Entschädigungen für NS-Verbrechen Muss Berlin Reparationen an Athen zahlen?
Athen (RP). In der Debatte um die griechische Schuldenkrise ist das Thema der Entschädigungen für NS-Verbrechen wieder hochgekocht. Offiziell hält Berlin alle Ansprüche für erledigt. Aber das ist juristisch umstritten.
Die deutschen Soldaten kamen am 10. Juni 1944 in das griechische Dorf Distomo. Sie waren zuvor in einen Partisanen-Hinterhalt geraten und hatten drei Kameraden verloren. Die Rache des SS-Panzergrenadierregiments 7 war schrecklich. 218 Dorfbewohner metzelten sie nieder, sie schlitzten Bäuche auf, schnitten Köpfe ab, stachen Augen aus. Das älteste Opfer war 85 Jahre alt, das jüngste zwei Monate.
Abscheulichkeiten wie diese schwingen mit, wenn griechische Politiker in der Debatte um die Krise lange abgegolten geglaubte Rechnungen aufmachen. Da schwadronierte Vize-Premier Theodoros Pangalos vom griechischen Goldschatz, den die Nazis geraubt hätten. Der Bürgermeister von Athen addierte die deutschen "Kriegsschulden" auf 70 Milliarden Euro. Und selbst der besonnene Regierungschef Giorgos Papandreou bezeichnete die Frage der Kriegsentschädigungen als "offen".
Die Bundesregierung hält das Thema dagegen für erledigt, seit unter Adenauer 1960 ein Abkommen geschlossen wurde, um NS-Opfer und ihre Nachkommen "endgültig" zu entschädigen. 115 Millionen Mark flossen damals. In den 90er Jahren erhielten dann nochmals 3000 ehemalige Zwangsarbeiter Zahlungen der Stiftung "Erinnerung, Vergangenheit und Zukunft".
Die Juristen des Auswärtigen Amtes argumentieren zudem, dass das Londoner Schulden-Moratorium von 1953, wonach die Frage der deutschen Kriegsreparationen auf die Zeit nach dem Abschluss eines formellen Friedensvertrags verschoben wurde, durch den "Zwei-plus-Vier-Vertrag" von 1990 gegenstandslos geworden sei.
Dennoch wächst hinter den Kulissen die Unruhe. Es ist das Massaker von Distomo, das die Bundesrepublik bald in eine schwierige Lage zu bringen droht. 2011, so fürchtet man in Berlin insgeheim, könnte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag entscheiden, dass die Angehörigen der Opfer von Distomo sehr wohl Entschädigungsansprüche gegenüber Deutschland haben. Konkret würde der IGH grünes Licht für die Pfändung von deutschem Besitz in Italien geben, der prächtigen Villa Vigoni am Comer See, die das deutsche Kulturinstitut beherbergt.
Es wäre ein später juristischer Sieg für die Nachkommen der Distomo-Opfer. Bereits 2001 hatte ein Athener Gericht deutsche Immobilien in Griechenland zur Pfändung freigegeben. Der Gerichtsvollzieher hatte bereits Inventarlisten des Goethe-Instituts und des Deutschen Archäologischen Instituts aufgesetzt. Es bedurfte der Intervention des Bundeskanzlers Gerhard Schröder, damit die die griechische Regierung den Vollzug in letzter Minute stoppen ließ.
Dann aber entschied das höchste italienische Zivilgericht, dass die Distomo-Nachkommen die in Griechenland erstrittenen Urteile in Italien vollstrecken lassen können. Der Anwalt der Kläger ließ sofort eine Zwangshypothek auf die Villa Vigoni eintragen.
Rom und Berlin einigten sich darauf, das Urteil vom IGH überprüfen zu lassen. Nach ihrer Auffassung hat das Gericht gegen das Prinzip der Staatsimmunität verstoßen. Demnach können nur Staaten, nicht aber Privatpersonen, Ansprüche gegen andere Staaten wegen Kriegsverbrechen geltend machen.
Jedoch bröckelt diese klassische Position des Völkerrechts. So gilt die Immunität für Staatschefs schon nicht mehr unbedingt, wenn diese sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben. Der Frankfurter Völkerrechtler Michael Bothe schätzt die Chancen im Distomo-Prozess "50 zu 50". Eine Niederlage wäre aus deutscher Sicht fatal. Vor griechischen Gerichten sind noch Tausende Kriegsopferklagen gegen die Bundesrepublik anhängig.