Analyse Pakistans Pakt mit dem Terror

Düsseldorf · Das blutige Gemetzel in einer pakistanischen Schule mit mehr als 130 toten Schülern hat das Land erschüttert. Überrascht hat es nicht. Viel zu lange hat die Regierung die Taliban bestenfalls halbherzig bekämpft.

Bis vorgestern lasen sich die Kommuniqués des pakistanischen Generalstabs wie eine ununterbrochene Aneinanderreihung von Siegesmeldungen. Seit die Armee Mitte Juni in Nord-Waziristan an der Grenze zu Afghanistan eine Offensive gegen die dort verschanzten Taliban-Gruppen gestartet hatte, sollen 1100 Terroristen getötet worden sein (und angeblich null Zivilisten). Wie hoch auch immer die Verluste der Radikalen waren, die Zahl der Terroranschläge im Rest des Landes ging tatsächlich um nahezu ein Drittel zurück, die Zahl der Todesopfer von Anschlägen sogar um mehr als die Hälfte.

Doch dann drang am Dienstag ein Taliban-Kommando in eine Schule in Peschawar ein und tötete mehr als 140 Menschen, darunter mindestens 132 Kinder. Selbst für das an blutige Attentate leidvoll gewohnte Land der blanke Horror. Und der Beweis dafür, dass der Kampf gegen den Terror alles andere als gewonnen ist.

Das liegt vor allem auch daran, dass dieser Kampf in der Vergangenheit bestenfalls halbherzig geführt wurde. Viele der militanten Gruppen, die seit Jahren in Pakistan morden, wurden einst vom Militär und dem mächtigen Geheimdienst ISI gepäppelt; einige haben wohl bis heute mächtige Verbündete im Staatsapparat. Die Sicherheitskräfte gehen offensichtlich weiterhin sehr selektiv gegen die verschiedenen Taliban-Gruppen vor. So sind westliche Geheimdienstkreise überzeugt davon, dass das vorwiegend in Afghanistan operierende Haqqani-Netzwerk vor dem Beginn der Militär-Offensive in Nord-Waziristan gewarnt wurde und sogar Unterstützung dabei erhielt, sich rechtzeitig vor den Bombardement aus seinen Basen in der nordpakistanischen Provinz zurückzuziehen.

Hinter dieser Politik der Schonung steckt eine lange Tradition der Instrumentalisierung radikaler Dschihadisten. Bereits unter der Präsidentschaft von Zia-ul-Haq in den frühen 80er Jahren wurde diese Strategie zur offiziösen Regierungslinie. Damals herrschte Kalter Krieg, die Sowjets waren ins benachbarte Afghanistan einmarschiert, und so hatten auch die Amerikaner nichts gegen den brisanten Pakt mit den Radikalen einzuwenden. Der ISI trainierte mehre Zehntausend Taliban für den Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan, ausgerüstet wurden sie wenigstens teilweise mit amerikanischen Waffen.

Aber auch nach dem Abzug der sowjetischen Truppen wurden diese Verbindungen nicht gekappt. Die von Pakistan subventionierten Taliban-Gruppen dienten als Fünfte Kolonne im Nachbarland. Und nicht nur dort. Es sei geradezu zur "strategischen Kultur" der pakistanischen Armee geworden, schreibt die amerikanische Pakistan-Expertin Christine Fair, systematisch mit allen Kräften zu paktieren, die Pakistans angeblichen Feinden schaden könnten. Allen voran: Indien.

Der Erzfeind soll geschwächt werden, wo nur immer möglich. So gab etwa der afghanische Geheimdienst im Juli 2008 bekannt, dass der ISI 3000 Terroristen nach Afghanistan eingeschleust habe, um das Straßenbauprojekt einer indischen Firma zu sabotieren. Der pakistanische Geheimdienst wird ferner der Beteiligung oder Anstiftung im Zusammenhang mit mindestens einem halben Dutzend schwerer Anschläge in Afghanistan verdächtigt, darunter der Selbstmordanschlag vor der indischen Botschaft in Kabul 2008 und ein versuchtes Attentat auf den damaligen afghanischen Präsidenten Hamid Karzai im selben Jahr. Auch beim Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul und dem Angriff auf das Nato-Hauptquartier und die US-Botschaft 2011 sollen die Taliban-Kämpfer des Haqqani-Netzwerks vom ISI tatkräftig unterstützt worden sein.

Auch jetzt glauben viele Beobachter, dass wichtige Leute in der pakistanischen Führung sich die Islamisten für die Zeit nach dem vollständigen Truppenabzug der Nato-Kampftruppen aus Afghanistan Ende 2014 sozusagen warmhalten wollen. Über diese Gruppen soll wieder starker Einfluss auf die Regierung in Kabul genommen werden, so wie es vor dem Sturz der Taliban-Regierung in Kabul durch die internationale Allianz 2001 gewesen war.

Die ambivalente Haltung gegenüber den Taliban beschränkt sich aber nicht auf den Geheimdienstapparat mit seinen machiavellistischen Strategien. Auch in Teilen der Bevölkerung Pakistans genießen die "Islam-Schüler" durchaus Rückhalt. Viele Menschen sehen in den Extremisten vor allem Glaubensbrüder, gegen die sie nicht kämpfen wollen. Sie sind empfänglich für deren Propaganda, wonach hinter den blutigen Anschlägen in Wirklichkeit Provokateure aus den USA, aus Indien oder aus Israel stecken. Besonders Imran Khan, einst hochpopulärer Kapitän der Cricket-Nationalmannschaft und jetzt Politiker, schlägt daraus skrupellos Kapital.

Er umwarb die Extremisten offen, nannte sie "Brüder" und protestierte gegen die Attacken durch US-Drohnen auf die Taliban-Führer wie auch die Angriffe des pakistanischen Militärs. Dafür empfahlen die Extremisten die Wahl von Khans Partei PTI. Die errang 2013 prompt einen Achtungserfolg bei der Parlamentswahl. Aber auch die Muslimliga von Premierminister Nawaz Sharif tut sich schwer mit einer klaren Abgrenzung zu den Taliban.

Deren Bewegung zersplittert unterdessen zusehends. Schon heute sind die unterschiedlichen Gruppen über den künftigen Kurs zerstritten. Und der Druck ist noch weiter gestiegen, seit der Siegeszug des "Islamischen Staats" in Irak und Syrien auch pakistanische Extremisten zur Konkurrenz lockt. Allein im vergangenen Monat sind sechs Taliban-Kommandeure zum IS übergelaufen.

Das lässt das Schlimmste befürchten. Er habe Sorge, so schreibt der Kolumnist und frühere Armee-Major Kamran Shafi, dass die Taliban die IS-Barbarei in einem grausamen Wettstreit künftig kopieren würden.

(RP)
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