Was Recep Tayyip Erdogan bevorsteht Der Sultan ist von Problemen umzingelt

Ankara · Recep Tayyip Erdogan kündigt nach seinem Wahlsieg in der Türkei eine Ära der Versöhnung an. Die Gräben im Land noch tiefer zu reißen, wird er sich kaum erlauben können. Die eigene Machtbasis ist gefährdet.

Türken feiern Wahlsieg von Erdogan
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Hat der Machtmensch Erdogan Kreide gefressen? Im Wahlkampf schlug er noch aggressive Töne an, drohte Gegnern mit Verfolgung, eine unbequeme Journalistin beschimpfte er als schamlose Frau, im Kampf um Stimmen spielte er mit Schmähungen gegen Armenier die nationalistische Karte.

All das soll nun Vergangenheit sein. In seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg kündigte Erdogan eine neue Ära an, in der Konflikte der "alten Türkei" angehören sollten. Er werde Staatsoberhaupt aller 77 Millionen Türken sein, sagte er am Sonntagabend in Ankara. "Heute ist ein historischer Tag", sagte Erdogan. "Heute schließen wir die Türen zu der alten Ära und eröffnen eine neue Ära."

Hartnäckige Skepsis

Kritiker werden solche Versprechungen mit Skepsis bewerten. Erdogan hat im gleichen Atemzug in aller Deutlichkeit klargemacht, dass er auch als Präsident die Geschicke der Türkei weiterhin tatkräftig lenken will. Bislang war das Amt des Staatsoberhauptes vor allem zeremonieller Natur. Das soll sich auch mithilfe einer Verfassungsänderung bald ändern.

Seine Gegner befürchten, dass Erdogan als Präsident seine Macht weiter ausbauen und die Islamisierung der Türkei vorantreiben könnte. Moderat auftreten dürfte er dabei ebensowenig wie schon als Ministerpräsident. Andere Meinungen hat er bislang nur so weit geduldet, wie sie ihm nicht in die Quere kamen.

Es gibt gute Gründe für Versöhnung

Wie ernst man Erdogans Versöhnungsversprechen nehmen kann, muss sich erst noch zeigen. Immerhin hätte er gleich einen Haufen guter Gründe, es damit ernst zu meinen. Erdogan steht vor einem gewaltigen Berg an Herausforderungen. Innenpolitische Konflikte sind das letzte, was ihm helfen würde.

Bisher stützt er seine Macht und das gute Wahlergebnis von 52 Prozent auf eine ihm treu ergebene Anhängerschaft von eher konservativen Türken aus eher ländlichen Gebieten. Deren Treue hat er sich vor allem durch die wirtschaftlichen Erfolge in seiner Regierungszeit erarbeitet. Tatsächlich geht es vielen Türken deutlich besser als vor Erdogan. Doch die besten Jahren sind längst vorüber, die Wachstumszahlen sind aus dem zweistelligen Bereich auf eine für ein Schwellenland blasse drei vor dem Komma zusammengeschnurrt.

Die säkularen Kräfte sind hellwach

Entsprechend ist auch das Ergebnis bei der Präsidentschaftwahl nicht ganz so glänzend ausgefallen, wie es die Strategen der AKP erhofften. Die säkularen Kräfte haben bemerkenswerte Erfolge erzielt, unter ihnen etwa der kurdische Politiker Selahattin Demirtas mit gut zehn Prozent der Stimmen und Unterstützung auch türkischer liberaler Kreise. Sie werden mit Argusaugen verfolgen, wie Erdogan den Staat in ein Präsidialsystem umzubauen versucht. Aus ihrer Sicht hat der Kampf um die Demokratie jetzt erst begonnen.

Hinzu kommt, dass Erdogan mehr Probleme auf der Agenda hat als ihm lieb sein kann. Die Außenpolitik ist ein Scherbenhaufen, auch die Verbindung mit den Partnern in Europa und den USA von Krisen und Misstönen gebeutelt. Krieg und Krisen rund um die Türkei gefährden aber widerum das Wachstum der Wirtschaft - und damit Erdogans Machtfundament.

Von Problemen umzingelt

Am dringendsten sind die Probleme unmittelbar vor der Haustür. Aus dem in Jahren des arabischen Frühlings ausgerufenen Ziel einer "Null-Problem"-Situation mit allen Nachbarstaaten ist beinahe eine "Null-Freunde"-Situation geworden. Heute liegt die Türkei mit dem Irak, mit Syrien, mit Israel und mit Ägypten im Streit.

Im südöstlichen Nachbarland Irak bewegen sich die IS-Extremisten bei ihrem Siegeszug durch den Irak und Syrien immer weiter auf die türkische Grenze zu. Hinzu kommen die wachsenden Probleme durch die inzwischen fast 1,5 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei.

Brüssel reagiert reserviert

Auch außerhalb der unmittelbaren Nachbarschaft wird sich Erdogan als Präsident vielen Baustellen widmen müssen. Die Beitrittsgespräche mit der EU treten seit langem auf der Stelle, das Ziel einer Mitgliedschaft liegt für die Türkei in weiter Ferne.

Die gespannten Beziehungen kommen selbst im Glückwunschschreiben aus Brüssel zum Ausdruck: Darin forderte die Europäische Union den designierten Staatschef Erdogan auf, eine versöhnende Rolle zu spielen. Zuletzt hatte Brüssel das harte Vorgehen der türkischen Behörden gegen die Gezi-Protestbewegung Jahr und die Massenversetzung von Polizisten und Staatsanwälten nach Veröffentlichung von Korruptionsvorwürfen gegen die Erdogan-Regierung im Dezember kritisiert.

Die Sympathien sind erloschen

Erdogan, in seinen ersten Regierungsjahren in Brüssel noch als Reformer gelobt, wird in Europa inzwischen vielerorts als autoritärer Herrscher gesehen, den so mancher nicht mehr gerne als Besucher empfängt. Als Erdogan im Mai eine Wahlkampfveranstaltung in Köln vorbereitete, meldeten sich mehrere deutsche Politiker mit der Forderung zu Wort, der türkische Regierungschef möge zu Hause bleiben, denn er sei als Gast unerwünscht.

Antipathien gibt es nicht nur auf Seiten der Europäer. Erdogans Wirtschaftsberater Yigit Bulut plädiert offen dafür, die Taue mit der EU zu kappen, da die Europäer nach seiner Ansicht ohnehin auf dem absteigenden Ast sind. Laut einer Umfrage des US-Instituts Pew haben zwei von drei Türken eine schlechte Meinung von der EU. Im Falle der Nato liegt die Abneigung sogar bei 70 Prozent.

Eiszeit mit Washington

Auch die Beziehungen zur westlichen Führungsmacht USA warten auf neue Initiativen. Offiziell herrscht zwischen Ankara und Washington zwar eine enge Zusammenarbeit. Doch fällt auf, dass Präsident Barack Obama in jüngster Zeit lieber das Gespräch mit dem scheidenden Präsidenten Abdullah Gül sucht als mit Erdogan.

Dieser reagierte gewohnt selbstbewusst: Er spreche nicht mehr direkt mit Obama, sagte Erdogan kürzlich. Zur Begründung verwies er auf seine Enttäuschung über die Haltung der USA im Syrien-Konflikt sowie mit Blick auf Ägypten, wo der Erdogan-nahe Präsident Mohammed Mursi vom Militär gestürzt wurde.

Mit Agenturmaterial

(dpa AFP pst)
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