Vom Ex-Außenminister bis zum Biografen Michail Chodorkowskis deutsche Helfer

Berlin/Düsseldorf · Ein pensionierter Außenminister und ein umtriebiger Putin-Biograf betreiben mit Rückendeckung der Kanzlerin die Freilassung des prominentesten Kreml-Gegners. Der Coup gelingt. Die Frage ist nur: zu welchem Preis?

Michail Chodorkowski genießt seine Freiheit
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Frank Walter Steinmeier (SPD), Deutschlands neuer Außenminister, war erst seit einer Woche im Amt, da stahl ihm sein Vor-vor-vor-vor-vorgänger erst einmal gründlich die Show. Mit 86 Jahren hatte Hans-Dietrich Genscher (FDP) noch einmal alle Register jener geschmeidigen Diplomatie gezogen, die ihn schon in seinen insgesamt 18 Dienstjahren an der Spitzes des Auswärtigen Amtes auszeichneten: Alle verfügbaren Kontakte nutzen, diskrete Gespräche führen, geduldig Vertrauen schaffen. Mit dieser Verhandlungstechnik aus der Zeit des Kalten Krieges erreichte Genscher die Freilassung von Michail Chodorkowski.

Zweimal traf Genscher Russlands Präsidenten Wladimir Putin persönlich, das erste Mal im Juni 2012 auf dem Berliner Flughafen Tegel. Putin hatte gerade seinen Antrittsbesuch nach seiner Wiederwahl gemacht. Das Gespräch der beiden blieb geheim, ebenso wie das zweite Treffen Anfang 2013 in Moskau.

Hier saß Chodorkowski zehn Jahre hinter Gittern
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Hier saß Chodorkowski zehn Jahre hinter Gittern

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Begonnen hatte Genscher seine Bemühungen auf Bitten der Anwälte von Chordorkowski aber schon vor rund zweieinhalb Jahren. Die Bundeskanzlerin war von Anfang an informiert, der deutsche Botschafter in Moskau, Ulrich Brandenburg, sogar direkt involviert. Und auch ein Mann, der wegen seiner betont kremlfreundlichen Haltung in Berliner Regierungskreisen so manchem suspekt ist: Alexander Rahr.

Das Auswärtige Amt setzt oft auf Rahrs Expertise

Der 54-Jährige, Autor zahlreicher Russland-Bücher, darunter auch einer überaus freundlichen Putin-Biografie, ist seit vielen Jahren im Dunstkreis pro-russischer Lobbygruppen und Forschungseinrichtungen unterwegs. So war er viele Jahre Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, bevor er 2012 als Berater zum Energiekonzern Wintershall wechselte.

Zudem ist er Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums, das im wesentlichen von in Russland engagierten deutschen Industrieunternehmen finanziert wird. Außerdem sitzt Rahr im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs, einer seinerzeit von Wladimir Putin und Gerhard Schröder ins Leben gerufenen Prestige-Veranstaltung, bei der sich jährlich hochrangige Vertreter aus Politik und Wirtschaft beider Seiten austauschen.

Rahr hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er kein Verständnis für die seiner Ansicht nach moralisierende Kritik am autoritären Regierungsstil von Putin hat, den er für "authentischer" hält als den Stil der Jelzin-Jahre. Zu einem veritablen Skandal kam es im Frühjahr, als ein einige Monate zuvor von Rahr in Moskau gegebenes Interview bekannt wurde. In dem Gespräch mit einer Boulevard-Journalistin zog Rahr kräftig vom Leder. Gegenüber dem Kreml auf Rechtsstaat und Demokratie zu setzen, sei nichts anderes als ein aggressiver westlicher Werteexport, mit dem Ziel, Russland zu schwächen, empörte er sich.

Zwar verteidigte sich Rahr, das Interview sei von ihm nicht autorisiert worden, doch das Auswärtige Amt, das regelmäßig auf Rahrs Russland-Expertise setzt, sah sich genötigt, öffentlich auf Distanz zu gehen. Seine Rolle bei den Bemühungen um Chodorowskis Freilassung redete Rahr dagegen klein; er habe einige der Gespräche gedolmetscht und Genscher beim Verfassen von Briefen geholfen. Das Ergebnis der Strippenzieherei feierte er indes als "Triumph deutscher Geheimdiplomatie". Er beweise, dass Deutschland in Moskau immer noch über Kanäle verfüge, "die Briten oder Amerikaner nicht haben".

Erste Bewegung offenbar schon vor einem Vierteljahr

Schon vor etwa einem Vierteljahr sollen sich die Anzeichen verdichtet haben, das Putin einer Freilassung Chodorkowskis zustimmen könnte. Doch dann wurde Anfang Dezember öffentlich, dass Bundespräsident Joachim Gauck nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi reisen wolle.

In der Öffentlichkeit wurde dies als klares Signal gegen russische Menschenrechtspolitik gewertet. Die Kanzlerin reagierte ungewohnt scharf auf die Absage des Präsidenten. Rückblickend ist klar, das Merkel sich wohl nicht nur darüber geärgert hatte, dass Gauck ihren Hinweis, Sotschi nicht zu boykottieren, missachtete, sondern dass sie auch um den Erfolg der Geheimmission fürchtete.

Die Sorge war unnötig. Denn Gauck blieb nicht allein. Auch der Frankreichs Staatspräsident François Hollande kündigte an, er werde einen großen Bogen um Sotschi machen. Die EU-Justizkommissarin Viviane Reding schloss sich an, ebenso wie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Und dann gab auch noch US-Präsident Barack Obama Putin einen Korb.

Der Kremlchef musste um sein Prestigeprojekt Sotschi bangen. Gleichzeitig bot ihm Genscher einen Ausweg, seinen prominentesten Widersacher loszuwerden. Eine Geste, für die Putin nur auf das sonst übliche Schuldeingeständnis des Häftlings verzichten musste. Viel spricht dafür, dass es ein Deal auf Gegenseitigkeit war. Erst die Zukunft wird zeigen, ob nicht doch ein Preis vereinbart wurde.

(qua)
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