Umbruch in Tunesien Regierung will Pressefreiheit und Amnestie

Tunis (RPO). In Tunesien sollen alle politischen Gefangenen freigelassen werden. Das sagte Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi, nachdem er die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit bekanntgegeben hatte. Am Montag stellte der 69-Jährige seine neue Regierung vor und kündigte umfangreiche Reformen auch bei der Pressefreiheit an.

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Foto: AP

Drei Tage nach der Flucht von Präsident Zine El Abidine Ben Ali hat Tunesien eine Übergangsregierung eingesetzt und erste autoritäre Herrschaftsstrukturen abgeschafft. Der alte und neue Regierungschef Mohammed Ghannouchi stellte am Montag in Tunis ein sogenanntes Kabinett der nationalen Einheit unter Beteiligung der Opposition vor, versprach Pressefreiheit sowie die Freilassung aller politischen Gefangenen.

Die "Regierung der nationalen Einheit" unter der Beteiligung von drei Oppositionsführern und Vertretern der Zivilgesellschaft soll Präsidentschafts - und Parlamentswahlen vorbereiten. Diese sollen "spätestens in sechs Monaten" stattfinden, sagte Ghannouchi im Fernsehsender El Arabija.

Westerwelle begrüßt Einbindung der Opposition

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat die Bildung einer Übergangsregierung in Tunesien unter Einbindung der Opposition begrüßt. Dies sei ein "erster wichtiger Schritt" hin zu einem "nachhaltigen und dauerhaften Reformkurs" in dem Land, erklärte Westerwelle am Montag in Berlin. Er begrüßte zudem die Ankündigung von Regierungschef Mohammed Ghannouchi, alle politischen Gefangenen freizulassen. Damit bestehe eine "echte Chance für den politischen Neuanfang" in Tunesien, erklärte Westerwelle. Gemeinsam mit der Europäischen Union werde Deutschland den demokratischen Prozess unterstützen, insbesondere die anstehenden Neuwahlen.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärte, der Dialog zwischen Übergangsregierung, politischen Parteien und Zivilgesellschaft sei "ermutigend". Zugleich äußerte er Besorgnis über die in Tunesien anhaltende Gewalt. Das Recht müsse schnell wieder hergestellt werden, forderte Ban.

Alte Gesichter in neuer Regierung

Dem Übergangskabinett gehören 24 Mitglieder an. Neben Ghannouchi, der schon unter Ben Ali amtierte, verbleiben mehrere Minister der alten Mannschaft auf ihren Posten, darunter die für Äußeres, Inneres, Verteidigung und Finanzen. Ausgeschlossen bleiben die Kommunisten und die führende islamistische Ennahdha-Partei. Ein Informationsministerium gibt es nicht mehr. Es war als Zensurinstanz für die Medien und Propaganda-Maschine besonders verhasst.

Kurz vor seiner Flucht am Freitag nach Saudi-Arabien hatte Ben Ali Ghannouchi noch mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragt. Nach der tunesischen Verfassung müssten Neuwahlen binnen zwei Monaten stattfinden. Oppositionsvertreter fordern aber eine Frist von sechs Monaten, um den Urnengang wirklich demokratisch zu gestalten.

Reformen: Presse- und Informationsfreiheit

Ghannouchi kündigte Reformen an. "Wir haben entschieden, dass alle Menschen, die für ihre Ideen, ihre Überzeugungen oder für Äußerungen abweichender Meinungen inhaftiert waren, befreit werden", sagte er. Er versprach "vollständige" Presse- und Informationsfreiheit "ohne jegliche Einmischung von Seiten der Regierung". Außerdem soll die wichtigste Menschenrechtsorganisation Tunesiens, die tunesische Menschenrechtsliga, wieder im Land aktiv werden dürfen.

Deren ehemaliger Vorsitzender, der prominente Oppositionspolitiker Moncef Marzouki, bezeichnete die neue Regierung als "Maskerade". Die Übergangsregierung werde von alten Weggefährten Ben Alis beherrscht. Marzouki kündigte im Rundfunksender France Info seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl an. Die Frage sei aber nicht, ob er kandidiere, sondern ob der Urnengang frei und fair verlaufe.

Vor der Bekanntgabe der Übergangsregierung hatten Demonstranten in mehreren Städten die Auflösung von Ben Alis Partei Konstitutionelle Demokratische Versammlung (RCD) gefordert. "Die Revolution geht weiter", skandierten Demonstranten in Tunis bei zwei Kundgebungen mit mehreren hundert Teilnehmern. Sie verlangten auch den Abgang Ghannouchis. Die Polizei löste die Kundgebungen mit Wasserwerfern und Tränengas auf. In den Straßen waren Schüsse zu hören. Auch in den Städten Sidi Bouzid und Regueb gab es Kundgebungen gegen die RCD.

(RTR/awei)
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