Russland-Krise Die "betrunkenen Gorillas" wird Putin nicht mehr los

Kiew/Moskau · Nach dem Absturz von Flug MH17 ist Russlands Präsident bei vielen westlichen Regierungen unten durch. Zu erdrückend sind die Hinweise, die für eine Beteiligung Russlands sprechen. Auch wenn er jetzt volle Kooperation bei der Aufklärung zusichert, muss Putin mit ernsten Sanktionen rechnen. Kenner vergleichen ihn bereits mit dem Zauberlehrling, der die Geister nicht mehr los wird, die er beschworen hat.

 Separatisten behinderten tagelang den Zugang zur Unglücksstelle.

Separatisten behinderten tagelang den Zugang zur Unglücksstelle.

Foto: afp, KLC/JK

Das Entsetzen in Europa ist greifbar. Der würdelose Umgang mit den Toten von Flug MH17 hat in europäischen Hauptstädten den Ärger auf den russischen Präsidenten wachsen lassen. Selbst die sonst zurückhaltende Kanzlerin Angela Merkel spricht von einem katastrophalen Prozedere.

Dabei gilt die Wut weniger den Separatisten als Russlands Präsident Wladimir Putin. Die Art und Weise, wie er sich nach dem Absturz für unzuständig erklärte und die Rebellen gewähren ließ, hinterließ Fassungslosigkeit im Westen, aber auch Zorn. Dass die Außenminister eine internationale Untersuchung des Abschusses und die Bestrafung der Schuldigen fordern, ist nur noch eine Formsache. "Es gibt eine Menge Wut", sagt ein EU-Diplomat.

Handeln und Reden im krassen Widerspruch

Auch, weil Putin allem Anschein nach wieder das Katz-und-Maus-Spiel aus den Vormonaten aufnehmen will. Immer wenn die EU ernsthaft mit Sanktionen drohte, lenkte er bislang ein. Und tut es auch jetzt wieder. "Russland unternimmt alles, damit der Konflikt zu Gesprächen mit friedlichen und ausschließlich diplomatischen Mitteln übergeht", ließ er in der Nacht zum Montag wissen. Und ja, er unterstütze eine Untersuchung des Absturzes durch die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO).

Derlei öffentliche Bekundungen stehen nach Ansicht vieler EU-Regierungen freilich in einem Widerspruch zu dem, was an Ort und Stelle mit Billigung und sogar aktiver Unterstützung Russlands geschieht. Seit Monaten beklagen westliche Politiker, dass das gesprochene Wort Putins oft im krassen Widerspruch den tatsächlichen Ereignissen stehe.

"Das ist grotesk"

Der Absturzort der MH17 - ein Ort wie nach der Apokalypse
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Der Absturzort der MH17 - ein Ort wie nach der Apokalypse

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Wie nun umgehen mit diesem Moskauer Hasardeur, von dem viele Diplomaten nicht mehr wissen, ob er überhaupt noch einem rationalen Plan folgt oder schon längst in einer eigenen Welt agiert, überlagert von der Vision eines großrussischen Reiches, vereint im Bund slawischer Völker.

Alle Indizien, so verdichteten sich die Berichte seit dem Absturz am Donnerstag, sprechen für einen Abschuss der Passagiermaschine mit Beteiligung Moskaus. "Was passiert, ist wirklich grotesk und steht im Gegensatz zu allem, was Putin und Russland zu tun angekündigt haben", wetterte US-Außenminister John Kerry erst am Sonntag. Und verwies darauf, dass Russland im Juni die Separatisten nicht nur mit Panzern, Panzerwagen und Artillerie, sondern auch mit jenen SA-11-Raketen versorgt habe, die allen westlichen Erkenntnissen zufolge die Maschine der Malaysia Airlines vom Himmel holten.

Rundumschlag von Kerry

Ukraine: Pressestimmen zum Absturz von Flug MH17 der Malaysia Airlines
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Pressestimmen zum Absturz der MH17

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Deutlicher denn je hat insbesondere Kerry den Russen eine Mitverantwortung am Absturz des Passagierflugzeugs mit 298 Insassen zugewiesen. Das Abschusssystem könne nur "von Russland in die Hände der Separatisten gelangt" sein, so der US-Außenminister in einem TV-Interview. Er verwies auf Bilder vom Raketenabschuss, man wisse über die Flugbahn Bescheid. Ferner gebe es Aufnahmen von "prahlenden" Separatisten nach dem "Abschuss". "Betrunkene Separatisten" würden die Ermittlungsarbeiten behindern, pietätlos Leichen aufeinanderstapeln und "Spuren verwischen".

Das ähnelt auffallend den Worten des ukrainischen Premiers Arseni Jazenjuk, der in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" darauf hinwies, dass es bei der Bedienung des Raketensystems "sehr professionelles Personal" benötige, um Ziele zu finden und die Rakete abzufeuern. Es sei bekannt, "dass diese Systeme nicht von betrunkenen Gorillas bedient werden können".

Wie der Zauberlehrling

Ganz gleich welchen Einfluss Wladimir Putin auf die Separatisten tatsächlich hat — weil er sich im Laufe des Konfliktes nie eindeutig von ihnen distanzierte, sitzt er jetzt mit auf der Anklagebank, verstrickt in die ganzen Fäden, die vom Kriegsgebiet aus nach Moskau führen: Die "grünen Männchen" mit professioneller Militärausrüstung, authentifizierte Telefonate mit russischen Verbindungsleuten, einschlägig bekannte Kämpfer aus dem Tschetschenienkrieg und nun auch das Buk-Raketensystem, das laut "Washington Post" in aller Heimlichkeit wieder zurück nach Russland gebracht wurde.

Im besten Fall hat Putin schlichtweg die Kontrolle über eine ganze Bande von marodierenden Warlords verloren. "Es ist offensichtlich, dass der russische Präsident hier ein Spiel gespielt hat, das er selbst nicht mehr kontrolliert, dass er wie der Zauberlehrling dasteht, der die Formel nicht mehr weiß, wie er den Konflikt beenden kann, den er selbst angefacht hat", sagt Christoph Bertram, der frühere Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik dem Deutschlandfunk.

Zunächst ist Putin am Zug

Doch das lässt Putin aus Sicht etlicher Regierungen im Westen keineswegs zu einem verlässlicheren Partner werden. Manche treibt nach Angaben von Diplomaten inzwischen die Sorge um, Moskau könne sich in eine internationale Isolation lavieren, in der es als Gesprächspartner nicht mehr ernst genommen werde. Allein, mit dem Rücken zur Wand, könnte Putin noch unberechenbarer werden.

Auch solche Erwägungen werden am Dienstag bei den Beratungen der EU-Außenminister sicher eine Rolle spielen. Vor allem der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier plädierte konsequent dafür, den Gesprächsfaden in solchen Krisen nicht abreißen zu lassen.

Ob am Ende der Diskussion tatsächlich die dritte Eskalationsstufe von harten Wirtschaftssanktionen steht, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abzusehen. Vor allem Polen, Balten und Schweden fordern zusammen mit den Briten eine spürbar härtere Gangart gegen Putin, wie sich die bisher zögerlichen Länder wie Frankreich und Deutschland verhalten werden, muss sich zeigen.

In den nächsten Stunden liegt der Ball aber beim russischen Präsidenten. Australiens Premier Tony Abbott erklärte nach einem Telefonat mit Putin, der habe "lauter richtige Dinge" gesagt. Jetzt gehe es darum, dass er Taten folgen lasse. "Im Moment wird der Absturzort weniger wie ein Tatort behandelt, sondern eher so, als würde man einen Garten wieder auf Vordermann bringen", sagte Abbott dem Radiosender 2GB und fügte hinzu: "Das ist völlig inakzeptabel."

(pst)
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