Aus Untersuchungshaft in Istanbul entlassen Mesale Tolu nach stundenlangem Verwirrspiel frei

Istanbul · Um die Freilassung der deutschen Journalstin Mesul Tolu gab es am Montag einige Verwirrungen: Erst ordnete ein Istanbuler Gericht ihre Haftentlassung an, verhängte jedoch eine Ausreisesperre. Dann war Tolu plötzlich verschwunden. Am Abend kam sie dann frei.

 Mesale Tolu nach ihrer Freilassung.

Mesale Tolu nach ihrer Freilassung.

Foto: afp

Mehr als sieben Monate nach ihrer Festnahme ist die deutsche Journalistin Mesale Tolu aus der Untersuchungshaft in der Türkei entlassen worden. "Ich bin müde, aber glücklich", sagte die 33-Jährige am Montagabend in der Kanzlei ihrer Anwälte in Istanbul.

Am Montagabend konnte Tolu in Begleitung ihrer Familie eine Polizeistation im Istanbuler Stadtteil Fatih verlassen. Dort war sie nach dem Verlassen des Frauengefängnisses im Istanbuler Stadtteil Bakirköy hingebracht und mehrere Stunden festgehalten worden.

Das Istanbuler Gericht hatte am Montagnachmittag die Freilassung von Tolu und fünf weiteren inhaftierten Angeklagten in dem Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation angeordnet und für alle eine Ausreisesperre verhängt. Außerdem ordnete das Gericht an, die 33-Jährige solle sich jede Woche bei der Polizei melden.

Tolu sagte, der wahre Grund ihrer Inhaftierung sei gewesen, "dass ich Mitglied einer freien Presse bin. Sie haben versucht, mich zu ängstigen, weil sie wussten, dass ich einen kleinen Sohn habe." Der inzwischen dreijährige Sohn hatte knapp ein halbes Jahr bei der Mutter im Gefängnis verbracht.

Die Bundesregierung nahm die Anordnung des Gerichts zur Freilassung positiv auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, die Freilassung sei eine "gute Nachricht". Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach von einer "immensen Erleichterung" und wertete die Freilassung als "deutliches Signal der Entspannung" im deutsch-türkischen Verhältnis.

Gabriel betonte aber auch, dass noch lange nicht alle Probleme beseitigt seien. "Es gibt eine ganz gehörige Portion an nach wie vor existierenden Schwierigkeiten", sagte er. Merkel und Gabriel verwiesen zudem darauf, dass der Prozess noch weitergeführt wird.

Tolu wurde bis zu einem Urteil auf freien Fuß gesetzt. Das Verfahren gegen die Journalistin und 17 türkische Angeklagte geht jedoch weiter. Nächster Verhandlungstermin ist der 26. April 2018. Prozessauftakt war am 11. Oktober gewesen. Der aus Ulm stammenden Tolu drohen nach Angaben ihrer Anwälte bis zu 20 Jahre Haft. Die Angeklagten fordern ihren Freispruch. Mit Terrororganisation ist in dem Verfahren die linksextreme MLKP gemeint, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Tolu äußerte die Hoffnung, dass nun auch der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel freigelassen wird. "Wir sind beide Journalisten, die dem Staat ein Dorn im Auge sind", sagte sie. "Ich hoffe, dass auch er so bald wie möglich seine Freiheit genießen kann."

Am Montagabend gab es noch einige Verwirrung um die Entlassung Tolus. Der deutsche Botschafter Martin Erdmann und Angehörige Tolus fuhren nach der Anordnung des Gerichts zum Frauengefängnis in Bakirköy, um die Journalistin in Empfang zu nehmen. Der Gefängnisdirektor hatte dem Botschafter einen persönlichen Empfang zugesagt. Stattdessen wurde Tolu jedoch ohne Halt in einem grauen Zivilfahrzeug mit getönten Scheiben aus dem Gefängnis gebracht.

Erst nach längerer Suche konnte der Botschafter ihren Aufenthaltsort ausfindig machen. Erdmann zeigte sich darüber empört und sagte: "Die spielen mit uns ein Versteckspiel." Nach Angaben von Tolus Anwältin Gülhan Kaya hatte die Anti-Terror-Einheit der Polizei Tolus Abschiebung angeordnet. Die widersprüchlichen Anordnungen zu der gerichtlichen Anordnung einer Ausreisesperre sorgten nach Angaben der Anwältin dann für Verwirrung auf der Wache.

Bei ihrer Verteidigung vor Gericht sagte Tolu nach Angaben von Beobachtern am Montag: "Ich wurde verhaftet, weil ich Journalistin bin, und beabsichtigt wurde, Druck auf die Medien auszuüben. Der Druck auf die Medien wurde fortgesetzt, aber ich denke, dass die Justiz gerecht entscheiden wird."

Die meisten türkischen und deutschen Reporter waren von der Verhandlung ausgeschlossen. Als Grund gaben die Sicherheitskräfte im zentralen Gerichtsgebäude in Istanbul an, der Saal sei voll. Größere Säle seien belegt.

Als Beobachter im Verhandlungssaal nahmen die Linke-Abgeordnete Heike Hänsel, der deutsche Botschafter Erdmann und der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff teil. Hänsel und Wallraff hatten vor Verhandlungsbeginn Tolus Freilassung aus der Untersuchungshaft gefordert.

Tolu arbeitete in Istanbul für die kleine linke Nachrichtenagentur Etha. Nach ihrer Freilassung sind noch acht Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert. Namentlich bekannt aus dieser Gruppe ist neben Tolu nur der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel, der seit Februar ohne Anklage in U-Haft sitzt. Der Grünen-Chef Cem Özdemir forderte die türkische Regierung auf, "alle politischen Gefangenen" freizulassen.

Zuletzt war am 26. Oktober der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner aus der U-Haft entlassen worden, was als Zeichen der Entspannung im belasteten deutsch-türkischen Verhältnis gewertet worden war. Steudtner war am Tag darauf nach Berlin ausgereist. Sein Verfahren in Istanbul wird aber fortgesetzt.

(csr)
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