Merkel trifft Ministerpräsident Donald Tusk Krim-Krise schürt in Polen Angst vor Krieg

Warschau/Düsseldorf · Russlands aggressives Vorgehen alarmiert seine osteuropäischen Nachbarn. Als Reaktion forcieren diese ihre Westbindung. Bundeskanzlerin Angela Merkel berät heute mit Polens Ministerpräsident Donald Tusk über die Krim-Krise.

 "Putin, Hände weg von der Ukraine" steht auf dem Plakat, das eine Frau vor der russischen Botschaft in Warschau zeigt.

"Putin, Hände weg von der Ukraine" steht auf dem Plakat, das eine Frau vor der russischen Botschaft in Warschau zeigt.

Foto: afp

Blitzschnell machte das Gerücht in Polen die Runde: Einige Kreiswehrersatzämter, so hieß es im Internet, hätten bei jungen Männern angerufen, um sie nach ihrer Größe, ihrem Gewicht und dem Gesundheitszustand zu befragen. In Polen gibt es — ähnlich wie in Deutschland — seit einigen Jahren keine Wehrpflicht mehr. Aber angesichts der Krim-Krise und des drohenden militärischen Konflikts in der Ukraine liegen bei Deutschlands östlichem Nachbarn die Nerven blank.

Dahinter stecken traumatische historische Erfahrungen. Immerhin ist Polen in seiner Geschichte gleich mehrfach von russischen Truppen besetzt worden. Zuletzt 1939, als Stalin in Absprache mit Hitler den Osten des Landes besetzen ließ. Zwar dementierte das Verteidigungsministerium in Warschau gestern das Gerücht, wonach die polnische Armee bereits mobilisiere. Doch die Unruhe blieb. "Mein Schneider erzählte mir noch heute Morgen, dass er sich Sorgen um das Schicksal seines 17-jährigen Sohnes macht", sagt Jerzy Haszczynski, Außenpolitik-Chef der Zeitung "Rzeczpospolita". Für die Polen sei dies "die angespannteste Periode seit der Verhängung des Kriegsrechts 1981".

Die Bedrohung aus dem Osten bewirkt, dass Polen noch stärker die Nähe zum Westen sucht. So verlegten auf Bitten aus Warschau die USA zwölf zusätzliche F-16-Kampfjets nach Polen. Noch bemerkenswerter ist aber der Sinneswandel von Notenbankchef Marek Belka. Der hatte wegen der zu erwartenden wirtschaftlichen Nachteile bisher stets vor einer baldigen Einführung des Euro in Polen gewarnt. Nun aber plädierte er angesichts der Konfrontation mit Russland für eine schnelle Einführung der Gemeinschaftswährung — aus übergeordneten politischen Gründen.

Polnische Politiker fühlen sich im Nachhinein bestätigt mit ihrer pessimistischen Einschätzung des großen Nachbarn. "Wir Polen haben immer gesagt, dass Russland gar nicht an einer wirklichen Kooperation mit dem Westen interessiert ist, sondern sich als eigenen zivilisatorischen Block versteht", sagt Journalist Haszczynski. Früher hätten westliche Politiker die Polen dafür als russenfeindlich gescholten. Jetzt aber müssten viele im Westen einsehen, dass die Polen mit ihren Warnungen richtig gelegen haben. "Der Kurswechsel, den wir in diesem Punkt zuletzt bei der SPD gesehen haben, ist schon frappierend", sagt der langjährige Deutschland-Korrespondent Haszczynski.

Selbst Außenminister Radoslaw Sikorski, einer der Architekten der Annäherungspolitik mit Moskau, warnte davor, dass das russische Vorgehen auf der Krim Schule machen könnte. "Wir wissen, dass das Raubtier beim Fressen nur noch mehr Appetit bekommt", brachte er die Sorge seiner Landsleute auf den Punkt. Die wird in zahlreichen Nachbarländern geteilt, vor allem dort, wo es starke russischsprachige Minderheiten gibt, die dem Kreml einen Vorwand zur Intervention liefern könnten.

Das Szenario in der Ukraine erinnere ihn an die Ereignisse in den baltischen Staaten, die von Moskau im Zweiten Weltkrieg der Sowjetunion einverleibt worden seien, sagte der lettische Außenminister Edgars Rinkevics gestern bei einem Treffen mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Der sicherte den drei baltischen EU-Staaten Litauen, Lettland und Estland bei einer Rundreise durchs Baltikum Deutschlands Solidarität zu. Steinmeier knüpfte die nächste Stufe der EU-Sanktionen gegen Russland erstmals direkt an die Volksabstimmung über die Abspaltung der Krim am Sonntag. "Wenn das Referendum nicht verschoben wird, dann wird man spätestens am Montag eine weitere Entscheidungsstufe haben", sagte der SPD-Politiker.

Auch das westliche Verteidigungsbündnis setzte Signale der Solidarität. Die Nato beschloss, "Awacs-Radaraufklärer" über Polen und Rumänien patrouillieren zu lassen. Die Flugzeuge sollen nur über dem Gebiet von Nato-Staaten fliegen und starten im rheinischen Geilenkirchen und im britischen Waddington. Die EU-Kommission kündigte unterdessen sofortige Handelserleichterungen im Volumen von rund 500 Millionen Euro an, um die ukrainische Wirtschaft zu unterstützen. Das Land steht vor dem Staatsbankrott. Bis mindestens zum 1. November sollen die Importzölle auf Agrarprodukte und andere Güter wegfallen. Die Weltbank stellte der Ukraine außerdem zusätzliche Hilfen in Höhe von rund 720 Millionen Euro in Aussicht.

(RP)
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