UN-Tribunal in Den Haag Karadzic erstmals zu Anhörung erwartet

Den Haag (RPO). Der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic will am Dienstag erstmals seit Beginn seines Prozesses vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag erscheinen. In einem am Montag veröffentlichten Brief teilte er mit, er werde an der Anhörung zum weiteren Verlauf des Verfahrens teilnehmen. Zugleich setzte Karadzic seinen Boykott fort und blieb am Montag der Verlesung des zweiten Teils der Anklage fern.

In dem von dem Gericht veröffentlichten Schreiben Karadzics vom Sonntag an den südkoreanischen Richter O-Gon Kwon heißt es: "Es wird mir eine Freude sein, der Status-Konferenz am Dienstag beizuwohnen. Ich hoffe, dass wir eine Lösung finden werden können, die nicht nur zu einem schnellen, sondern auch fairen Prozess führen wird." Karadzics Rechtsberater Marco Sladojevic bestätigte, dass der frühere Präsident der Serbischen Republik in Bosnien "sehr wahrscheinlich" am Dienstag anwesend sein werde. Er wolle dabei helfen, "eine Lösung zur Fortsetzung seines Prozesses zu finden".

Bei der verfahrenstechnischen Anhörung am Dienstag, zu der das Gericht die Anklage und Karadzic einlud, geht es um die Folgen von Karadzics Boykott auf den weiteren Verlauf des Verfahrens. Das Tribunal könnte beschließen, den Prozess in Abwesenheit des Angeklagten fortzusetzen oder einen Pflichtverteidiger für Karadzic zu bestellen. Dieser will sich dagegen mit Unterstützung eines internationalen Teams von Anwälten selbst verteidigen.

Gefahr der Verzögerung besteht

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers hieße, dass dieser sich in die eine Million Seiten umfassenden Prozessakten einarbeiten müsste, was das Verfahren um mehrere Monate verzögern würde. Der wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 angeklagte 64-Jährige plädiert auf nicht schuldig. Den Prozessauftakt am vergangenen Montag und Dienstag hatte Karadzic mit der Begründung boykottiert, er habe nicht genug Zeit für die Vorbereitung seiner Verteidigung gehabt.

Der US-Ankläger Alain Tieger ging am Montagnachmittag ausführlich auf die Schüsse von Heckenschützen und die Bombardierung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo während des gesamten Bosnienkrieges ein, durch die etwa 10.000 Zivilisten getötet wurden. Karadzic habe gewusst, dass seine Einheiten während der 44-monatigen Belagerung Sarajevos die Zivilbevölkerung angegriffen und ein "Klima des Terrors" geschaffen hätten.

Er habe diese Verbrechen weder zu verhindern gesucht, noch die dafür Verantwortlichen bestraft, sondern sie im Gegenteil ermutigt. Die Zivilbevölkerung in der Hauptstadt eines multiethnischen Landes sei zur Zielscheibe geworden, weil Karadzic das Land entlang einer ethnischen Linie habe spalten wollen, führte Tieger aus.

In der Anklageschrift gegen Karadzic geht es auch um das Massaker von Srebrenica, bei dem im Juli 1995 rund 8000 muslimische Jungen und Männer getötet wurden. Karadzic war im Juli 2008 gefasst worden, nachdem er sich 13 Jahre lang versteckt hatte.

(AFP/felt)
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