NSA-Spionageaffäre Keith Alexander — Geheimdienstchef im Visier

Washington · Der US-Geheimdienst-Direktor Keith Alexander muss sich angesichts der NSA-Affäre auch in Washington zunehmend bohrender Fragen erwehren, weil seine Datensammelwut keine Grenzen zu kennen scheint.

Es ist das Bild von der Stecknadel im Heuhaufen, das Keith B. Alexander derart oft bemüht, dass es sein Markenzeichen geworden ist. Bevor der General die Leitung der NSA (National Security Agency), der Nationalen Sicherheitsbehörde, übernahm, suchten die Datenschnüffler nach einzelnen Nadeln. Er dagegen wollte den ganzen Haufen, möglichst weltweit, er wollte ihn bunkern, um jederzeit Zugriff auf jede Stecknadel zu haben.

So schildert es Thomas Drake, der selber bei der NSA beschäftigt war, ehe er überlief ins Lager der Datenschützer, ein Whistleblower wie Edward Snowden, wenn auch nicht ganz so spektakulär. Alexander sei besessen davon, alles an Informationen aufzusaugen, was die Technik erlaube, ohne sich groß um rechtliche Schranken zu scheren.

Ändere sich nichts an der Sammelwut, warnte Drake bereits vor Monaten, ende es mit der "kompletten Aushöhlung unserer persönlichen Freiheit". Konfrontiert mit solcher Kritik, verweist der Viersternegeneral stets auf die Vorgeschichte: die Terroranschläge, die Amerika am 11. September 2001 in Schock versetzten und deren politische Nachwirkungen bis heute zu spüren sind. Es gab diffuse Warnungen, abgehörte Telefongespräche. Die Fahnder wären den Attentätern vielleicht auf die Schliche gekommen, als die Zelle um Mohammed Atta in den USA auf das Angriffssignal wartete — hätte man die einzelnen Fäden miteinander verknüpft.

Der Vergleich der Kritiker mit kleinen Kindern

Die Fäden verknoten, es ist noch so eine Metapher, die Alexander mit Vorliebe benutzt, wenn er sein Tun bei öffentlichen Auftritten begründet. Letztere sind zahlreicher, als man es bei einem Geheimdienstmann vermuten würde. Im Juni, da hatte Snowden gerade zu plaudern begonnen, verteidigte der 61-Jährige mit rigoroser Selbstgewissheit, warum er die Verbindungsdaten amerikanischer Telefonkunden speichern lässt.

"Ich sitze lieber hier und erkläre dieses Programm, statt zu erklären, warum es uns nicht gelungen ist, ein zweites 9/11 zu verhindern" — die verbale Keule, die lange jedes Gegenargument schlug. In einem Video des Verteidigungsministeriums, das derzeit in Amerika kursiert, vergleicht Alexander die Kritiker der NSA mit kleinen Kindern — die verstünden auch nie, warum man ein Bad nehmen muss.

Das Klischee einer grauen Eminenz, die eiskalt und unnahbar über allem thront, ist eben genau das: ein Klischee. Politiker, die Alexander näher kennen, charakterisieren ihn als umgänglich, leicht sarkastisch und albern, als Computerfreak mit dem Hang zu Spinnerei, vernarrt in sein Hobby, Puzzlespiele. In Fort Belvoir in Virginia, wo er den Geheimdienst des Heeres befehligte, bevor er zur NSA wechselte, lud er öfters Abgeordnete ein, um sie in seiner Kommandozentrale Platz nehmen zu lassen: Ein Hollywood-Designer hatte sie Raumschiffen der Star-Trek-Serie nachempfunden.

Alexander versteht es, Menschen zu umgarnen, deren Unterstützung er braucht. Das Talent dürfte dazu beigetragen haben, dass der Kongress praktisch jede Budget-Erhöhung, die seine Behörde beantragte, bis vor Kurzem absegnete, ohne lange nachzufragen.

"Wir haben ihn Kaiser Alexander genannt"

James Bamford, der das Innenleben der NSA in seinem Buch "Die Schattenfabrik" beleuchtet, bringt es auf den Punkt, indem er anonym einen Insider zitiert: "Wir haben ihn Kaiser Alexander genannt, denn was Keith wollte, hat Keith bekommen." Das war freilich vor Snowden, bevor der Senator Jeff Merkley aus Oregon den wachsenden Unmut bündelte, als er bei einer sommerlichen Anhörung sein Smartphone aus der Tasche zog, aufgebracht damit wedelte und rief: "Welches Gesetz hat Sie ermächtigt, sich meine Handy-Daten anzueignen?"

2010 übertrug Barack Obama dem eifrigen Netzwerker Alexander auch noch die Befehlsgewalt über das Cyber Command, die neue Internet-Sparte der Streitkräfte. Eine solche Machtfülle hatte noch nie ein NSA-Chef besessen, seit Präsident Harry Truman sie ohne Wissen des Parlaments schuf, die mysteriöse Agentur, die Spötter lange mit Beinamen wie "No Such Agency" ("Keine solche Behörde") oder "Never Say Anything" ("Sag bloß nichts") bedachten.

Als Alexander im fünften Jahr der Ära George W. Bush die Führung übernahm, fehlte es nicht an Vorschusslorbeeren. Endlich ein Chef, der etwas von Technik verstand: Der Neue hatte zwar standesgemäß West Point absolviert, die Militärakademie, aber er konnte auch ein Physikdiplom vorweisen. Kurz nach Amtsantritt warb er für einen radikalen Plan, um das Blatt im Irak zu wenden, wo US-Soldaten fast täglich Opfer ferngezündeter Sprengsätze wurden.

Bis dahin hatten Abhörexperten des US-Militärs nach Datenschnipseln gesucht, die sie zu den Bombenbastlern und ihren versteckten Werkstätten führen sollten. Alexander wollte sich nicht mit Schnipseln begnügen, er wollte die gesamte irakische Kommunikation überwachen, jede SMS, jede E-Mail, jedes Telefonat. Es war die Generalprobe für alles, was folgte.

(RP)
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