Referendum in Katalonien Kraftprobe mit Madrid

Barcelona · Blutende Menschen, erstarrte Gesichter, am Himmel kreist ein Hubschrauber. Polizisten, hochgerüstet und zu allem entschlossen, drängen gewaltsam in Wahllokale ein. Die Eskalation der Gewalt beim Referendum in Katalonien offenbart mangelnden politischen Dialog.

Katalonien: Polizei geht hart gegen Teilnehmer des Referendums vor
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Polizei geht hart gegen Teilnehmer des Referendums vor

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Foto: rtr, PH/FL

Die Polizisten zerstören Wahlurnen oder nehmen sie mit. Wo immer sie können, sammeln sie Stimmzettel ein, und auch Bürger werden festgenommen, die sich gegen die übergriffige staatliche Autorität wehren. Mindestens zwölf Millionen Wahlzettel, Millionen Plakate und Broschüren sind in den vergangenen Tagen beschlagnahmt worden. Viele Webseiten sind gesperrt. Gestern dann gingen Katalanen mit Blumen in den Händen auf die Sicherheitskräfte zu. In Sprechchören rufen sie: "Wir sind friedliche Leute."

Ist dies ein Land mit einem autoritär herrschenden Despoten an seiner Spitze? Ist das ein Staat, der mit allen Mitteln gegen nach Freiheit dürstende Menschen vorgeht, wie man ihn aus dem Nahen Osten oder China kennt? Charles Puigdemont, Regionalpräsident Kataloniens und eifrigster Betreiber der Volksbefragung, sagte, die Brutalität, mit der die Polizei vorgegangen sei, werde für immer eine Schande für den spanischen Staat sein.

Seit Wochen alarmiert

Es geht um Katalonien im Südwesten Europas. Die katalanische Regionalregierung hatte ein Unabhängigkeitsreferendum angesetzt und die Menschen aufgefordert, die Frage zu beantworten, ob sie weiter unter der Zentralgewalt Madrids leben wollen oder ob sie nicht besser ihr Leben und ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen sollen. Für die Unabhängigkeit hätten sich gut 90 Prozent der Wähler ausgesprochen, teilte der Sprecher der separatistischen Regionalregierung, Jordi Turull, in der Nacht zum Montag mit.

Spaniens konservative Regierung ist schon seit Wochen alarmiert. Sie verweist auf die Rechtslage und erklärt, dass ein Referendum gegen die Verfassung verstoße. Sie beruft sich auf das Oberste Gericht des Landes, das alle Wahlbestrebungen im Vorfeld des Referendums für rechtlich unwirksam erklärt hatte mit der Begründung, an der Einheit Spaniens dürfe nicht gerüttelt werden. Die Unteilbarkeit des spanischen Staates dürfe niemals angetastet werden, so die Juristen.

40 Prozent der Katalanen wollen sich abspalten

Referendum in Katalonien: Angespannte Stimmung am Wahltag
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Angespannte Stimmung am Referendumstag in Katalonien

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Foto: dpa, nicolas carvalho ochoa htf

Die Katalanen liegen nicht in Ketten, mit denen sie rasseln können. Sie leben in einer Region Spaniens, der es wirtschaftlich und gesellschaftlich gut geht. Der Lebensstandard der Menschen liegt weit über dem der restlichen Spanier. Hier wird rund ein Fünftel der spanischen Wirtschaftsleistung erarbeitet. Die Menschen können frei ihre Meinung sagen und die Jugend studiert mit an den besten Universitäten des Landes. Und trotzdem: Viele Katalanen wollen nicht länger unter der Fuchtel Madrids leben. Sie träumen sich die Zukunft schön. Jüngste Umfragen weisen aber aus, dass nur 40 Prozent der Katalanen eine Abspaltung von Spanien wollen.

In welchem Boden wurzelt der Traum vom eigenen Land dann? Die Katalanen sind es leid, für ärmere Regionen zahlen zu müssen. Sie fühlen sich ausgebeutet, schlecht behandelt und in ihrem Stolz gekränkt. Nun stellen sie den Gesellschaftsvertrag mit Madrid in Frage, der auf Solidarität mit den Ärmeren setzt. Sie fordern mit Nachdruck ein Selbstbestimmungsrecht und vergessen, dass sie die verfassungsrechtlich verankerte Unteilbarkeit des Staates 1978 mit überwältigender Mehrheit angenommen hatten. Ihr heutiger Ruf "Los von Spanien" steht daher auf tönernen Füßen.

Morgenluft gewittert

Sie machen sich auch wenig Gedanken darüber, wie eine katalanische Unabhängigkeit politisch auf andere Regionen wirken wird. Die Basken, die über viele Jahre mit Terror das Land überzogen und für einen eigenen Staat bombten, werden Morgenluft wittern und ebenfalls eigener Wege gehen wollen. Das wäre nicht das Ende Spaniens, aber seine politische Bedeutung in Europa würde massiv abnehmen.

Katalonien möchte als unabhängiger Staat EU-Mitglied bleiben. Das geht nach EU-Recht nicht. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte schon vor Tagen erklärt, ein unter Verfassungsbruch zustande gekommener neuer Staat könne nicht EU-Mitglied sein. Außerdem müsse eine Mitgliedschaft neu verhandelt werden, der am Ende alle - also auch Spanien - zustimmen müssten. Doch das würde die Regierung in Madrid wohl nie tun. Sollte die Regionalregierung in Barcelona morgen trotz allem die Unabhängigkeit ausrufen, drohen schwere innenpolitische und wirtschaftliche Turbulenzen.

Probleme wurden ignoriert

Auch die EU ist alarmiert. Sie hat sich bisher nicht vermittelnd in den Streit eingeschaltet, weil sie sich auch nicht in innerspanische Streitfragen einmischen wollte. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU wollen die Schotten in der Union bleiben. Das ist rechtlich ohne Unabhängigkeit kaum möglich. Es gibt Separatistenbestrebungen in vielen Ländern. Auch die reichen Norditaliener wollen nicht für Sizilien zahlen, die Bretonen wie die Korsen hatten in den vergangenen Jahren die Koloratur der Freiheit gesungen. Doch dann wurde es stiller aufgrund von Zugeständnissen der jeweiligen Länder.

Und Spanien? Die Zentralregierung in Madrid hatte das sich verschärfende Problem ignoriert. Die konservative Regierung von Mariano Rajoy hätte den Dialog über eine Ausweitung von Autonomierechten suchen müssen. Stattdessen wurde eine Politik verfolgt, die die Autonomierechte eher zurückbaute. Das kann als Zugeständnis an Spaniens Rechte gewertet werden, die auf den Vorrang der Zentralmacht in Madrid setzt. Wie immer das Referendum ausgeht, es bleiben Wunden, die lange schmerzen werden.

(RP)
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