30 Tote bei Massenprotesten Machtkampf in Ägypten spitzt sich zu

Kairo · Offener Machtkampf am Nil: Nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi liefern sich Anhänger und Gegner des Islamisten blutige Straßenschlachten mit vielen Toten und Verletzten.

Der Tag nach Mursis Entmachtung - Tote in Kairo
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Bei den Massenprotesten nach den Freitagsgebeten starben nach Angaben des Gesundheitsministeriums mindestens 30 Menschen, davon 16 durch Schüsse. Mehr als 1100 weitere wurden am Abend oder in der Nacht zum Samstag verletzt. Der von den Islamisten ausgerufene "Freitag der Ablehnung" endete im Chaos. Mursis Anhänger wollen so lange mobil machen, bis ihr gestürzter Präsident wieder im Amt ist.

Das Blutvergießen hatte am Freitagnachmittag begonnen, als Zehntausende Islamisten auf die Straße gingen, um ihrer Wut über den "Militärputsch" Luft zu machen. Als sie vor eine Kaserne der Republikanischen Garde zogen, wo sie den abgesetzten Mursi vermuteten, eröffneten Sicherheitskräfte das Feuer auf die Demonstranten. Mindestens zwei Menschen starben.

In Kairo prallten Mursi-Anhänger und Mursi-Gegner in der Nähe des Tahrir-Platzes aufeinander. An der zentral gelegenen 6. Oktober-Brücke lieferten sie sich heftige Straßenschlachten. Beide Seiten bewarfen sich mit Pflastersteinen und gingen mit Stöcken, Brandsätzen und Feuerwerkskörpern aufeinander los. Die Sicherheitskräfte griffen nicht ein. Zu Zusammenstößen kam es auch in Alexandria, Suez und in Al-Arisch auf dem Sinai.

Muslimbrüder rufen zu weiteren Protesten auf

Die Muslimbrüder, aus deren Reihen Mursi stammt, riefen die Menge am Freitagabend auf, so lange auf der Straße zu bleiben, bis dieser wieder an der Macht sei. "Wir werden ihn (Mursi) auf unseren Schultern tragend (ins Amt) zurückbringen", rief ihr Führer Mohammed Badia Zehntausenden zu. "Wir werden für ihn unsere Seelen opfern."

Die Armeeführung hatte Mursi am Mittwoch nach tagelangen, teils blutigen Massenprotesten gegen seine Herrschaft aus dem Amt entfernt. Sie setzte den bisherigen Präsidenten des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, als Interimspräsidenten ein. Er soll das wirtschaftlich angeschlagene Land zu Neuwahlen führen. Mit einer seiner ersten Weisungen löste er das Parlament auf.

Unmittelbar nach seiner Vereidigung hatte Mansur angekündigt, die Islamisten an der Regierung beteiligen zu wollen. Dies schlossen die religiösen Kräfte jedoch kategorisch aus. Mursi selbst bezeichnete seine Entmachtung als "klaren Militärputsch".

In Kairo nahmen Sicherheitskräfte in der Nacht zum Samstag den stellvertretenden Führer und Hauptfinanzier der Muslimbruderschaft fest, Chairat al-Schater. Ihm wird Anstachelung zur Gewalt vorgeworfen.

Bei der Berichterstattung über die Unruhen wurde der britische BBC-Journalist Jeremy Bowen angeschossen. Im Kurznachrichtendienst Twitter wurde ein Foto des Fernsehreporters veröffentlicht, das ihn mit einem Kopfverband zeigt. "Ich bin von ein paar Gewehrkugel-Splittern getroffen worden", schrieb Bowen via Twitter.

Polenz: Haben keinen Einfluss

Deutschland hat nach Ansicht des CDU-Außenpolitikers Ruprecht Polenz kaum Einflussmöglichkeiten in Ägypten. "Bei Ägyptens Fahrt in die Zukunft sind wir Deutsche nicht mal Beifahrer, sondern bestenfalls ab und zu mal die Stimme aus dem Navi. Und auf die wird ja nun nicht immer gehört", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

"Wenn wir jetzt politische Berater schicken, kann man leider nicht sicher sein, dass sie nicht dasselbe Schicksal erleiden wie jüngst die Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung", fügte er hinzu. Ein Gericht in Kairo hatte vor einem Monat zwei deutsche Mitarbeiter der CDU-nahen Stiftung in Abwesenheit zu Haftstrafen verurteilt. Sie sollen illegal ausländisches Geld verwendet haben, um Unruhe in Ägypten zu schüren, so das Gericht.

Polenz' Parteifreund Andreas Schockenhoff hatte dagegen empfohlen, den demokratischen Aufbauprozess in Ägypten mit deutschen Beratern zu begleiten. "Alles was Rechtsstaatlichkeit angeht, also Gewaltenteilung zwischen Justiz, Parlament und Regierung, da hat Deutschland gute Erfahrungen. Dazu können wir Experten nach Ägypten schicken", hatte der stellvertretende Bundestagsfraktionschef der "Saarbrücker Zeitung" gesagt.

UN-Generalsekretär Ban erklärte, damit die Probleme des Landes friedlich gelöst werden könnten, dürfe es keine Vergeltung geben, auch dürfe keine wichtige Partei oder Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Laut seinem Sprecher rief er die ägyptischen Sicherheitskräfte auf, die Demonstranten zu schützen und weitere Zusammenstöße zu verhindern.

Die USA verurteilten die tödliche Gewalt. Alle Führer in Ägypten sollten die jüngsten Zusammenstöße anprangern und weitere Gewalt durch ihre Unterstützer verhindern, erklärte eine Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki, am Freitag (Ortszeit).

(dpa)
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