Prozess in Lüneburg Auschwitz-Überlebende kritisieren deutsche Justiz

Lüneburg · Auschwitz-Prozesse wie der gegen Oskar Gröning in Lüneburg hätten viel früher stattfinden müssen, kritisieren Überlebende des Nazi-Terrors. Die rechtlichen Möglichkeiten habe es durchaus gegeben.

Auschwitz 70 Jahre nach der Befreiung
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Auschwitz: Bilder vom Ort des Verbrechens

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Foto: RP/Sebastian Fuhrmann

Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz haben deutliche Kritik an der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Deutschland geübt. "Wir kritisieren die jahrzehntelange Untätigkeit der deutschen Justiz und ihr Desinteresse, Gerechtigkeit herzustellen", sagte am Montag Christoph Heubner vom Internationalen Auschwitz Komitee, einem Zusammenschluss von Auschwitz-Überlebenden und ihren Organisationen.

In Lüneburg beginnt am Dienstag einer der womöglich letzten großen Prozesse im Zusammenhang mit den Verbrechen der Nationalsozialisten in Auschwitz. Der 93-jährige frühere SS-Mann Oskar Gröning muss sich wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen am Landgericht Lüneburg verantworten.

Wegen Beihilfe hätte immer schon verhandelt werden können und müssen, nicht erst seit Demjanjuk, monierten die Nebenkläger-Anwälte Thomas Walther und Cornelius Nestler in Lüneburg. Die beiden vertreten 53 der insgesamt 62 Nebenkläger, darunter Überlebende und Angehörige von Opfern. Seit einem Urteil von 2011 gegen den KZ-Aufseher John Demjanjuk besteht die Justiz nicht mehr darauf, eine direkte Beteiligung an den Mordtaten nachzuweisen.

"Ohne Begründung wurden Verfahren eingestellt", kritisierte Nestler.
"So wurde das 1985 eingestellte Verfahren gegen Gröning noch 2005 mit der nicht zu vertretenden Begründung nicht wieder aufgenommen, dass SS-Wachmannschaften an der Rampe für die Ermordung Hunderttausender Juden überflüssig waren."

"Es geht nicht um Rache", betonte die Auschwitz-Überlebende Eva Pusztai-Fahidi aus Budapest. "Es geht weniger um die Strafe, es geht um das Urteil. Wichtig ist, dass es die Gesellschaft zur Kenntnis nimmt", sagte sie. Ähnlich sah es auch die Überlebende Hedy Bohm aus Toronto: "Für Gerechtigkeit ist es nie zu spät - lieber spät als nie", sagte sie. "Hier Zeugnis abzulegen, ist das Beste, was wir tun können."

"Das ist ein sehr wichtiger Moment in meinem Leben, dass ein SS-Mann in Deutschland vor Gericht steht", sagte Bohm. "Das ist wichtig auch für kommende Generationen." Gröning sei Teil der Vernichtungsmaschinerie gewesen, darauf komme es in diesem historischen Moment an. "Ich hoffe auf Gerechtigkeit", sagte Bohm.

"Der Schrecken wirkt fort in die nachfolgenden Generationen", sagte Judith Kalman, deren Halbschwester mit sechs Jahren in Auschwitz ermordet worden war. Der Prozess sei für sie eine Gelegenheit, an die Leiden ihrer Familie zu erinnern. "Ich verdanke mein Leben einem toten Kind", sagt sie mit Blick auf die zweite Familie ihres Vaters.

"Wir fordern eine späte Gerechtigkeit", hatte Heubner vorab erklärt.
"70 Jahre nach dem Ende ihrer Leidenszeit in Auschwitz erwarten die Überlebenden diesen Prozess mit großem Interesse und Beklemmung", sagte er. "Sie haben auf die Gelegenheit, Zeuge in einem deutschen Gerichtssaal zu sein, lange, lange gewartet."

(dpa)
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