Ultra-orthodoxe Feministin gründet Partei in Israel Ruth Collian - die religiöse Rebellin wird "Schlampe" genannt

Jerusalem · Israelische Frauen haben in der Gesellschaft der Haredim, der ultra-orthodoxen Juden so gut wie keine Rechte. Ruth Collian will das ändern und stemmt sich gegen das System. Sie gründet eine Partei und tritt zur Wahl in der Knesset an.

 Die Gründerin der ultra-orthodoxen Partei für Frauen in Israel, Ruth Colian.

Die Gründerin der ultra-orthodoxen Partei für Frauen in Israel, Ruth Colian.

Foto: dpa, soe fpt

"Wann ist eine religiöse Frau eine gute Frau?", fragt Ruth Colian. Sie wartet die Antwort nicht ab, sondern gibt sie selbst: "Wenn sie schamhaft und züchtig ist. Wenn sie das Haus hütet." Colian steht auf einem Podium, während sie das erzählt. Sie spricht laut, nimmt die Hände zu Hilfe, sie provoziert. Ihr Gesicht ist ordentlich geschminkt, die Lider schimmern pink. In diesem Moment ist Colian weder schamhaft noch züchtig. Sie bricht damit die Regeln ihrer Gemeinschaft, sie weiß das. "Ich muss das tun", sagt sie.

Colian ist ultra-orthodoxe Jüdin - und Politikerin. Die 33-Jährige gehört den Haredim an, einer religiösen Minderheit, die extrem, aber nicht selten ist: Etwa eine Million Israelis leben so. Mehrere Parteien vertreten ihr Ansinnen, zumindest offiziell. Denn auf den Listen der Haredi-Parteien stehen ausschließlich Männer. "Eine Partei, die keine Frauen nominiert, konnte ich nicht unterstützen", sagt Colian. Deshalb hat sie selbst eine Partei gegründet. "Bes'chutan: Haredi-Frauen für den Wandel" setzt sich für die Rechte ultra-orthodoxer Frauen ein.

Dass eine solche Organisation dringend nötig war, wurde Colian im vergangenen November klar. Der Gesundheitsausschuss der Knesset traf sich: Es ging um Gesundheitsrisiken ultra-orthodoxer Frauen in Israel. So haben religiöse Frauen beispielsweise ein vielfach höheres Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Der Grund: Schon das Wort für Brüste auszusprechen gilt als anstößig, viele Haredi-Frauen verschleppen deshalb die Vorsorge. Doch zu dem Treffen des Ausschusses erschien kein einziger ultra-orthodoxer Abgeordneter - aus Desinteresse, sagt Colian. "Das war wie ein Schlag in den Magen."

"Frauen werden gefährdet"

Frauen würden in der ultra-orthodoxen Gemeinschaft nicht nur entrechtet, sagt Colian. Sie würden auch gefährdet. Die Geschichten, die Colian dann schildert, haben ihre Freundinnen ihr erzählt. Frauen, die nicht wussten, wen sie sonst um Hilfe bitten sollten.

Da ist die Frau, die in einem Haredi-Kindergarten arbeitet, aber nur halb so viel verdient wie eine säkulare Kindergärtnerin. Obwohl sie von dem Geld nicht nur ihre Kinder durchbringen muss, sondern auch ihren Mann, der traditionell mit dem Thora-Studium beschäftigt ist. Die Frau weiß nicht, dass sie ausgebeutet wird. "Woher auch", sagt Colian. Internet oder Fernsehen sind verboten, ebenso wie alle weltlichen Medien.

Da ist die Ultra-Orthodoxe, die von ihrem Mann geschlagen wird. Doch sie fürchtet sich, ihn zu verlassen. Für Haredi-Frauen ist es schwierig, eine Scheidung zu erwirken, und es braucht das Einverständnis des Mannes. Erst als der Mann ihr eines Tages ein Messer an den Rücken hält, ihr ins Ohr flüstert, dass er gerne wüsste, wie es sich anfühlt, jemanden zu töten - erst da flieht sie. "In meiner Religionsgemeinschaft spricht eine Frau erst, wenn ihr Leben bedroht ist", sagt Colian. "Das ist doch traurig!"

Nicht alle Ultra-Orthodoxen sind derart strikt und verschlossen. Auch unter den Haredim gibt es starke Frauen, die sich einsetzen. Doch die Mehrheit fürchtet um ihr Ansehen und auch Gottes Strafe. Einige Frauen haben ihr ganzes Leben in einer Art Haredi-Blase verbracht, die dem Leben in einem osteuropäischen "Schtetl" im 19. Jahrhundert ähnelt. Sie wissen nicht, wie eine E-Mail verschickt wird, und haben die Schulbildung von Kindern. Colian dagegen hat viele Jahre in der säkularen Welt gelebt. Dann fand sie den Weg zum Glauben - doch ihre Rechte wollte sie nicht ablegen. Colian studierte Jura, nebenbei zog sie vier Kinder groß. Nun will sie Israels Politik mitbestimmen.

Colian hat die Männer aufgeschreckt

Colian will sich dafür einsetzen, dass Haredi-Frauen angemessen bezahlt werden. Dass mehr ultra-orthodoxe Frauenhäuser eingerichtet werden, dass es mehr rechtliche Beratung gibt. Neun Listenplätze hat ihre Partei, darunter auch zwei Männer. Noch ist sie nicht in die Knesset eingezogen. Doch schon jetzt zahlt Colian einen hohen Preis.
Sie wird als "Schlampe" beschimpft, nachts klopfen Haredim an ihre Tür und bedrohen sie. Sie hat Aufruhr in die Gemeinde gebracht, und besonders die Männer verachten sie dafür.

Sie habe mit dem Gedanken gespielt, aufzugeben, sagt Colian. "Ich kann mein Examen machen, arbeiten - ich brauche die Politik eigentlich nicht." Doch dann wandten sich immer mehr Frauen an sie. Baten um Rat und Hilfe. "Es ist nicht mehr nur mein Kampf", sagt Colian. "Hunderte Frauen stehen hinter mir." Wie viele von ihnen sie auch wählen, wird sich am 17. März zeigen: dem Tag der Wahl.

(dpa)
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