Nordkorea Kim Jong Un - der kleine Mann mit der Bombe

Tokio/Düsseldorf · Mit immer neuen Drohungen verschärft der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un aktuell die angespannte Situation auf der koreanischen Halbinsel. Die Streitkräfte sollen sich auf einen präventiven Atomschlag vorbereiten, sagt Kim Jong Un kurz vor dem Beginn des Großmanövers von Südkorea und den USA.

Nordkorea: Kim Jong Un freut sich über Raketenstart
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Februar 2016: Kim Jong Un freut sich über Raketenstart

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Foto: afp, jyj/tbr

Auf Europäer übt der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un eine merkwürdige Faszination aus: Er erscheint als gruseliger Clown, als ein dickliches großes Kind mit merkwürdiger Frisur, das willkürlich grausamste Verbrechen verübt und sich darin gefällt, die Welt zu bedrohen - freilich aus beruhigenden 8400 Kilometern Entfernung. Das Ganze wirkt wie ein Horrorfilm, der zwar Schauer auslöst, aber keine reale Gefahr darstellt. Im nur 1000 Kilometer entfernten Japan betrachtet man die nuklearen Rüstungsanstrengungen Nordkoreas und den jüngsten Test einer Langstreckenrakete dagegen deutlich weniger entspannt. Was, wenn Nordkorea versuchen sollte, eine Atombombe über den japanischen Inseln zu zünden?

Anfang Februar hatte Nordkorea wiederholte internationale Warnungen missachtet und laut eigenen Angaben einen Beobachtungssatelliten mit Hilfe einer Rakete in die Erdumlaufbahn befördert. Die USA, Südkorea und andere Länder betrachten den Start aber als einen verbotenen Test von Raketentechnologie. Etliche Länder und der UN-Sicherheitsrat erwägen nun schärfere Sanktionen gegen Pjöngjang. Kim hat jedoch bereits weitere Raketenstarts angeordnet.

Die Kim-Diktatur halte sich an keine Regeln und sei deshalb unberechenbar, sind sich japanische Experten in Gesprächen mit unserer Redaktion in Tokio einig - ebenso in der Beurteilung, dass der 33-jährige Kim Jong Un keineswegs der kindliche und sadistische Wirrkopf ist, wie er auf den Westen wirkt, sondern ein intelligenter, durchaus klug taktierender Machtpolitiker in der Traditionslinie seines Clans. Die Kims beherrschen das ostasiatische Land schon seit der Proklamierung eines eigenen Staates 1948 und definitiv seit 1953. als das Ende des Koreakriegs die Teilung der Halbinsel zementierte.

Als Kim Jong Un nach dem Tod seines Vaters Kim Jong Il am 29. Oktober 2011 dessen Nachfolge antrat, gab es Hoffnung, dass er einen anderen Weg einschlagen könnte als sein Vater und sein Großvater. Diese Hoffnung hat sich inzwischen zerschlagen - was auch aus Fotos zu schließen ist: Kim Jong Un hat seinen Haarschnitt und seine Statur so verändert, dass er seinem Großvater Kim Il Sung immer ähnlicher wird, der einst den Staat Nordkorea gründete und international auf die Erpressungspolitik militärischer Drohgebärden setzte. In der Gerüchteküche wird sogar darüber spekuliert, dass sich Kim Jong Un einer kosmetischen Operation unterzogen haben soll, um seinem Großvater noch mehr zu gleichen.

"Kim Jong Un kann öffentlich ohne Manuskript reden. Er kennt die Schwächen seines Systems genau, speziell die der Wirtschaft", sagt Professor Hideshi Takesada von der Takushoku-Universität, der mehrere Jahre in Südkorea tätig war und auch den Norden regelmäßig besucht hat. "Er hat daher zwei Ziele: die Atombewaffnung und den wirtschaftlichen Wiederaufbau." Mit der Bombe wolle der Diktator die USA als Beschützer Südkoreas neutralisieren, um ungehindert die Wiedervereinigung Koreas unter kommunistischer Vorherrschaft zu erzwingen, meint der Politikwissenschaftler. "Das ist ein politisches Ziel. Er will nicht gegen die Vereinigten Staaten in den Krieg ziehen."

Möglicherweise verehrt der Diktator die amerikanische Lebensart sogar: Er ließ im Februar 2013 ein Foto veröffentlichen, das ihn mit dem US-Basketballstar Dennis Rodman während eines Spiels in der Hauptstadt Pjöngjang zeigt - offenbar sorgfältig inszeniert mit einer Coca-Cola-Büchse neben Rodman, einem in Nordkorea eigentlich verbotenen Getränk. Es folgten Bilder von einem Besuch in einem Vergnügungspark und in einer Show mit Disney-Figuren - Propaganda-Aktionen, um Öffnungsbereitschaft zur westlichen Welt anzudeuten? Alles pure Spekulation. Kim Jong Uns Mutter ist im japanischen Osaka geboren, der Sohn soll - getarnt als Sohn eines Botschaftsangehörigen - von 1992 bis 2000 in der Schweiz zur Schule gegangen sein. Er habe sehr wohl verinnerlicht, dass andere Diktatoren wie Saddam Hussein im Irak oder Muammar al Gaddafi in Libyen mit massiver Einwirkung von außen, vor allem der USA, gestürzt worden sind, meint Takesada. Der junge Nordkoreaner sei überzeugt davon, dass nur die Nuklearwaffe ihn vor diesem Schicksal bewahren werde.

Atommacht Nordkorea?

Nordkorea sieht sich seit 2012 offiziell als Atommacht. Japanische Beobachter gehen allerdings davon aus, dass das Regime nukleare Sprengköpfe noch nicht einsetzen kann, weil sie noch zu groß und zu schwer sind, um sie mit einer Rakete treffsicher zu verschießen. Allerdings forschen die Nordkoreaner bereits seit den 60er Jahren, damals mit russischer Hilfe, auf nuklearem Gebiet und starteten in den 80er Jahren ein konkretes Atomwaffenprogramm. Geheimdienstquellen gehen von bis zu acht einsatzfähigen Plutoniumbomben aus, eine davon sei bei einem Test in Pakistan 1998 gezündet worden.

Doch das Land rüstet sich zugrunde: Ein Viertel des gesamten Bruttoinlandsprodukts wird für das Militär ausgegeben. Die Militarisierung der Gesellschaft ist beispiellos: 1,2 Millionen aktive Soldaten stehen unter Waffen, weitere sieben Millionen Frauen und Männer sind als Reservisten eingeplant. Ähnlich gigantisch wirkt das Waffenarsenal, wenngleich es veraltet ist: 3500 Kampfpanzer, 2800 Schützenpanzer und 21.000 Geschütze wollen westliche Geheimdienste gezählt haben. Atomwaffen gegen Südkorea brauche der Diktator deswegen eigentlich nicht, meinen die japanischen Fachleute.

Besonders bedrohlich für Südkorea sei die geringe Vorwarnzeit im Fall eines Angriffs: Die Hauptstadt Seoul mit ihren 9,8 Millionen Einwohnern liegt nur rund 40 Kilometer von der Demarkationslinie, dem 38. Breitengrad, entfernt, der Nord- und Südkorea seit 1953 trennt. Die Diktatur hat rund 700.000 Mann, 2000 Kampfpanzer und 8000 Geschütze nur 90 Kilometer hinter dieser Grenze stationiert. Ein Kampfjet würde nur sieben bis zehn Minuten nach Seoul brauchen, eine Kurzstreckenrakete wäre noch deutlich schneller.

Welche Rolle spielt China

Im Westen wurde der jüngste Raketentest als Brüskierung Chinas angesehen, der großen Schutzmacht des nordkoreanischen Regimes. Takesada teilt diese Ansicht nicht und wirft Peking ein doppeltes Spiel vor: "Die chinesische Regierung hat 2006 eingesehen, dass Nordkorea um jeden Preis an der Nuklearrüstung festhalten will, und hilft dem Land jetzt dabei, diese Fähigkeiten zu erwerben. Nur so glaubt Peking, seinen Einfluss auf Kim Jong Un und die Kontrolle über das Rüstungsprogramm zu behalten, um verhindern zu können, dass diese Atomwaffen eines Tages auch eingesetzt werden."

Während sich alle japanischen Gesprächspartner einig sind, dass allein China den Schlüssel zur Lösung des Korea-Problems in der Hand habe, geht die Meinung auseinander, wie sicher Kim Jong Un im Sattel sitzt. Möglicherweise, so eine These, steht der kommunistische Staat inzwischen kurz vor dem Zusammenbruch: Zwei Drittel der 24 Millionen Nordkoreaner leiden nach UN-Angaben Hunger, jedes fünfte Kleinkind stirbt. Mehr als 200.000 Menschen sollen in Straflagern eingesperrt sein. Eine tragfähige Industrie existiert nicht.

"Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Kim Jong Un gefährdet ist", meint jedoch Takesada. Drastische, offiziell meist unbestätigte Maßnahmen der Machtsicherung durch Kim Jong Un wie die spektakuläre Hinrichtung seines in Ungnade gefallenen Verteidigungsministers im Mai 2015 durch ein Flakgeschütz oder die Exekution des Armeechefs Anfang Februar seien eine Demonstration der Stärke. Kuni Miyake vom Canon-Forschungsinstitut für globale Studien interpretiert die Exekutionen indes als den "Anfang vom Ende der Kim-Dynastie". Kim Jong Un könnte der Letzte in der Reihe der Dynastie sein, vermutet er.

(mic)
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