Waffenlobby gewinnt Machtkampf mit US-Präsident Mächtige NRA setzt sich gegen Barack Obama durch

Washington · Die mächtige National Rifle Association hat sich gegen Präsident Barack Obama durchgesetzt: Die meisten US-Staaten haben trotz vieler Amokläufe und anderer Verbrechen mit Schusswaffen ihre Gesetze nicht etwa verschärft, sondern gelockert.

Proteste bei der NRA-Erklärung
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Proteste bei der NRA-Erklärung

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Wie straff die Waffenlobby die Zügel in der Hand hält, bekam Dick Metcalf ebenso überraschend wie drastisch zu spüren. Seit 37 Jahren schreibt der Historiker über Schießgerät, zuletzt lieferte er Kolumnen für "Guns & Ammo", nach Eigenwerbung die weltweit meistgelesene Fachzeitschrift für Feuerwaffen. Im Spätherbst, kurz vor dem Jahrestag des Amoklaufs an der Sandy-Hook-Schule in Newtown, verfasste Metcalf einen Kommentar, der sich in seiner Nachdenklichkeit deutlich abhob von dem, was sonst in dem Magazin steht: "Fakt ist, dass alle Verfassungsrechte reguliert sind, reguliert waren und reguliert werden müssen."

Das gelte auch für das Recht amerikanischer Bürger, Waffen zu tragen, 1791 verankert im zweiten Zusatzartikel zur Verfassung. Er glaube fest daran, aber ein paar Regeln müsse es geben. "In einem Kino können Sie ja auch nicht einfach aufspringen und 'Feuer' rufen, wenn es nicht brennt." Wer also stets eine Pistole bei sich trage, müsse einen Schulungskursus absolvieren, was gewiss keine Zumutung sei, sondern schlicht vernünftig.

Proteststurm nach Erklärung

Metcalf konnte nicht ahnen, welchen Proteststurm er mit seinen Zeilen entfachte. Nicht nur dass aufgebrachte Leser mit der Kündigung ihres Abonnements drohten. "Sie sind ein schlechter Mensch, und ich hoffe, Sie sterben und fahren zur Hölle", attackierte ihn ein anonymer Absender. Ein anderer empfahl in zynischer Anspielung auf den Artikel: "Jemand sollte Ihr Mundwerk regulieren."

Bei "Guns & Ammo" wird Metcalf nicht mehr gedruckt, wohlgemerkt, ein Waffenfreund. "Als ich neun war, nahm ich die Flinte, die an unserer Küchentür hing, und machte Jagd auf Eichhörnchen und Hasen für den Sonntagsbraten", schrieb der Mann aus dem ländlichen Illinois neulich im Magazin "Politico", wo er seinem Frust freien Lauf ließ. Mit zwölf meldeten ihn seine Eltern bei der National Rifle Association (NRA) an, der bestens vernetzten Interessenvertretung der Waffenbesitzer.

Dieselbe NRA hat nun Öl ins Feuer der Kampagne gegen Metcalf gegossen. Dabei könnte sie gelassener sein, denn Amerikas Waffendebatte hat sie vorerst gewonnen. Als das Weiße Haus nach dem Blutbad von Newtown Restriktionen anpeilte, reagierte sie mit einer Gegenoffensive, deren Parolen klangen, als stehe der Untergang des Abendlands vor der Tür.

NRA hat fünf Millionen Mitglieder

Die Rechnung ging auf, heute zählt das Netzwerk rund fünf Millionen Mitglieder, fast eine Million mehr als vor Jahresfrist. Im Kongress scheiterte ein Gesetz, nach dem alle Waffenkunden auf eventuelle Vorstrafen überprüft werden sollten, auch in bisher unkontrollierten Nischen wie ad hoc organisierten "Flintenbasaren". Während Washington wie gelähmt wirkt, sind es allein die Bundesstaaten, die handeln — mit überraschenden Folgen: Von den 109 Waffengesetzen, die seit Newtown verabschiedet wurden, haben zwei Drittel die Bestimmungen gelockert, statt sie zu verschärfen.

Es gibt zwar auch den Gegentrend, vor allem in den Ballungszentren im Nordosten des Landes: In Connecticut muss jeder Waffenaspirant einen Datencheck durchlaufen, auch dann, wenn er bei Privatleuten kauft. Doch es ist eher die Ausnahme, die die Regel bestätigt: In South Dakota dürfen Lehrer neuerdings Pistolen ins Klassenzimmer mitnehmen, um potenzielle Angreifer abzuschrecken. Damit folgt der Präriestaat der Empfehlung Wayne La Pierres, des NRA-Sprechers, der verlangt hatte, die Schulen umgehend aufzurüsten: "Der Einzige, der einen bösen Kerl mit einer Knarre stoppen kann, ist ein guter Kerl mit einer Knarre."

Das mittelwestliche Illinois, in dem mit Chicago eine der akuten Problemzonen städtischer Bandenkriege liegt, kippte einen Paragrafen, nach dem es untersagt war, Handfeuerwaffen verdeckt, etwa unterm Jackett, auf der Straße bei sich zu tragen. Illinois war der letzte der 50 Bundesstaaten, in dem das Verbot noch galt. In North Carolina darf man mit "verdeckten" Pistolen seit Kurzem auch eine Bar oder einen College-Campus betreten.

(RP)
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