Passagierflieger über Ukraine abgestürzt USA gehen von Abschuss mit Boden-Luft-Rakete aus

Kiew · Nach dem Absturz der Passagiermaschine über der Ukraine herrscht Entsetzen. Zu den 298 Opfern zählen 154 Niederländer und vier Deutsche. "Das war kein Unfall", heißt es bei US-Offiziellen. Der russische Präsident Wladimir Putin beschuldigt indirekt die Ukraine.

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Passagiermaschine über der Ukraine abgestürzt

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Nach dem mutmaßlichen Abschuss einer malaysischen Boeing über der Ostukraine mit 298 Menschen an Bord bleiben die Hintergründe der Tragödie weiterhin ungeklärt. Der ukrainische Präsident Poroschenko sprach von einem "terroristischen Akt". Er warf den prorussischen Separatisten vor, die Boeing mit einer Rakete abgeschossen zu haben - wie zuletzt mehrere ukrainische Militärflugzeuge. Die USA gehen davon aus, dass eine Boden-Luft-Rakete abgefeuert wurde. Die Aufständischen dementierten, für den Absturz der Boeing 777-200 verantwortlich zu sein.

USA fordern Untersuchung US-Präsident Barack Obama forderte eine internationale Untersuchung der Ursache für den Absturz über der von Rebellen kontrollierten Region in der Ostukraine. In einem Telefonat mit seinem ukrainischen Kollegen Petro Poroschenko sagte Obama, am Ort des Absturzes dürfe nichts verändert werden, bis internationale Experten "alle Aspekte der Tragödie" untersuchen können. Zugleich sicherte der US-Präsident sofortige Hilfe von US-Experten zu, teilte das Weiße Haus weiter mit. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, die EU und die Nato verlangten eine internationale Untersuchung.

Freier Zugang zum Wrack Prorussische Separatisten sicherten Einsatzkräften und Ermittlern freien Zugang zum Wrack zu. Das teilte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Freitag in Wien mit. Ukrainischen und internationalen Einsatzkräften sei garantiert worden, dass sie sich gefahrlos am Absturzort bewegen könnten, um unter anderem die Leichen der insgesamt 298 Menschen an Bord zu bergen. Zudem hätten die Aufständischen versprochen, in allen praktischen Fragen zur Untersuchung des Vorfalls mit den ukrainischen Behörden zusammenzuarbeiten.

Abschüsse von Passagiermaschinen
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Foto: dpa, marten ase

Die Lage am Unglücksort In der Ostukraine erreichten Rettungskräfte am Donnerstagabend das Wrack des Flugzeugs in der Nähe der Ortschaft Grabowo. "Die Arbeiten werden davon erschwert, dass die Trümmer in großem Umkreis verstreut sind", sagte der Sprecher des ukrainischen Notfalldienstes, Sergej Botschkowski. Zudem seien bewaffnete Separatisten in der Nähe.

Black Box Die Aufständischen gaben an, sie hätten den Flugschreiber der Boeing gefunden. "Die Black Box wurde sichergestellt", sagte einer der Sprecher, Konstantin Knyrik. Auch Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) machten sich auf den Weg zum Wrack. Die Separatisten boten am Abend eine befristete Feuerpause während der Bergungsarbeiten an. Zudem sicherten sie Einsatzkräften und Ermittlern freien Zugang zum Wrack zu, wie die OSZE in Wien mitteilte.

Keine Überlebenden Niemand der 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder überlebte am Donnerstag den Absturz aus etwa 10.000 Meter Flughöhe. Angehörige versammelten sich am Flughafen in Amsterdam. Dort herrschte heilloses Entsetzen.

Malaysia Airline: Verzweifelte Angehörige in den Niederlanden
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Die Opfer Der Vizepräsident der Malaysia Airlines Europe, Huib Gorter, sagte am Abend am Amsterdamer Flughafen Schiphol, dass vier deutsche Passagiere ums Leben gekommen seien. Vom Auswärtigen Amt in Berlin gab es dafür zunächst auf Anfrage keine Bestätigung. An Bord waren auch 27 Australier, 23 Malaysier, 11 Indonesier, 9 Briten, 5 Belgier, 3 Philippiner und ein Kanadier. Von den anderen Passagieren stehe die Nationalität noch nicht fest, so der Manager. Die Maschine war als Flug MH 017 um 12.15 Uhr von Amsterdam mit dem Ziel Kuala Lumpur gestartet.

An Bord waren zahlreiche Aids-Aktivisten. Sie befanden sich auf dem Weg zum Welt-Aids-Kongress im australischen Melbourne, wie die International Aids Society mitteilte. Es sei davon auszugehen, dass von den 283 Passagieren insgesamt 108 Aids-Delegierte und deren Familienangehörige gewesen seien.

Die Airline Es ist der zweite schwere Schlag für Malaysia Airlines innerhalb von Monaten. Im März verschwand Flug MH370 mit 239 Menschen an Bord auf dem Flug von Kuala Lumpur nach Peking. Wochenlange Suchen im Pazifik nach dem Wrack blieben erfolglos.

Suche nach Ursache Nach der Tragödie in der Ostukraine sprach auch US-Vizepräsident Joe Biden von einem Abschuss der Maschine. Der Absturz sei "kein Unfall", die Maschine sei "vom Himmel geholt worden", sagte Biden nach Angaben des TV-Senders MSNBC in Detroit. Das entspricht der Einschätzung des US-Geheimdienstes, der von einem Raketenbeschuss ausgeht. Die "Washington Post" zitierte einen namentlich nicht genannten Geheimdienstbeamten.

Bei der Rakete habe es sich um eine Boden-Luft-Rakete gehandelt, berichtete die "New York Times" unter Berufung auf namentlich nicht genannte Experten der US-Regierung. Das Flugzeug sei auf einer Höhe von 9100 Meter geflogen, hieß es unter Berufung auf Daten eines Spionagesatelliten der US-Streitkräfte.

Der Satellit liefere aber keine Informationen, wo genau die Rakete abgefeuert wurde. Experten von Militär und Geheimdienst seien aber dabei, mit Hilfe von mathematischen Formeln und Computern, den genauen Ursprungsort der Rakete zu ermitteln. Andere Experten arbeiteten mit ukrainische Behörden zusammen, um Trümmerteile der Rakete und des Flugzeuges zu untersuchen.

Kreml attackiert Kiew Russlands Präsident Wladimir Putin gab der Ukraine indirekt die Schuld. Die schreckliche Tragödie wäre nicht passiert, wenn es in der Ostukraine keinen Krieg gebe, sagte der Kremlchef.

Hinweise auf Rebellen Doch es mehren sich Hinweise darauf, dass die pro-russischen Rebellen die Rakete abgefeuert haben könnten. Sie sollen entsprechende Waffensystem von der ukrainischen Armee erobert haben. Zudem hat sich ein Rebellenführer am Donnerstagnachmittag bei Facebook mit dem Abschuss einer größeren Militärmaschine gebrüstet und entsprechendes Filmmaterial veröffentlicht. Das spricht für dern Erklärungsansatz, nach dem es es ich bei dem mutmaßlichen Abschuss um eine tragische Verwechslung gahndelt hat: Demnach wäre eine ukrainische Militärmaschine das Ziel gewesen, die Rakete dann aber durch ihren Wärmesucher auf die Spur des Ferienfliegers geraten. Militärexperte weisen allerdings darauf hin, dass nur ausgebildete Teams in der Lage sind, ein Raketensystem zu bedienen.

Das Raketensystem Die Separatisten hatten zuletzt mehrfach zugegeben, ukrainische Kampfjets, Transportmaschinen und mehrere Hubschrauber abgeschossen zu haben. Nach unbestätigten Berichten haben die Separatisten behauptet, ein Buk-Flugabwehrsystem im Verlauf der Kämpfe erbeutet zu haben. Das in den 80er-Jahren von der sowjetischen Militärindustrie entwickelte Lenkwaffen-System Buk (Buche) kann Ziele in Höhen bis zu 25.000 Metern treffen.

UN-Sicherheitsrat Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen will sich in einer eilig einberufenen Sondersitzung mit dem Flugzeugabsturz in der Ukraine befassen. Das mächtigste UN-Gremium werde am Freitag um 10 Uhr (Ortszeit, 16 Uhr deutscher Zeit) zusammentreten, hieß es am Donnerstag aus Diplomatenkreisen. Auch der ukrainische Botschafter Juri Sergejew soll an der voraussichtlich offenen Sitzung teilnehmen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass irgendwelche Beschlüsse gefasst werden. Russland zählt zu den ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates.

Schuldzuweisungen Russland und die Ukraine streiten über die Ursachen der Tragödie. Die ukrainische Luftwaffe hat nach den Worten Poroschenkos mit der Tragödie nichts zu tun. Dies wiederum wurde von russischer Seite in Frage gestellt. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, es sei angesichts der schweren Gefechte in der Region für die ukrainische Führung unmöglich, in so kurzer Zeit den eigenen Einsatz von Raketen glaubhaft auszuschließen.

Luftraum gesperrt Der Luftraum über der Ostukraine wurde nach dem Absturz nahe Donezk gesperrt. Das hätten die ukrainischen Behörden kurz nach dem Absturz nahe Donezk beschlossen, teilte die europäische Organisation für die Luftverkehrskontrolle, Eurocontrol, in Brüssel mit. Die Maßnahme gelte vorerst unbefristet.

Reaktion der Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich schockiert und forderte eine umgehende und unabhängige Untersuchung. Merkel trauere um die Opfer des Absturzes der malaysischen Passagiermaschine, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. "Sollte sich diese Nachricht (vom Abschuss) bestätigen, so stelle sie eine weitere, tragische Eskalation des Konfliktes im Osten der Ukraine dar."

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(dpa)
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