Beitrittsgespräche gehen aber weiter EU will Finanzhilfen für Türkei kürzen

Brüssel · Auf dem EU-Gipfel einigten sich die Staats- und Regierungschefs, weiter mit der Türkei über deren Beitritt verhandeln, kürzten jedoch die Vorbeitrittshilfen. Angela Merkel zeigt sich vor den Brexit-Gesprächen am Freitag optimistisch.

 Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel spricht beim EU-Gipfel in Brüssel.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel spricht beim EU-Gipfel in Brüssel.

Foto: afp, JT

Alle seien sich einig gewesen, die Finanzhilfen zur Vorbereitung des EU-Beitritts "in verantwortbarer Weise zu kürzen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Nacht zum Freitag in Brüssel. Gleichzeitig sollten aber Ankara zugesagte Milliardenbeträge für die Versorgung syrischer Flüchtlinge weiter fließen.

Merkel verwies darauf, dass aus ihrer Sicht "die Situation der Menschenrechte" in der Türkei "absolut unzufriedenstellend" sei. Das Land entferne sich "Schritt für Schritt von dem, was wir als rechtsstaatliche Voraussetzung begreifen". Sie habe im Kreis der EU-Spitzen auch "darüber berichtet, wie wir darunter leiden, dass deutsche Staatsbürger aus unserer Sicht ungerechtfertigterweise in der Türkei in Haft sind."

Vor diesem Hintergrund komme es auch nicht in Frage, dass mit der Türkei derzeit über eine Modernisierung der Zollunion verhandelt werde, sagte Merkel weiter. Auch dies war eine der Zusagen, welche die EU im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsabkommen mit Ankara gemacht hatte.

Die Gipfelteilnehmer hätten anerkannt, dass die Türkei weiter "viel für die aus Syrien geflüchteten Menschen tut", sagte Merkel weiter. Deshalb wolle die EU auch zu ihrer Zusage stehen, weitere drei Milliarden Euro für die Versorgung der Flüchtlinge bereitzustellen. Dies sei etwa im Vergleich zu den Aufwendungen für Flüchtlinge in Deutschland "nicht zu viel Geld".

Mit Blick auf ihre Forderung aus dem Bundestagswahlkampf, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, räumte Merkel ein, dass es hierfür "im Grunde keine Mehrheit" unter den EU-Staats- und Regierungschefs gebe. Ein Abbruch wäre auch Voraussetzung dafür, dass die Zahlung der Vorbeitrittshilfen ganz eingestellt werden kann.

Der österreichische Kanzler Christian Kern sagte, mit den Beitrittshilfen habe man die Türkei näher an die rechtsstaatlichen Standards Europas heranführen wollen - dies sei eindeutig "nicht gelungen". Insgesamt hat die EU der Türkei für den Zeitraum 2014 bis 2020 rund 4,45 Milliarden Euro zugesagt, 368 Millionen davon sind bisher vertraglich gebunden.

Merkel betonte, dass es "nicht Hilfen einfach nur für die Regierung" seien, "sondern zum Teil auch für diejenigen, die sich eine andere Entwicklung in der Türkei vorstellen". Ein deutscher Regierungsvertreter hatte am Mittwoch darauf verwiesen, dass es nicht sinnvoll sei, Hilfen für Projekte zur Stärkung der Zivilgesellschaft zu kürzen.

Die Bundeskanzlerin sah gleichzeitig die Notwendigkeit, mit der Regierung in Ankara im Gespräch zu bleiben. Mit ihren Kollegen sei sie sich aber auch bewusst, "dass wir nicht nur über die Türkei sprechen können, sondern auch mit der Türkei sprechen müssen", sagte die Kanzlerin. Es werde nun darüber diskutiert, "in welchem Rahmen wir das weiter tun können".

In ihrer Gipfelerklärung warnten die Staats- und Regierungschefs die USA vor einem Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran, das Präsident Donald Trump zuletzt in Frage gestellt hatte. Die EU machte auch deutlich, dass sie Trumps Drohung mit einer militärischen Lösung des Nordkorea-Konflikts nicht für den richtigen Weg hält. Sie selbst droht Nordkorea eine weitere Verschärfung von Sanktionen an.

Der Gipfel bestätigte auch den Start einer engeren Zusammenarbeit bei der Verteidigung zum Jahresende und bekannte sich zu einer raschen Digitalisierung Europas.

Der für 2019 geplante EU-Austritt Großbritanniens steht erst für Freitag auf der Tagesordnung. Premierministerin Theresa May mahnte erneut Tempo bei den bisher schleppenden Brexit-Verhandlungen mit der EU an. Sie hoffe auf "ambitionierte Pläne" für die kommenden Wochen, sagte sie zu Beginn des Gipfels in Brüssel und warb später beim Abendessen der Staats- und Regierungschefs für ihre Position.

Merkel zeigte sich danach überraschend optimistisch, dass ein Brexit-Abkommen letztlich gelingen werde. "Ich habe da eigentlich überhaupt gar keinen Zweifel, wenn wir geistig alle klar sind", sagte sie. Sie sehe "null Indizien dafür, dass das nicht gelingen kann". Bis jetzt habe Großbritannien aber "noch nicht genug" Zugeständnisse gemacht, um die zweite Verhandlungsphase zu eröffnen.

(sbl)
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