Streit um Beutekunst-Ausstellung Merkels bizarre Russland-Reise

St. Petersburg · Chaos beim Russland-Besuch von Kanzlerin Merkel. Russlands Präsident Putin wollte zunächst einen Besuch der "Beutekunst"-Ausstellung in Sankt Petersburg platzen lassen. Erst auf Druck der Kanzlerin lenkte er ein. Putins Volten kontert die Kanzlerin inzwischen regungslos.

 Die Bildkombo zeigt eine deutliche Anspannung bei den beiden Staatschefs.

Die Bildkombo zeigt eine deutliche Anspannung bei den beiden Staatschefs.

Foto: dpa, Anatoly Maltsev

Ausgerechnet ein Kunstwerk, eine Lithografie aus dem Jahr 1894, dem Jahr des ersten deutsch-russischen Handelsvertrags, hatte Russlands Präsident Wladimir Putin der Bundeskanzlerin als Gastgeschenk am Freitagnachmittag im Konferenzentrum von Sankt Petersburg überreicht. Dabei war es die Kunst, die Merkels Staatsbesuch fast mit einem Fiasko hätte enden lassen.

Doch der Reihe nach. Kurz vor Angela Merkels Abflug aus Berlin am Freitagfrüh hatte die russische Seite die ursprünglich geplanten Grußworte Merkels und Putins zur Eröffnung der Ausstellung "Bronzezeit - Europa ohne Grenzen" im weltbekannten Petersburger Kunstmuseum Eremitage abgesagt. Ohne Begründung. Ein Affront. Merkel sagte daraufhin den Besuch der Ausstellung ganz ab. Nach Sankt Petersburg flog sie trotzdem. Immerhin hatte sie ja eine hochkarätige Wirtschaftsdelegation im Schlepptau und dem russischen Präsidenten bei dessen Besuch der Hannover Messe im Frühjahr ihre Teilnahme am Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg zugesagt.

Der Streit entzündete sich dann an einer Ausstellung, die als kultureller Höhepunkt des Deutschlandjahres in Russland gilt. Aber in dem wirtschaftlich dominierten Besuch Merkels nur als Nebenaspekt gedacht war. In der Schau sollten erstmals rund 600 Exponate der in Kriegszeiten von sowjetischen Soldaten aus Deutschland entwendeten Kunstobjekte, der so genannten Beutekunst, öffentlich gezeigt werden, darunter der Goldschatz von Eberswalde. Kulturexperten sprachen von einer "kleinen Sensation". Insgesamt lagern nach Schätzungen in Russland noch rund eine Million Kunstwerke aus deutschem Besitz, darunter 200.000 Gegenstände mit "besonderer musealer Bedeutung". Dazu 3,5 Millionen Bücher und drei Regalkilometer Archivgut. Deutschland fordert seit Jahrzehnten die Rückgabe der Kunst, Russland weigert sich. Offenbar hatten Putins Berater nun Angst, dass Kanzlerin Merkel in ihrer Ansprache im Museum erneut die Rückgabe der Kunst verlangen würde. Genau dies hatte Merkel auch vor.

Merkel widerspricht Putin öffentlich

Am Nachmittag dann der Rückzug Putins bei der gemeinsamen Pressekonferenz im Kongresszentrum Sankt Petersburgs. "Wir haben nichts abgesagt", behauptete der Präsident. Man habe nur zeitliche Probleme bedenken müssen. Diese seien nun gelöst. Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert steht an der Seite und lächelt gequält. Dann ergreift die neben Putin stehende Bundeskanzlerin plötzlich das Wort und widerspricht Putin öffentlich.

Die Kanzlerin hat schon öfter die rhetorischen Tricks des Präsidenten in Pressekonferenzen erlebt, etwa als Putin der russischen Frauen-Punkband "Pussy Riot" antisemitische Positionen unterstellte, um der deutschen Kritik an dem Umgang seines Regimes mit der Band zuvorzukommen.

Im November 2012 hatte Putin bei der Pressekonferenz zum Petersburger Dialog im Kreml zudem die Absprache gebrochen, das gleichberechtigt Journalisten beider Seiten Fragen stellen dürften. Merkel musste ins Kreuzverhör russischer Journalisten. Nun also die Beutekunst. In einem "direkten Gespräch zwischen mir und dem Präsidenten" sei man zu der Einigung gekommen, dass beide die Ausstellung besuchen würden und auch zu den Gästen sprechen würden, stellt Merkel klar. "Das Problem als solches ist also gelöst." Damit wird klar: es gab ein Problem. Putin schaut verdattert, belässt es aber bei Merkels Intervention. Auf die Frage, ob es bei dem Thema Beutekunst in seiner Präsidentschaft noch Fortschritte geben könnte, sagt er: Man dürfe die Probleme "nicht aufblasen". Es könnte dann ja auch russische Stimmen geben, die nachzählen würden, wieviel Schaden die Nazis hinterlassen hätten.

Heftiger Streit um Beutekunst

Die Beutekunst ist seit Jahren heftig umstritten. Russlands Gesetz von 1997, das die deutsche Kunst zu Landeseigentum deklarierte, wird von Deutschland als völkerrechtswidrig zurückgewiesen. Alle Bundesregierungen - egal welcher Coleur - fordern seither die Rückgabe der Kunst. Vergebens. Selbst der russland-freundliche Ex-SPD-Kanzler Gerhard Schröder schaffte es nicht, das Problem zu lösen, obwohl er bei einem Treffen mit Putin 2001 großspurig "fantasievolle Lösungen" ankündigte. Lediglich Teile des Rathenau-Archivs und Fenster der historischen Marienkirche in Frankfurt an der Oder wurden zurückgegeben. Mehr nicht.

Am Freitagabend kommt schließlich ein grimmig dreinblickender russischer Präsident mit einer gut gelaunten Bundeskanzlerin in die Eremitage am Ufer der Newa. Merkel will ihren diplomatischen Erfolg aber nicht auskosten, spricht davon, dass es schon eine Freude sei, dass die 600 "kriegsbedingt verlagerten" Kunstgegenstände zu sehen seien. Damit übernimmt sie die russische Rhetorik. Dann doch der zentrale Satz: "Wir sind der Meinung, dass diese Ausstellungsgegenstände wieder zurück nach Deutschland kommen sollten." Dies müsse man nun "politisch" lösen. Putin hatte zuvor davon gesprochen, dass es für den Bürger doch egal sei, ob die Kunst in Berlin oder Sankt Petersburg zu sehen sei. Näher kommen die beiden sich also nicht.

Die mit der Kanzlerin reisenden Wirtschaftsgrößen, darunter VW-Chef Martin Winterkorn, Siemens-Vorstandsvorsitzender Peter Löscher, Deutsche-Bank-Ko-Chef Jürgen Fitschen und der BASF-Vorstandsvorsitzende Kurt Nock, sind da längst nur noch Staffage. Der Streit um die Kunst überlagert die Reise. Vielleicht war das den Wirtschaftsakteuren aber auch ganz recht. Im Schatten der politischen Animositäten gedeiht der Wirtschaftsaustausch. Umgerechnet 60 Milliarden Euro umfasst das deutsch-russische Handelsvolumen inzwischen. Rekord. In den letzten 20 Jahren hat sich der Handel zwischen den Ländern verdreifacht. Beutekunst hin oder her. "Wir sind mit der Reise sehr zufrieden", sagt Siemens-Chef Peter Löscher am Freitagabend.

(brö)
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