Krieg in Syrien Die USA, das Giftgas und die roten Linien

Washington · Der Westen macht Syriens Machthaber Assad für den Angriff auf Chan Scheichun verantwortlich. Moskau aber hält an Assad fest – plötzlich steht wieder die Frage eines US-Militärschlags im Raum.

 Die US-Botschafterin Nikki Haley zeigt im UN-Sicherheitsrat Bilder von Opfern des Giftgasangriffs in Syrien.

Die US-Botschafterin Nikki Haley zeigt im UN-Sicherheitsrat Bilder von Opfern des Giftgasangriffs in Syrien.

Foto: afp, DA/AEK

Der Westen macht Syriens Machthaber Assad für den Angriff auf Chan Scheichun verantwortlich. Moskau aber hält an Assad fest — plötzlich steht wieder die Frage eines US-Militärschlags im Raum.

Dieses Mal sind sich fast alle einig: Es war ein Luftangriff, der die Katastrophe in Chan Scheichun in der syrischen Provinz Idlib auslöste. Es war Sarin und nicht Chlorgas, das mittlerweile über 80 Menschen tötete und fast 200 schwer verletzte. Und es war die syrische Luftwaffe, die diesen Angriff flog. Selbst die russische Führung geht inzwischen von einer Beteiligung der syrischen Armee an der folgenschweren Attacke aus.

Über die Details herrschen aber weiter Unklarheiten. So ist umstritten, ob das Lager, das angeblich von Rebellen in dem Ort genutzt wurde, absichtlich oder versehentlich bombardiert wurde, und ob dort tatsächlich Giftgas gelagert war — wie das russische Militär behauptet. Die syrische Armee weist jegliche Verantwortung zurück. Sie habe niemals Giftgas eingesetzt und werde dies auch nicht tun. Vielmehr seien "terroristische Gruppen" verantwortlich. Die Giftstoffe stammten von "Kämpfern aus dem Irak".

Dort hält man sich mit Reaktionen dazu bedeckt, denn nicht wenige Mitglieder der irakischen Schiitenmilizen unterstützen den syrischen Diktator Baschar al Assad in Damaskus. Auf der anderen Seite haben sich sunnitische Iraker den islamistischen Terrorgruppen Al Qaida, Al Nusra oder sogar dem IS angeschlossen. Woher das Sarin also wirklich stammt, wird wohl nie vollends aufgeklärt werden. Saddam Hussein besaß es, hat es aber angeblich nach dem Kuwait-Krieg in den 90er Jahren unter UN-Aufsicht vernichten lassen. Assad besaß es, will es aber im Zuge des Abkommens mit Russland und den USA ebenfalls zerstört haben.

Im August 2014 teilte das Pentagon mit, dass 600 Tonnen Chemikalien zur Herstellung von Sarin und von Senfgas "auf offener See" neutralisiert wurden. Damit seien alle von Syrien deklarierten Bestände zur Produktion von Chemiewaffen vollständig vernichtet. US-Präsident Barack Obama sprach damals von einem Meilenstein im Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Doch wurde tatsächlich alles zerstört?

"Das wird man nicht hinnehmen"

Die Untat von Chan Scheichun hat unmittelbare Wirkung bis nach Washington. Mehrmals sprach er über die toten Babys in Syrien. Der Angriff sei eine abscheuliche Tat, die man nicht hinnehmen werde. Trump verschärfte seinen Ton gegenüber der Regierung von Baschar al Assad, den er für den Gaseinsatz verantwortlich machte: Die syrische Regierung werde "ein Zeichen erhalten". Was er damit meint, ließ er gestern offen.

Trump sagte auch, dass sich seine Einstellung zu Assad geändert habe. Plötzlich steht damit wieder die Frage von US-Militärschlägen gegen die syrische Regierung im Raum. Barack Obama hatte 2013 Assad gewarnt, ein Giftgaseinsatz sei eine "rote Linie", deren Überschreitung eine Reaktion der USA auslösen werde. Auf einen Sarin-Angriff bei Damaskus folgten allerdings keine Taten.

Bisher stand für Trump und seine Regierung der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Vordergrund. Assads Schicksal war für sie nur zweitrangig. Nun hat Trump eine Wende vollzogen — wobei die Gemengelage in Syrien extrem kompliziert ist. Das macht es für Trump schwierig. Mit einem Eingreifen gegen Assad würde er Russland und den Iran provozieren, die wichtigsten Verbündeten der syrischen Regierung.

"Das Sterben in Syrien muss aufhören"

Die Sitzung des UN-Sicherheitsrats zum dem Angriff ging gestern ohne Ergebnis zu Ende. Zu einer Abstimmung über eine von den USA, Frankreich und Großbritannien eingebrachte Resolution kam es nicht. Stattdessen gab es heftige Wortgefechte zwischen den Diplomaten. Und die Botschafterin der USA, Nikki Haley, deutete anschließend einen Alleingang ihres Landes an. "Wenn die Vereinten Nationen durchgehend bei ihrer Aufgabe scheitern, gemeinsam zu handeln, gibt es Zeiten im Bestehen von Staaten, bei denen wir zu eigenen Maßnahmen gezwungen sind."

Die Kirche verurteilte den Angriff. Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands, sagte unserer Redaktion: "Solche entsetzlichen Verbrechen machen sprachlos und zornig." Die internationale Staatengemeinschaft müsse jetzt alles für einen sofortigen Waffenstillstand tun. "Das Sterben in Syrien muss aufhören", sagte Bedford-Strohm.

Am Mittwochabend ist die Zahl der Todesopfer des mutmaßlichen Giftgasangriffs nach Angaben von Beobachtern auf 86 gestiegen. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte am Mittwoch mit, unter den Opfern seien 30 Kinder und 20 Frauen.

(RP/dpa)
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