seite die Gefahr eines syrischen Gegenschlags.

Israel folgt dabei in der Regel einer klaren Doktrin: Es gilt um beinahe jeden Preis zu verhindern, dass Todfeinde in den Besitz von Massenvernichtungswaffen geraten. Ländergrenzen spielen dabei letztlich keine Rolle. Mehrfach hatte die israelische Luftwaffe zuletzt Einsätze im Sudan geflogen.

Szenario nicht unplausibel

In den vergangenen Tagen hat sich in Israel ein bestimmtes Alptraum-Szenario verdichtet: Danach verliert das Regime Assad vollends die Kontrolle über seine Waffensysteme — und auch die gefürchteten Chemie-Bestände könnten in die Hand der Hisbollah geraten. In Kombination mit den bis nach Tel Aviv reichenden Raketen, auf die die Hisbollah bereits zugreifen kann, wäre das aus Sicht der israelischen Militärs der Worst Case.

Das Szenario ist nicht unplausibel. Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah und Syriens Diktator Baschar al-Assad standen zuletzt in engster anti-israelischer Solidarität zusammen. Syrien hat die Islamisten aus dem Libanon stets mit Waffen und Logistik unterstützt. Nun könnte das wankende Regime versucht sein, seine Waffen noch schnell den Verbündeten im Libanon zukommen zu lassen. Erst Anfang der Woche war Jakob Amidror, Benjamin Netanjahus Berater für nationale Sicherheit, nach Moskau geflogen und hatte dort vor den Gefahren gewarnt, wenn Syriens modernes Waffenarsenal in die falschen Hände fiele.

Paradoxe Propaganda

Zudem dürfte im Kalkül der Israelis eine Rolle spielen, dass Assad mit dem Bürgerkrieg im eigenen Land bereits allem Anschein nach überfordert ist. Eine zweite Front gegen das hochgerüstete Israel kann demnach nicht in Assads Interesse sein. In ersten Reaktionen drohte Damaskus zwar mit Vergeltung. Doch nehmen die meisten Experten die Drohungen gelassen. Sie verweisen darauf, dass ein ähnlicher Angriff 2007, als Israel einen geheimen syrischen Atomreaktor zerstörte, von Assad hingenommen worden war.

Syriens Regime nutzte den Angriff unterdessen für paradoxe Propaganda: Er beweise, dass Israel und die syrischen Rebellen kooperierten. Israelische Experten schenkten dieser Darstellung keinen Glauben. Assad wolle mit den Berichten über einen angeblichen Angriff auf ein Armeelabor nur seine russischen Verbündeten täuschen, die ihm die Raketen unter der Auflage geliefert hatten, sie nicht weiterzugeben.

Israel hat vorgesorgt

Noch ein weiteres Indiz spricht dafür, dass Israel insbesondere ein wachsendes Risiko von Angriffen aus dem Libanon registriert und sich gezielt davor schützen will. Erst diese Woche hatte die Armee vorgesorgt — und einen Teil des Raketenabwehrsystems nach Haifa verlegt - jene Stadt, die 2006 durch Angriffe der Hisbollah schwer getroffen worden war.

Nach US-Angaben soll es sich bei der Konvoi-Ladung um hochmoderne Flugabwehrraketen des russischen Typs SA-17 gehandelt haben. Käme die Hisbollah in deren Besitz, wäre die israelische Überlegenheit im Luftraum gefährdet. Mit den Raketen könnten die Islamisten israelische Hubschrauber und Jagdbomber vom Himmel holen.

Die Hintergründe und das Ziel des fraglichen Luftangriffs vom Mittwoch bleiben indes weiter umstritten. Damaskus beharrt auf der Darstellung, dass es überhaupt keinen Waffenkonvoi gegeben und die Attacke alleine dem Militärforschungszentrum im Nordwesten der Hauptstadt gegolten habe.

(RP/dapd/pst)
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