Großoffensive "Muschtarak" Nato will die Wende in Afghanistan erzwingen

Kabul (RPO). Seit Jahren machen die radikalislamischen Taliban mit den Drogenhändlern in der afghanischen Südprovinz Helmand gute Geschäfte - und finanzieren so ihren Aufstand. Damit soll nun Schluss sein: Im Rahmen der Operation "Muschtarak" (Gemeinsam) wollen afghanische Armee und Nato-Kräfte das Übel bei der Wurzel packen. Die Militäraktion ist die erste große Bewährungsprobe für die neue Afghanistanstrategie von US-Präsident Barack Obama.

Um die selbsternannten Gotteskrieger aus den Mohnfeldern zu vertreiben und die Region um die Stadt Mardscha unter die Kontrolle der Regierung in Kabul zu bringen, schickt der Oberkommandierende der US- und Nato-Truppen Stanley McChrystal 15. 000 Soldaten in die Offensive. Die gewählte Taktik hat sich im kleineren Rahmen bewährt. Für den Großangriff auf die Taliban-Hochburg warteten die Generäle den Winter ab.

In der Nacht zum Samstag setzen etwa 60 Chinook-Kampfhubschrauber amerikanische und afghanische Verbände in der Stadt Mardscha ab, die mit Nachtsichtgeräten ausgerüstet eilig ausströmen, um strategisch wichtige Gebäude oder Kreuzungen zu besetzen. Die Einheiten treffen nach US-Angaben wie erwartet zunächst auf wenig Widerstand. Dennoch gibt es an einigen Punkten Gefechte, bei denen knapp zwei Dutzend Aufständische getötet worden sein sollen. Außerdem kamen zwei Nato-Soldaten, ein Brite und ein Amerikaner, ums Leben.

Vom Lärm der Helikopter aufgeschreckt eilen den Soldaten verängstigte Bewohner der 80.000 Einwohner-Stadt entgegen, die sich vor den Kämpfen in Sicherheit bringen wollen. "Wir verschwinden von hier", sagte Abdul Wahaab. Er willt mit seiner Familie in Richtung Norden fliehen, in die Provinzhauptstadt Laschkar Gah. "Überall sind Soldaten." Ein anderer Bewohner berichtet, zunächst sei es in der Nacht noch recht ruhig gewesen, dann aber seien Gewehrschüsse und Explosionen zu hören gewesen.

In Flugblättern und über Lautsprecher hatten die Nato-Streitkräfte die verbleibenden Bewohner aufgefordert, nach Beginn der Offensive in ihren Häusern zu bleiben. Der Schutz von Unbeteiligten hat diesmal oberste Priorität. "Wir können nicht mehr raus, aber wir haben genügend zu essen", sagt ein Bewohner in einem Telefonat mit AFP.

Mit der Großoffensive "Muschtarak" (Gemeinsam) wollen die Verantwortlichen diesmal alles richtig machen, wie Verteidigungsminister Abdul Raheem Wardak versichert. Die Strategie lautet, die Taliban mit dem Großangriff in die Flucht zu schlagen und danach bis zu tausend afghanische Polizisten in der Region zu positionieren, die an Ausfallstraßen und Kreuzungen Präsenz zeigen sollen. Ein entscheidender Faktor ist dabei die Einbindung mehrheitlich afghanischer Soldaten in die Offensive.

Der militärische Druck auf die Aufständischen wird begleitet von einem Angebot an moderate Taliban zur Eingliederung in die Zivilgesellschaft, wenn sie dem bewaffneten Kampf abschwören. Um sich den Rückhalt in der Bevölkerung zu sichern, müssen Stammesälteste von den Vorteilen der neuen Machtstrukturen überzeugt werden. Schnell sollen Schulen, Kliniken und eine Rechtsprechung aufgebaut werden. Den Bauern wird Unterstützung versprochen, wenn sie ihren Anbau von Mohn für die Opiumproduktion auf normale Feldfrüchte umstellen.

Die größte Offensive seit dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 haben die US-Generäle vor sieben Monaten in einem Testlauf erprobt. Vergangenen Sommer entrissen sie den Taliban die Macht in den Bezirken Garmser und Naua, ebenfalls in der Provinz Helmand gelegen. Auch damals wurden in einer nächtlichen Aktion, noch dazu für die Aufständischen unerwartet, rund 4000 Soldaten mobilisiert und zum Großteil mit Hubschraubern in Position gebracht. Die Operation "Chandschar" (Dolch) gilt als Erfolg und als Wegbereiter für "Muschtarak".

In einer ersten Reaktion zeigten sich die Nato und die britische Armee "sehr zufrieden" mit dem Beginn der Großoffensive. Wie Armeesprecher Gordon Messenger am Samstag sagte, wurden die wichtigsten Ziele erreicht.

(AFP/AP/ndi)
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