Die Folgen der Hinrichtungen in Saudi-Arabien Die denkbar schlechteste Nachricht

Meinung | Berlin · Nach Hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen zerschlagen sich die vorsichtigen Hoffnungen auf Frieden in Syrien. Die Eskalation zwischen Saudis und Iranern ist eine Hiobsbotschaft, nicht nur für die Region. Die Führung in Riad hat eine rote Linie überschritten.

Saudi-Arabien: Dramatische Nachrichten aus dem Mittleren Osten
Foto: afp, AK/FC

Autokraten haben immer Angst vor dem eigenen Volk. Lange konnten die Öl-Monarchen ihr Volk mit dem Scheckbuch auch im arabischen Frühling bei Laune halten. Doch die Geldquellen sprudeln nicht mehr so üppig. Wenn in einer solchen Situation die Sorge vor dem Machtverlust zu groß wird, greifen Führer entweder zu außenpolitischer Ablenkung oder innenpolitischer Abschreckung. Es war möglicherweise das Kalkül der Saudis, sich die menschenverachtenden Massenhinrichtungen ohne großen internationalen Schaden "leisten" zu können, da die Welt wie selten zuvor auf den saudischen Einfluss in der Region angewiesen ist.

Diese Einschätzung hat sich als trügerisch erwiesen. Vor allem der Versuch, die Minderheit der Schiiten im Lande mit der Hinrichtung des Ajatollah Nimr al-Nimr disziplinieren zu können, ist ins Gegenteil umgeschlagen. Nun haben sie den Aufruhr im eigenen Land und sämtliche schiitischen Staaten, Regionen und Vereinigungen gegen sich.

Der in der arabischen Welt gut aufgestellte deutsche Auslandsgeheimdienst hatte bereits im Dezember vor der impulsiven Interventionspolitik der sunnitischen Saudis gewarnt. Die zunehmende Aggressivität in der geopolitischen Ausrichtung Riads hat möglicherweise mit den Erfolgen der iranischen Verständigung mit dem Westen in der seit Jahren lähmenden Atomfrage zu tun. Die Sanktionen hatten den Erzrivalen der Saudis in eine Wirtschaftskrise gestürzt und die Bedeutung als Regionalmacht zugunsten der Saudis geschmälert. Erholung und Erstarkung Teherans mit Hilfe des Westens passte Saudi-Arabien erkennbar nicht ins Konzept.

Wie sehr die arabischen Mächte auf ihren Ruf im Westen achten, war vor kurzem auch der ganzseitigen saudischen Anzeige in Deutschland zu entnehmen, in dem das Regime beteuerte, alles nur denkbare gegen den Terror im eigenen Land wie in der Region zu unternehmen. Wiederholt waren undurchsichtige Verbindungen zwischen reichen Saudis und Drahtziehern des islamistischen Terrors angeprangert worden. In Syrien kulminieren die Interessengegensätze. Der Iran will seinen Einfluss auf Syrien behalten, unterstützt das Assad-Regime direkt und durch die Kampfhilfe der Hisbollah. Dagegen will Saudi-Arabien den Sturz des Assad-Regimes und fördert deshalb radikal-islamische Rebellen.

Nimmt man einmal die vielen weiteren Interessengegensätze zwischen den weiteren Konfliktbeteiligten und Hunderten bewaffneter Einzelgruppen beiseite, bleibt im Kern die Erkenntnis, dass ein Waffenstillstand in Syrien nur gelingen kann, wenn sich Iran und Saudi-Arabien auf einen Kompromiss verständigen. Dass beide nun ihre Beziehungen abbrechen, heißt nichts anderes, als dass sich die Chancen für den Frieden von gering auf aussichtslos verdüstern.

Damit fällt auch ein Kern der Merkel'schen Flüchtlingskrisen-Bewältigungskonzeption in sich zusammen. Der europäische Verteilungs-Mechanismus lässt sich nur bewerkstelligen, wenn es um Hunderte oder Tausende von Flüchtlingen geht, nicht um den Exodus von Millionen. Die Fluchtursache Nummer eins ist der syrische Bürgerkrieg, und wenn hier die russischen Bombardierungen noch mehr zivile Opfer kosten und die Bleibe-Perspektiven durch den saudisch-iranischen Konflikt völlig kollabieren, lässt sich der Flüchtlingsdruck auf die europäischen und die deutschen Grenzen leicht erahnen.

Der Konflikt zwischen zwei Ölstaaten hat zudem Auswirkungen auf den Ölpreis und die Energiekosten und kann sich auf die wirtschaftliche Entwicklung der ganzen Welt auswirken. Die Folgen wären sehr bald auch an den Zapfsäulen in Deutschland zu besichtigen. Zudem führt die innerreligiöse Konfrontation zwischen Schiiten (Iran) und Sunniten (Saudi-Arabien) nicht nur zu Spannungen unter den Muslimen in aller Welt, sondern zu einer mentalen Unterstützung für die vorwiegend sunnitisch aufgestellten islamistischen Extremisten und Terroristen.

Die deutsche Diplomatie hätte also allen Grund, das Feld weder den Scharfmachern noch den Russen mit ihren speziellen Interessen in der Region zu überlassen. Sowohl im Iran als auch in Saudi-Arabien wird die Bundesrepublik hoch geschätzt, und mehr als einmal konnten Deutsche bei der Verständigung in der Region durchaus hilfreich sein. In den vergangenen Jahren hielt die Bundesregierung daher an ihrer strategischen Partnerschaft mit Saudi-Arabien fest, auch wenn dies moralisch mit immer mehr Gegenwind verbunden war. Waffenlieferungen an ein Regime, das in bewaffneten Konflikten, etwa im Jemen, beteiligt war, wurden immer schwerer zu erklären. Deshalb tat sich die Bundesregierung auch so schwer, den Export wichtiger Komponenten für eine G36-Waffenfabrik in Saudi-Arabien zu erlauben und riskierte lieber eine Klage des Herstellers.

Doch klare Signale sind auch unter strategischen Partnern unerlässlich. Deshalb muss Deutschland mit einem demonstrativen Stopp aller Waffenlieferungen an Saudi-Arabien Farbe bekennen: das zunehmend aggressiver agierende Regime hat mit den Massenexekutionen und mit der provokanten Hinrichtung des schiitischen Geistlichen die rote Linie eindeutig überschritten.

(may-)
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