Parlamentswahl in der Türkei AKP strebt Verfassungsreform an

Istanbul · Die Türkei hat am Sonntag zum zweiten Mal in fünf Monaten ein neues Parlament gewählt. Dabei hat die islamisch-konservative Regierungspartei AKP überraschend die absolute Mehrheit zurückerobert. Ministerpräsident Davutoglu fordert nun eine Verfassungsreform.

 Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bei der Stimmabgabe.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bei der Stimmabgabe.

Foto: ap

Die Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kann damit künftig wieder alleine regieren, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntagabend nach Auszählung fast aller Stimmen meldete. Erdogan hatte diese zweite Wahl innerhalb von nur fünf Monaten angesetzt, nachdem die AKP im Juni die absolute Mehrheit verloren und keine Regierungskoalition zuwege gebracht hatte. Die Türkei gilt als Schlüsselland bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, weshalb die Wahl auch in Berlin und Brüssel aufmerksam verfolgt wurde.

Die AKP kommt nach den vorläufigen Ergebnissen auf knapp 50 Prozent der Stimmen - nach 40,9 Prozent bei der Wahl im Juni. Damit wird sie voraussichtlich 316 der 550 Abgeordneten in der Nationalversammlung in Ankara stellen. Äußerst knapp schaffte die pro-kurdische HDP die Zehnprozenthürde und zieht damit erneut in das Parlament ein. Auf den zweiten Rang kommt die Mitte-Links-Partei CHP mit unverändert rund 25 Prozent der Stimmen, gefolgt von der ultrarechten MHP, die mit rund 12 Prozent und einem Verlust von vier Prozentpunkten zu den Verlierern der Wahl gehört. Die AKP hatte die ihr ideologisch oft nahestehenden MHP-Wähler massiv umworben.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu forderte nach dem Wahlsieg der AKP eine Verfassungsreform. "Ich rufe alle Parteien, die in das Parlament einziehen auf, sich auf eine neue zivile nationale Verfassung zu verständigen", sagte Davutoglu in einer Ansprache vom Balkon des Parteigebäudes in Ankara. Erdogan strebt eine Verfassungsreform an, doch trotz absoluter Mehrheit ist die AKP für eine solche Reform auf die anderen Parteien angewiesen, weil es dazu einer Zweidrittel-Mehrheit bedarf. Erdogan strebt eine politische Aufwertung des Präsidentenamtes hin zu einer Präsidialherrschaft.

Davutoglu kündigte an, die Rechte aller Bürger und die Meinungs- und Glaubensfreiheit zu schützen. "Die Feinde der neuen Türkei haben einmal mehr verloren", sagte er. "Die Wahl vom 1. November war das Referendum für die neue Türkei. Ihr habt gezeigt dass die alte Türkei tief begraben ist und nie wieder zurückkehren wird."

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Erdogan selbst begrüßte in einer ersten Reaktion das Wahlergebnis. Das Votum sei eine "starke Antwort" auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, hieß es in der von der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Montagmorgen verbreiteten Erklärung.

Die pro-kurdische HDP, die die AKP bei der Wahl im Juni um die absolute Mehrheit gebracht hatte, schaffte diesmal nur knapp die für einen Einzug ins Parlament vorgeschriebene Zehnprozenthürde. Mit voraussichtlich 59 Abgeordneten wird die prokurdische Partei drittstärkste Fraktion in der türkischen Nationalversammlung. Ihr Vorsitzender Selahattin Demirtas kritisierte, wegen der Angriffe und Anschläge auf die HDP habe die Partei keinen Wahlkampf führen können.

Zweistärkste Kraft im Parlament wurde die Mitte-Links-Partei CHP, die ihren Stimmanteil nur leicht auf knapp 26 Prozent verbessern konnte. Die größten Verluste erlitt die ultrarechten MHP, die nur noch auf rund 12 Prozent kam. Die AKP hatte die ihr ideologisch oft nahestehenden MHP-Wähler massiv umworben.

Die Türkei gilt als Schlüsselland bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, weshalb die Wahl auch in Berlin und Brüssel aufmerksam verfolgt wurde. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die EU setzen auf ein gemeinsames Handeln mit der türkischen Regierung, um den Zustrom von Flüchtlingen vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien einzudämmen.

Grünen-Chef Cem Özdemir gratulierte der Kurdenpartei HDP zum Wiedereinzug ins Parlament. "HDP trotz Widrigkeiten wieder drin. Glückwunsch!", teilte er am Sonntagabend im Kurznachrichtendienst Twitter mit. Nach Einschätzung des europäischen Grünen-Chefs Reinhard Bütikofer sollte das Wahlergebnis in der Türkei von der EU sorgfältig unter die Lupe genommen werden.

"Man wird genau hingucken müssen, inwieweit das in seinen Dimensionen doch überraschende Ergebnis einfach das Ergebnis einer Fehlprognose aller dortigen Demoskopen gewesen ist oder möglicherweise auch das Ergebnis von Manipulationen", sagte der Politiker am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur.

(felt/lsa/dpa)
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