Diplomatische Störungen Joachim Gauck kontert Erdogans Kritik

Istanbul/Ankara · Joachim Gauck mit seinem ausgeprägten Freiheitssinn und der aufbrausende Recep Tayyip Erdogan: Das konnte wohl nicht gut gehen. Erst kritisiert der Bundespräsident die autoritäre Politik des türkischen Regierungschefs. Dann wirft Erdogan dem "Priester" Gauck Einmischung vor. Und schließlich meint Gauck am Dienstag trocken: "Ich bin eher noch zurückhaltend gewesen." Diplomatie sieht anders aus.

Zumindest vor den Kameras geben sich Joachim Gauck (links) und Raccip Erdogan die Hand.

Zumindest vor den Kameras geben sich Joachim Gauck (links) und Raccip Erdogan die Hand.

Foto: ap

Vielleicht war es wirklich so, dass Erdogan von den deutlichen Äußerungen des Bundespräsidenten überrascht wurde. Bei einem Mittagessen mit Gauck am Montag jedenfalls gab es nach Berichten von Teilnehmern noch kein böses Wort. Der türkische Regierungschef wies besorgte Fragen über den Stand der Demokratie in seinem Land als gegenstandslos zurück, blieb aber sachlich und legte, so hieß es, sehr ausführlich und ein wenig langatmig seine Position dar.

Wenig später fielen dann - vor Studenten der Technischen Universität in Ankara - die Sätze Gaucks, die Erdogan in Rage brachten. Der Bundespräsident warnte vor einer "Gefährdung der Demokratie" in der Türkei und verurteilte vor allem alle Versuche, die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsfreiheit zu beschneiden. Keine 24 Stunden später schlug Erdogan vor Abgeordneten seiner AKP in Ankara zurück.

Türkische Presse zieht vom Leder

Die Richtung gaben am Dienstagmorgen schon AKP-Sprachrohre wie die Zeitung "Takvim" vor. "Gauck hat vergessen, dass sein Land ein Polizeistaat ist", schrieb das Krawall-Blatt. "In der Manier eines Kolonialherren maßt er sich an, in Ankara eine Demokratielektion zu erteilen." In ein ähnliches Horn stieß dann auch Erdogan.

Die Deutschen sollten lieber Anschläge auf Türken in der Bundesrepublik aufklären, als seiner Regierung Ratschläge zu geben, sagte Erdogan vor dem Hintergrund des NSU-Prozesses. Mit Blick auf Gaucks frühere Tätigkeit als Pfarrer fügte Erdogan nach Angaben der NachrichtenaGentur Anadolu hinzu: "Anscheinend denkt er immer noch, er wäre ein Priester." Gaucks "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" der Türkei werde die Regierung "niemals dulden".

Gauck war zu dem Zeitpunkt gerade in Istanbul eingetroffen. Mit einem demonstrativ gut gelaunten Staatspräsidenten Abdullah Gül eröffnete er dort eine türkisch-deutsche Universität. Gül hätte dabei Gelegenheit gehabt, bei seiner kurzen Ansprache Gaucks Kritik zurückzuweisen. Er tat es nicht.

Erdogan und Gül gründeten einst die islamisch-konservative AKP, und Gül unterzeichnet letztlich all die umstrittenen Gesetze etwa zur stärkeren Kontrolle des Internets und der Justiz, die Erdogan auf den Weg bringt. Dennoch bezieht Gül immer häufiger öffentlich Stellung gegen die Politik Erdogans - der sich im August möglicherweise anstelle Güls zum Präsidenten wählen lassen möchte.

Rückendeckung von Gül

Während Erdogan den "Priester" Gauck vor den AKP-Abgeordneten kritisierte, rühmte Gül die engen Beziehungen zu Deutschland und pries die rosigen Entwicklungsmöglichkeiten. Er erinnerte daran, das er selbst 2006 als Außenminister, zusammen mit Frank-Walter Steinmeier, dem damaligen und heutigen Chef des Auswärtigen Amts in Berlin, die türkisch-deutsche Universität auf den Weg brachte. Den Grundstein legte übrigens Gaucks Vorgänger Christian Wulff, der in der Türkei noch viele Freunde hat.

Dann trafen Gül und Gauck, die in diesen Tagen viele Stunden miteinander verbrachten, in der malerisch am Bosporus gelegenen Residenz des Präsidenten erneut zu einem Mittagessen zusammen. Kaum anzunehmen, dass Gül sich dabei - wie Erdogan in Ankara - über die "Einmischung" aus Deutschland beklagte.

Am Ende des Tages traf Gauck dann mit einer Gruppe von Regierungsgegnern zusammen - auch das ein Signal an Erdogan. Und Gauck legt noch einmal nach: Er habe nur seine Pflicht getan, und überhaupt: "Ich bin eher noch zurückhaltend gewesen." Der Vorwurf der "Einmischung in innere Angelegenheiten" ist für Gauck ein Totschlag-Argument, mit dem sich Diktatoren schützen wollen.

(dpa)
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