Unterwegs mit der Kanzlerin Merkels einsame Reise ins geliebte Land

Washington (RP). Fünf Tage tourt die Bundeskanzlerin durch die USA, es ist die bisher längste Reise ihrer zweiten Amtszeit. Für Angela Merkel, die schon als DDR-Bürgerin heimlich Amerika bewunderte, ist der Trip nach Washington und Kalifornien mehr als eine Dienstreise. Sie bewundert das Land. Auch wenn vor Ort kaum einer Notiz von dem prominenten Gast nimmt. Der Berliner Büroleiter unserer Redaktion, Michael Bröcker, hat die Kanzlerin begleitet und berichtet an dieser Stelle täglich.

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Foto: ddp

Angela Merkel stört nicht weiter. Nur kurz blickt eine Gruppe amerikanischer Studenten - Flip-Flops, Polo-Shirt, Kaffee im Plastikbecher - hoch, als die Auto-Kolonne mit dem Blaulicht vorbeirauscht. Die Bundeskanzlerin fährt im beigefarbenen Jeep auf den Hof des Luxus-Hotels Ritz Carlton im Washingtoner Studentenviertel Georgetown. Das Bad in der Menge entfällt. Es wartet keiner. "Moerkell?" fragt eine Studentin ungläubig, als sie auf den prominenten Gast angesprochen wird. "Never heard", nie gehört.

Die Kanzlerin ist in Washington, schon zum zweiten Mal in ihrer zweiten Amtszeit. Zurück in dem von ihr so geliebten und bewunderten Land. Als junge Frau in der DDR hatte sich Merkel Mitte der 1980er Jahre von West-Verwandten Zeitschriften und Bücher über das Leben im Land der "unerreichbaren Möglichkeiten" (Merkel damals) über die Grenze schmuggeln lassen. Die Vereinigten Staaten, für die ummauerte Ostdeutsche waren und sind sie der Inbegriff von Freiheit, Aufbruch, Moderne. 1990, kurz nach der Wende, führte Merkel ihre erste Auslandsreise an die Pazifikküste. Die Eindrücke haben ihre Zuneigung bestätigt.

Heute ist Angela Merkel Bundeskanzlerin, Regierungschefin der drittgrößten Volkswirtschaft und Vertreterin eines treuen Nato-Verbündeten. Und doch scheint die USA weiter weg als damals, wie in den ersten Stunden ihrer Reise deutlich wird. 44 Staats- und Regierungschefs hat US-Präsident Barack Obama nach Washington geladen.. Das größte internationale Treffen in den USA seit 60 Jahren. Obamas Ziel: dem Weltfrieden näher kommen, die Sicherung atomwaffenfähigem Materials vor dem Zugriff von Terroristen. Der "Nukleargipfel", er ist eine bisher einmalige Allianz von Staatenlenkern -- von Chinas Präsident Hu über den saudischen König Al-Saud bis hin zu Brasiliens Staatschef Lula und Russlands Präsident Medwedew. Und natürlich gehört auch Kanzlerin Merkel dazu, auch wenn ihre Fachleute im Vorfeld des Gipfels dessen Dringlichkeit bezweifelt haben. Es gebe kaum spaltfähiges Nuklearmaterial.

Aber die Deutschen spielen auf dem Mammut-Gipfel ohnehin nur eine Nebenrolle. Ausgerechnet die leidenschaftliche Amerika-Freundin Merkel merkt das rasch. Während vor den Hotels der kanadischen und mexikanischen Delegierten die jeweilige Landesflagge gehisst wird, fehlt vor dem Ritz das schwarz-rot-goldene Banner. Erst am Dienstagabend, nach dem Gipfel und nach einer Pressekonferenz, empfängt Obama Merkel zum direkten Austausch. Knapp 40 Minuten. Mehr ist nicht drin. Gesprächszeiten mit dem US-Präsidenten sind eine heiß gehandelte Ware an der diplomatischen Börse. Andere haben offenbar besser investiert. Fast ein Dutzend Staatschefs treffen Obama vor Merkel, Mexikos Präsident Calderon etwa, Südafrikas Präsident Zuma und Jordaniens Regent Al-Hussein. Chinas Staatschef Hu Jintao bekommt fast eine Stunde, wie US-Medien berichten. Nun steht Deutschland als Land des Atomausstiegs beim Nukleargipfel auch nicht besonders im Fokus. Ein Beleg für die neue Weltordnung ist das Protokoll dennoch.

Für die Kanzlerin, die wie keiner ihrer Vorgänger eine Freude über das freiheitsliebende, optimistische Amerika verspürt, ist das eine gewöhnungsbedürftige Erfahrung. Zumal sie auch vor dieser Reise in Medien wieder von ihrer spannungsgeladenen Beziehung zu Obama lesen durfte. Dass Merkel mit dem Präsidenten immer noch fremdelt, ist in Washington ein offenes Geheimnis. Hier der eloquente Charismatiker mit dem Hang zum Pathos, dort die nüchterne Politik-Handwerkerin. Er nennt sie "Angela", aber das Du im Amerikanischen ist kein Ausdruck für Nähe.

Nicht einmal in Merkels Umfeld wird die Unterschiedlichkeit der Politiker-Typen bestritten. Zwar gibt es keine offenen Misstöne. Obama schätzt Merkels Zurückhaltung, ihre analytische Schärfe durchaus, wie US-Korrespondenten berichten. Nur braucht er sie eben nur noch bedingt. Die Zeit der glühenden transatlantischen Visionen ist vorbei. Der Polit-Star und die Machtphysikerin führen eine professionelle, verlässliche Zweckbeziehung. So wie ein Arbeitnehmer zu seinem Steuerberater. Was fehlt, sind direkte, emotionale Erlebnisse, die Transatlantiker in der Vergangenheit besonders zusammengeschweißt haben, wie etwa Helmut Kohl zur Wendezeit mit George Bush senior.

Hinzu kommt: Die deutsch-amerikanischen Themen des Jahres 2010 eignen sich kaum für Wohlfühl-Diplomatie. Im von deutschen Soldaten offenbar nur unzureichend bewachten Norden Afghanistans starten US-Soldaten gerade eine große Offensive. Im Streit um Guantanamo-Häftlinge brachte Merkel ebenfalls keine guten Nachrichten mit. Der deutsche Föderalismus bremst eine Entscheidung bislang, die Länder wollen nicht. Und im Wettbewerb um Wirtschaftswachstum schlägt die Obama-Administration patriotische Pflöcke ein, wie die überzogenen Strafzahlungen an Daimler in den USA und die Bevorzugung des US-Flugzeugbauers Boeing zeigen. Zähe, sperrige Themen.

In Merkels Lager hat man sich an den neuen Stil gewöhnt. Das gemeinsame Wertefundament sei eine verlässliche Basis und brauche keine Symbolik, heißt es. Obama habe zwei Kriege zu gewinnen, die Wirtschaftskrise und eine eigene Agenda. "Wir sind eben nicht die Nummer eins", sagt ein Merkel-Berater. Mit dem Ende des Kalten Kriegs sei auch die strategische Rolle Deutschlands abhanden gekommen. Nun müsse man sich eben selbst einbringen.

Das hat Merkel morgen, am Mittwoch vor. In Kalifornien trifft sie deutsche Filmschaffende, Forscher, Unternehmer. Und Arnold Schwarzenegger. Der Gouverneur ist ein bekennender Merkel-Fan. Fortsetzung folgt.

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