Referendum in der Türkei OSZE beklagt fehlende Kooperation der türkischen Regierung

Berlin/Istanbul · Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat die türkische Regierung aufgefordert, zur Klärung der Manipulationsvorwürfe beim Verfassungsreferendum beizutragen. In der Nacht protestierten zudem wieder tausende Menschen gegen den Ausgang des Referendums.

Auch am Dienstag protestierten wieder Tausende Menschen wie hier in Istanbul gegen den Ausgang des Referendums.

Auch am Dienstag protestierten wieder Tausende Menschen wie hier in Istanbul gegen den Ausgang des Referendums.

Foto: dpa, LP soe

Michael Georg Link, Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte, beklagte im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland die fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung, die Manipulationsvorwürfe zu klären. "Von einer Kooperation kann leider keine Rede sein", so Link.

Das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem hatte nach vorläufigen Ergebnissen der Volksabstimmung vom Sonntag mit 51,4 Prozent nur eine knappe Zustimmung erhalten. Die Opposition kritisiert vor allem die Entscheidung der Wahlkommission, auch nicht von ihr gestempelte und verifizierte Stimmzettel als gültig zu werten - und will das Referendum annullieren lassen. Nach der größten Oppositionspartei CHP hat jetzt auch die pro-kurdische HDP einen entsprechenden Antrag eingereicht.

"Fest steht, dass die kurzfristige Entscheidung der Wahlkommission, falsch oder gar nicht gestempelte Wahlzettel als gültig zu werten, ein Verstoß gegen türkisches Recht darstellt", sagte Link dazu. Der oberste Wahlbeobachter der OSZE wies indes Anschuldigungen aus Ankara zurück, Vertreter seiner Behörde seien bei der Beobachtung der Abstimmung voreingenommen gewesen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hat Zweifel der OSZE am Verfassungsreferendum abgestritten. Der Bericht der OSZE enthalte mehrere Fehler, die absichtlich eingefügt worden seien, sagte Cavusoglu. Der Bericht der Beobachtergruppe sei nicht objektiv und "extrem parteiisch".

Ministerpräsident Binali Yildirim erklärte zudem, es sei das gute Recht, Beschwerde gegen den Ausgang des Referendums einzulegen. Dies gelte jedoch nicht, wenn zu Protesten auf der Straße aufgerufen werde. Aus dem knappen Wahlausgang nehme die regierende AK-Partei mit, künftig bestimmte Themen vorsichtiger anzugehen.

Auch am Dienstagabend protestierten wieder Tausende Menschen in verschiedenen türkischen Städten. Demonstranten versammelten sich unter anderem in der Metropole Istanbul, der Hauptstadt Ankara, dem westtürkischen Izmir und dem zentraltürkischen Eskisehir. Im Istanbuler Stadtteil Besiktas skandierten die Demonstranten unter anderem "Dieb, Mörder, Erdogan".

Schon bei den Demonstrationen der vergangenen Tage hatten viele Türken ihre Enttäuschung über den Ausgang des Referendums zum Ausdruck gebracht - und deutliche Zweifel am fairen Ablauf der Abstimmung geäußert.

Um Juristen aus der Türkei zu unterstützen, die aus politischen Gründen nach Deutschland fliehen, haben der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Richterbund eine türkischsprachige Webseite eingerichtet. Dort können die türkischen Juristen Kontaktdaten deutscher Kollegen in allen Bundesländern finden, die selbst Türkisch sprechen und bei rechtlichen und praktischen Fragen Hilfe anbieten.

Der Präsident der Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, sagte der Deutschen Presse-Agentur, schon in den vergangenen Monaten hätten türkische Juristen unter Repressionen zu leiden gehabt. Bereits vorher habe unter ihnen ein "Klima der Angst" geherrscht. Es sei davon auszugehen, dass der Rechtsstaat in der Türkei komplett kollabiere. Über das neue Portal soll nun Hilfe finden, wer sich angesichts der zugespitzten Lage entscheide, nach Deutschland zu fliehen, sagte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa.

Die Verfassungsreform verleiht dem Staatsoberhaupt deutlich mehr Macht. Nach dem Putschversuch in der Türkei im vergangenen Juli war die Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hart gegen die Justiz vorgegangen und hatte mehrere Tausend Richter und Staatsanwälte wegen angeblicher Verbindungen zu dem Prediger Fetullah Gülen abgesetzt.

(kess/dpa/REU)
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