Wahl in Österreich "Aalglatter Populismus - zum Leid Europas" - Pressestimmen
Der Rechtsruck bei der Parlamentswahl in Österreich ist in vielen Zeitungen im In- und Ausland kommentiert worden. Wir haben einen Blick in die Meinungsspalten geworfen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Seit Kurz handstreichartig (...) die ÖVP übernommen hat, hat er seine Partei völlig umgekrempelt und auf sich eingeschworen. Die Veränderung reicht viel weiter als das Umfärben von schwarz auf türkis und das Umetikettieren von ÖVP auf seinen Namen. Die eigentliche Revolution bestand in der Umgestaltung der alten (...) und von Regionalfürsten und Interessengruppen gegängelten ÖVP, die sich seit der Abwahl Wolfgang Schüssels vor zehn Jahren in stetigem Niedergang zu befinden schien, in eine straff geführte Politikmaschine. (...) Hinzu kommt die Anmutung einer jungen, unverbrauchten politischen Kraft. So konnte es Kurz gelingen, mit Parolen zu reüssieren wie 'Ein neuer Stil' oder 'Jetzt oder nie' - eigentlich ziemlich unverfroren für den Vorsitzenden einer Partei, die seit dreißig Jahren ununterbrochen regiert."
Süddeutsche Zeitung: "Doch die Volkspartei von Sebastian Kurz hat ganz auf eine Art Wandel durch Annäherung gesetzt. Die Annäherung könnte man dabei schlicht Themenklau nennen, und gewandelt hat sich vor allem die ÖVP, die sich dem Rechtspopulismus hingegeben hat. Der Preis dafür ist hoch. Denn die Rechten stoppt man nicht mit dem eigenen Sündenfall, sondern nur mit klaren Alternativangeboten an die Wähler. Auseinandersetzung ist nötig, nicht Anbiederung. Wer drauf verzichtet, der lässt es zu, dass die Politik im Populismus versinkt."
Tagesspiegel (Berlin): "Wundern darf sich niemand. Bereits das Kopf-an-Kopf-Rennen der Bundespräsidentschaftswahl zwischen van der Bellen und dem Rechtspopulisten Hofer im vergangenen Jahr hat gezeigt, in welche Richtung das Land abdriftet. Und Kurz hat ganz genau zugeschaut. Seine Kampagne und sein Ergebnis sind beachtlich. (...) Die vermeintliche Gefahr des Islams, die Sicherung der eigenen Landesgrenzen und des Sozialsystems sowie der Erhalt der österreichischen Identität - die Positionen von Kurz und der rechtspopulistischen FPÖ unterscheiden sich meist nur im Detail. Eine Koalition der beiden, die nun als sehr wahrscheinlich gilt, würde aus diesen Wahlversprechen Politik machen. Aalglatter Populismus - zum Leid Europas."
General-Anzeiger (Bonn): "Auch wenn Wien unter einer ÖVP/FPÖ-Koalition seine jetzt schon restriktive Flüchtlingspolitik weiter verschärfen würde - mit neuerlichen Sanktionen wird Österreich sicherlich nicht rechnen müssen angesichts der Situation in Ländern wie Ungarn und Polen zum Beispiel. In Berlin wird der eine oder andere das Wahlergebnis mit klammheimlicher Freude registrieren. Ziehen die Staaten an der Balkanroute die Grenzzäune hoch, reduziert sich nämlich auch in Deutschland der Zustrom von Flüchtlingen und Armutsmigranten."
Allgemeine Zeitung (Mainz): "Jetzt droht uns ein Österreich, das sich den strammen Rechtskurs Ungarns unter Viktor Orban zum Vorbild nimmt. Es ist dies das Ergebnis einer Politik, die viele Jahre den Rechtspopulismus nicht bekämpft, sondern ermuntert, umgarnt und schließlich salonfähig gemacht hat. Wer glaubt, dass sich Rechtspopulisten schon noch beizeiten entzaubern (lassen), sollte gewarnt sein."
Münchner Merkur: "Austria hat ein Kunststück geschafft: Es ist nach rechts gerückt, hat aber dem hitzigen FPÖ-Chef Strache die lange sicher geglaubte Kanzlerschaft verwehrt. Und es hat für einen charismatischen Anführer gestimmt, aber keinem unberechenbaren Spinner wie Trump den Regierungsauftrag erteilt, sondern dem charmanten Kind-Kaiser Sebastian Kurz. Der hat das Paradox fertiggebracht, die Proteststimmung im Land ausgerechnet in Stimmen für die alte 'Systempartei' ÖVP umzumünzen, indem er sie als 'Liste Kurz' einfach neu erfand und komplett auf sich selbst zuschnitt: ein Husarenritt. Kurz zeigt: Der Siegeszug der Populisten ist aufzuhalten - wenn die Etablierten ihren Wählern wieder zuhören, statt sie als unbelehrbar aufzugeben."
Westfalen-Blatt: "Was soll Europa mit diesem Ergebnis anfangen? Kurz und Strache stehen gewiss nicht für 'Mehr Europa'. Es sind eher die nationalbewussten österreichischen Nachbarn Ungarn, Slowakei und Tschechien - und auch Polen -, an denen man sich orientiert. Die Tendenz geht also zu noch mehr Richtungsstreit in Brüssel. Erstaunlich ist, wie viel die Österreicher Sebastian Kurz zutrauen. Er wird nun zeigen müssen, was er zu leisten vermag. Gewandtes Auftreten öffnet ihm Türen. Die Verhandlungen dahinter muss er aber zum Abschluss bringen. Erst über die Koalition, dann über die Reformen, die er versprochen hat."
Märkische Oderzeitung: "Als es vor 17 Jahren den ersten Versuch einer ÖVP-FPÖ-Koalition gab, hagelte es noch Sanktionen der EU. Heute sind solche Parteien europaweit Normalität und sogar die Sozialdemokraten halten gemeinsames Regieren mit der rechtesten Volkspartei für einen gangbaren Weg. Denn der FPÖ ist es gelungen, in der Debatte zu Flüchtlingen und Islam den Ton zu setzen, dem auch ÖVP und SPÖ letztlich folgen. Österreich ist nach rechts gerückt. Ob der Abschied von der bleiernen Zeit der großen Koalition Segen oder Fluch ist, muss sich jetzt zeigen."
Straubinger Tagblatt: "Aus dem Wahlergebnis jetzt einen dramatischen 'Rechtsruck' zu konstruieren, ist ein bisschen die Erfüllung der eigenen medialen Prophezeiung: Geert Wilders hat entgegen den Prognosen in den Niederlanden nicht die Macht übernommen, Marine Le Pen ist in Frankreich auf dem Weg in den Elysée-Palast viel deutlicher gescheitert als erwartet - jetzt halt der Rechtsruck in Österreich, endlich! Nein, nein, so simpel ist es halt nicht. Beziehungsweise es ist viel simpler: Das magere Ergebnis von Sozialdemokraten und Grünen geht auf viele hausgemachte Pleiten und Pannen zurück; der Triumph des Sebastian Kurz geht auf ihn selbst zurück, den vermeintlichen neuen Messias in der österreichischen Innenpolitik. Rechtsruck-Alarmismus ist da ein bisschen übertrieben."
Mittelbayerische Zeitung: "Die Hauptbotschaft, mit der Sebastian Kurz die Wahlen gewann, war keine, die typisch für die ÖVP ist. Er kündigte an, die illegale Migration auf Null zu reduzieren. Damit kopierte Kurz viele Themen des Freiheitlichen um Heinz-Christian Strache - etwa die Kritik an islamischen Kindergärten, am Islam per se, an der Türkei und an fehlender Integration in Österreich lebender Ausländer. Das Thema illegale Migration dominierte den Wahlkampf und rückte in die Mitte der Gesellschaft. Viele, die sich schämen würden FPÖ zu wählen, wählten nun 'Kurz'. Er gilt als viel höflicher und eleganter als Heinz-Christian Strache."
Huffington Post: "Nun bekommt Kern die Quittung: Der einst so smarte Polit-Quereinsteiger hat sich und seine Partei in den Strudel des wütenden und irrationalen Polit-Diskurses geworfen - und ist abgesoffen. Großer Gewinner ist wie erwartet der bisherige Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). Längst hat Kurz die Maske des Polit-Shootingstars abgeworfen. Er braucht nicht mehr 'geil' zu sagen, um junge Menschen für konservative Politik zu begeistern. Denn Österreich will nicht begeistert, sondern beschützt werden."
Der Standard: "Schwarz-Blau ist nicht nur leicht möglich, sondern, gemessen an dem hasserfüllten Wahlkampf, den Rot und Schwarz gegeneinander geführt haben, wahrscheinlich. Eine schwarz-blaue Verfassungsmehrheit wurde zwar verpasst, doch allzu weit weg ist sie nicht. Das ist die alarmierendste aller Nachrichten an diesem Wahlsonntag. Tiefgreifende Verfassungsänderungen sind plötzlich möglich, wenn man die Sympathien der FPÖ und auch von Sebastian Kurz für Viktor Orbán und dessen Politik kennt. Strache hat auch bereits angekündigt, eine größere Nähe zu jenen EU-Mitgliedsstaaten im Osten anzustreben, die zumindest nicht durch besondere Solidarität innerhalb der EU aufgefallen sind."
Neue Zürcher Zeitung (Schweiz): "So oder so ist der Sieg der Liste Kurz eine Chance für Österreich, wo sich das Modell der großen Koalition zwischen Konservativen und Sozialdemokraten totgelaufen hat. Dies zeigte die politische Blockade der letzten Jahre, und dies zeigte die Schlammschlacht zwischen Kurz und dem Nochkanzler Kern während des Wahlkampfs. (...) Dass Kurz auch abseits von Burkaverbot und Balkanroute dicke Bretter bohren kann, muss er erst beweisen - umso mehr, als der wahrscheinliche Koalitionspartner FPÖ bei der letzten Regierungsbeteiligung eine traurige Figur machte. Die auf Kurz gesetzten Hoffnungen sind jedenfalls ähnlich groß wie das Potenzial für Enttäuschungen."
Gazeta Wyborcza (Polen): "(Sebastian) Kurz, ein Anführer, der bisher als 'politisches Wunderkind' bezeichnet wird, wird jüngster Regierungschef in der Geschichte Österreichs und einer der jüngsten in der Geschichte Europas. (...) Das Wahlergebnis ist der Effekt seiner politischen Cleverness. Kurz hat die Österreicher überzeugt, dass er das Land vor einer Überflutung durch Ausländer bewahren wird und diejenigen, die bereits zu ihnen gekommen sind, zur Integration zwingen oder rausschmeißen wird."
Libération (Frankreich): "Die Österreicher scheinen dieser jahrelangen großen Koalition der Sozialdemokraten und Konservativen müde zu sein. Ein Bündnis aus Konservativen und Rechtsaußen ist also möglich. Die beiden Parteien können sich zwar nicht ausstehen, surfen aber auf derselben flüchtlingsfeindlichen Welle - die FPÖ warf (dem ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian) Kurz vor, ihre Wahlkampfthemen kopiert zu haben. Aber am Ende liegen die beiden Parteien mit ihren Positionen oft auf derselben Linie."
Hospodarske noviny (Tschechien): "Als neuer ÖVP-Chef hat Sebastian Kurz zu einem gewissen Grad das Programm und die Themen der FPÖ übernommen. Er tritt hart gegen illegale Zuwanderung auf. Abgelehnte Asylbewerber will er schneller ausweisen und deren Ansprüche auf Sozialleistungen beschränken. Der gebürtige Wiener hat in seiner Kampagne immer wieder betont, dass er maßgeblich an der Schließung der sogenannten Balkanroute beteiligt gewesen sei, über die im Jahr 2015 viele Flüchtlinge nach Europa geströmt waren. Kurz ist es damit gelungen, einen Teil der FPÖ-Wähler zu seiner Partei herüberzuziehen."
Die Presse (Österreich): "Internationale und lokale Medien hatten die 'Rechtsruck'-Schlagzeilen längst auf Taste, wie wir in den Medien vorbereitete Texte gerne nennen. Tatsächlich rückt Österreich mit dem heutigen Tag politisch ein Stück weit nach rechts. Allerdings nur im Wahlergebnis: Die politische Landschaft stellt sich 2017 wohl so dar wie sich die Meinung in Österreich 2015 auch tatsächlich verschoben hat. In der Flüchtlingskrise argumentierte und agierte die Regierung lange Zeit gegen die schweigende Mehrheit im Lande. Das zeigte das Wahlergebnis vom Sonntag ganz deutlich."
Magyar Nemzet (Ungarn): Ungarns rechts-konservativer Regierungschef "Viktor Orban hat am Sonntag einen österreichischen Bundeskanzler dazugewonnen, der in zahlreichen Fragen auf dem selben Standpunkt steht wie er. Kurz mag von vornherein die autoritären Politiker in Südosteuropa. Vom gescheiterten mazedonischen Regierungschef (Nikola Gruevski) bis zum derzeitigen serbischen Präsidenten (Aleksandar Vucic) drückten sie alle ihm deshalb die Daumen. Eine eventuelle Regierungsbeteiligung der FPÖ könnte wiederum die Wiener Außenpolitik EU-kritischer machen, selbst wenn die Position des Außenministers für die Rechtspopulisten nicht in Reichweite scheint."
La Repubblica (Italien): "Österreich, eines der reichsten und glücklichsten Länder Europas, rückt nach rechts, verfolgt von den Geistern der selbsterdachten Ängste. Und jetzt könnte es sich von Brüssel entfernen und sich an Warschau und Budapest annähern, sich in jenen euro-egoistischen Kreis einschreiben, der unter dem Namen 'Visegrad-Gruppe' mitteleuropäische Kleinstaaten vereinigt, die eine höhnische mentale und politische Abwehr der sich verändernden Welt verbrüdert. (...)"
Evenimentul Zilei (Rumänien): "Obwohl er seit jeher in der Politik ist, ohne anderen Beruf als den eines Politikers, ist es (Sebastian) Kurz gelungen, aufgrund seiner Jugend die Rolle des neuen Menschen zu spielen; er hat aber nie die eiserne Hand gezeigt, mit der er seine eigene Partei führt. Dies hat dazu geführt, dass er nach der Wahl vom 15. Oktober in die Position gekommen ist, Kanzler zu werden, als neuer Wunderpolitiker nach dem Modell des Kanadiers Justin Trudeau und von Emmanuel Macron."
De Standaard (Belgien): "Das Klima hat sich verändert. Nicht allein, dass die FPÖ in Österreich längst zur politischen Landschaft gehört. Europa findet sich mit dem Aufschwung populistischer Strömungen ab. Nun hat FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gar die Chance, Vizekanzler in einer Regierung unter Führung von Sebastian Kurz zu werden. (...) Der überzeugende Sieg der Rechtsparteien weist den Weg für die nächste Regierungskoalition. Ob Europa dadurch nach dem Brexit und der katalanischen Abspaltungsbewegung eine Sorge mehr hat, muss sich zwar erst noch zeigen. (...) Die Ungarn und die Polen haben einen neuen Verbündeten hinzugewonnen, die Deutschen haben womöglich einen weniger."
Magyar Idök (Ungarn): "Ein stabiles und ausgeglichenes Österreich ist für Ungarn ein wahres Geschenk, und auch umgekehrt ist das der Fall. Es gehört nicht zu den Visegrad-Vier (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei), und es wäre auch nicht gut, diese sich schön entwickelnde Zusammenarbeit jener vier Länder auszuweiten. Doch ein Österreich, das offen ist für frische, mitteleuropäische Ideen und Lösungsvorschläge, wäre ein Gewinn für alle, für die festgefahrene EU ebenso wie für die Visegrad-Vier, die sich einen Aufbruch erwarten und ersehnen."
Lidove noviny (Tschechien): "Österreich war nie ein Land der Revolutionen. Doch diese Wahlen haben einen revolutionären Beiklang. Die Konservativen sind so gestärkt, dass sie den Weg zu einer Regierung der ÖVP mit den Freiheitlichen von der FPÖ freigemacht haben. Früher gehörte die FPÖ zu den Parteien, die als populistisch, extremistisch und fremdenfeindlich betitelt wurden. (...) Nun hat eine solche Koalition freie Bahn in Österreich - und Europa geht deswegen nicht unter. Über Sanktionen wird nicht nachgedacht (...) Den Menschen scheint langsam zu dämmern, dass nicht jede Partei, die kritisch zu dieser oder jener Politik ist, mit dem Etikett des Chauvinismus und Extremismus markiert werden muss."